Innovationsweltmeister Schweiz auf Ideensuche
Die Schweizer Wirtschaft spürt den Druck, auch internationale Innovationspartnerschaften zu suchen, um in Digitalisierung und Strukturwandel mithalten zu können. Sieben bekannte Unternehmen versuchen als "Swiss Innovation Outpost", deutsche Startups für den Schweizer Markt zu gewinnen.
Der Rahmen stimmt schon einmal: Der Swiss Innovation OutpostExterner Link präsentiert sich im vermutlich weltweit bekanntesten helvetischen Aussenposten, dem Schweizer Botschaftsgebäude in Berlin. Hinter dem Projekt stecken sieben etablierte Schweizer Unternehmen. Die Innovation haben sich die Initiatoren dazu geholt: 50 ausgewählte Berliner Startups wollen sie für eine Expansion in der Schweiz gewinnen – am besten für eine Kooperation mit einem der Outpost-Unternehmen.
«Schweizer Marken sind in Deutschland kaum bekannt», sagt Initiator Dominik Wensauer. Das wissen auch die beteiligten Unternehmen. Durch regelmässige Präsenz in der deutschen Gründerszene soll sich das ändern. «Startups mit Auslandsplänen sollen an die Option Schweiz zumindest denken», wünscht sich Manuel Gerres, Head of Start-up Relations bei den SBB. Und dabei gleich geeignete Türöffner an die Hand bekommen: «Jemand mit einer guten Idee für den Einzelhandel wird am Kiosk nicht weit kommen. Jedoch den Kontakt zur Innovationabteilung bei der Mutterholding herstellen, ist die Art von Brücke, die wir schlagen wollen.»
Was ist der Swiss Innovation Outpost?
Deutschen Startups, die in die Schweiz expandieren wollen, soll ein Zugang zu etablierten Unternehmen geboten werden – so die Idee hinter Swiss Innovation Outpost. Das gemeinsame Projekt von sieben Schweizer Firmen soll die Sichtbarkeit der Schweiz und der beteiligten Marken unter Deutschlands Jungunternehmen erhöhen und die richtigen Leute auf Innovatoren- wie auf Corporate-Seite zusammenbringen.
Zunächst ein Jahr lang wollen die Outpost-Exponenten regelmässig an Netzwerktreffen der deutschen Gründerszene und eigenen Veranstaltungen Präsenz zeigen. Sie werben mit kurzen Kommunikationswegen und direktem Zugang zu Entscheidungsträgern: Alle beteiligten Unternehmen verfügen über eine eigene Innovationsabteilung. Über eine physische Anlaufstelle in Deutschland verfügt der Outpost vorerst nicht.
Netzwerktreffen mit vertauschten Rollen
Startups treffen also Unternehmensvertreter zum Networking. Dass es hier die Unternehmensvertreter sind, die auf der Bühne stehen und in drei Minuten ihr Geschäftsmodell vorstellen, während sich die Gründer die Pitches in bequemer Sitzhaltung interessiert bis kritisch zu Gemüte führen, wirkt sympathisch. Auch die Beziehung Deutschland-Schweiz im Technologie- und Innovationsbereich zeigt ein untypisches Gesicht: Meist hoffen da Schweizer Ideen auf den Sprung in den grösseren deutschen Markt. So wird es etwa Mitte März an der Digitalmesse CeBIT wieder zu erleben sein; die Schweiz ist Gastland. Hier bemühen sich die Grossen um die Kleinen. Aber warum eigentlich?
Der Ruf Berlins als Kreativnährboden ist bekannt. Doch auch die Schweiz gilt nicht als Land, in dem ein Mangel an Ideen herrscht, im Gegenteil: Jahr für Jahr führt die Eidgenossenschaft zahlreiche InnovationsExterner Link– und Wettbewerbsfähigkeits-RankingsExterner Link an. Und sie tut viel, um diese Position zu verteidigen: Rekordsummen fliessen in die Forschung, im Januar hat der Swiss Innovation ParkExterner Link mit fünf Standorten eröffnet, selbst Städte haben eine DigitalisierungsstrategieExterner Link. Auch die Firmen stecken weltweit am meisten Geld in die Digitalisierung. Was fehlt den Outpost-Unternehmen zu Hause, das sie in Deutschland zu finden hoffen?
Adrian Bührer, Leiter des Swiss Life Labs beim gleichnamigen Versicherer und selbst mehrfacher Unternehmensgründer, gibt eine erste Antwort: «In Berlin findet man für fast jedes Projekt sehr schnell sehr viele sehr talentierte Leute, zu einem äusserst» – er zögert – «vernünftigen Preis». Da könne Zürich nicht mithalten.
Die Kostenfrage liegt wohl auch einer Eigenart vieler schweizerischer Innovationen zugrunde: Sie sind typischerweise evolutionär, Bestehendes wird perfektioniert. Traditionell stark ist die Eidgenossenschaft im so genannten B2B-Bereich, dem Geschäftskundensegment, etwa in der Medizintechnik oder Finanztechnologie. Das sind Sektoren, die sich eher langsam verändern. Auch Pharma und Chemie denken aufgrund hoher Anfangsinvestitionen in langen Zyklen.
Herausforderung disruptive Innovationen
Weniger oft kommen konsumentennahe und vor allem so genannt disruptive Innovationen aus der Schweiz – also Neuerungen, die bisher geltende Spielregeln fundamental verändern. Die wahren Revolutionen eben – und die, die sich wirklich bezahlt machen. Ein Projekt über drei, vier Jahre mit hohem Personalaufwand zu entwickeln und zu testen, das im schlimmsten Fall auch scheitern kann, liegt im Hochlohnland Schweiz finanziell kaum drin, und so zielen die Firmen eher auf eine rasche Marktreife. Darum die vielen inkrementalen Innovationen aus Helvetien.
Und darum der Swiss Innovation Outpost: Denn in einer Welt, die sich in immer schnelleren Zyklen verändert und erneuert, dürften Disruptionen in Zukunft auch im Land des Innovationsweltmeisters eine immer bedeutendere Rolle spielen. Momentan müssen sich die Schweizer Unternehmen diese Art neuer Ideen im Ausland holen.
Etwa die Elektrizitätswerke Zürich (EWZ), eines der Mitglieder des Swiss Innovation Outpost. Noch verdienen die EWZ rund 90% ihres Umsatzes mit Strom. Doch der Strommarkt bricht zusammen, die Produktion lohnt sich kaum noch, und eine weitere Liberalisierung steht 2018 bevor. «Die Energiewende ist da, und wir müssen sehen, dass wir dranbleiben», bringt es Stephanie Engels, Leiterin Unternehmens- und Geschäftsentwicklung, auf den Punkt. Das heisst Diversifizieren – Wärmeverbünde, Arealvernetzung – und Digitalisieren: Seit Mitte Januar testenExterner Link EWZ, SBB und die Axa-Versicherung gemeinsam das Kundenfeedback-Tool Smoope. Die Grossen kennen sich und spannen zusammen: eine weitere Schweizer Eigenart.
Fruchtet die Charmeoffensive?
Wird die eidgenössische Charmeoffensive von den Umworbenen erhört? Was kann ihnen der Schweizer Markt bieten? Vielleicht ist das Interesse sogar grösser, als die Initatoren des Outposts gedacht hätten: Auf eine als «Testballon» versandte E-Mail kurz vor der Veranstaltung, es seien noch Restplätze frei, reagierten innert Stunden über 30 Startups, erzählt Dominik Wensauer. Und Gründer Christoph Drebes meint: «So klein und unwichtig ist der Schweizer Markt gar nicht.» Es sei doch naheliegend, innerhalb des deutschsprachigen Raums auch über Grenzen hinweg präsent zu sein: «Viele Firmen mit Schweizer Hauptsitz sind zudem international tätig und öffnen so globale Türen.» Drebes› «Mystery Lunch» vernetzt Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen oder Unternehmen über ein gemeinsames Mittagessen, per Zufallsgenerator. So sollen neue Blickwinkel auf die eigene Arbeit entstehen.
In der Schweiz lockt ein stabiler, liberaler Markt mit einem attraktiven Preisniveau – klein bleibt er. Beim Überwinden der oft unterschätzen Eintrittshürden können die Paten vom Swiss Innovation Outpost hilfreich sein. Generell ist die Kooperation mit grösseren Unternehmen in der Schweiz ein vielversprechender Weg, möchte man Innovationen am Markt etablieren.
Die Zukunft wird’s weisen
Wirkten die Unternehmen auf der Bühne noch etwas vage, scheint das direkte Networking am Buffet fruchtbar gewesen zu sein. Christoph Drebes ist jedenfalls zufrieden: Sein Konzept war potenziell für alle Firmen interessant. Einige Anpassungen im Datenschutzbereich müsste er wohl vornehmen. «Es war schön zu sehen, dass die Firmen echtes Interesse zeigten und neuen Input brauchen können», fasst er zusammen. Auch Veranstalter Wensauer bestätigt gutes Feedback von Corporate- wie von Gründerseite.
Ist der Swiss Innovation Outpost geeignet, die Startups für die Schweiz zu begeistern, mit denen die Unternehmen die entscheidenden Schritte gehen können, um durch Digitalisierung und Diversifizierung hindurch wettbewerbsfähig zu bleiben? Es wird sich zeigen. In gewisser Hinsicht ist der Swiss Innovation Outpost selbst ein Startup-Projekt, in das die Beteiligten etwas Risikokapital einschiessen, in eines, das scheitern kann. Den ersten Realitätscheck hat es an diesem Abend gut überstanden, es scheint Potenzial vorhanden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch