Schweizer Uhrenhersteller müssen sich zusammenraufen, um Apple & Co. zu kontern
Angesichts der Schwierigkeiten der Uhrenmesse Baselworld braucht die Uhrenindustrie ein neues Schaufenster, um ihr Knowhow und ihre Meisterschaft hervorzuheben. Doch statt sich zusammenzuschliessen, verlieren sich die Hersteller in Eigeninitiativen. Jetzt soll der Bund das Zepter übernehmen, fordert ein Branchenexperte.
Bis vor nicht allzu langer Zeit waren die Dinge für die Schweizer Uhrmacher relativ einfach. Jedes Jahr trafen sie sich im Frühling am Rheinufer zur BaselworldExterner Link, der bedeutendsten Veranstaltung der Branche.
Es war ein wichtiges Treffen für die Marken, konnten sie doch dort einen grossen Teil ihrer Jahresaufträge unter Dach und Fach bringen. Zudem war es eine einzigartige Gelegenheit für die unter dem Label «Swiss made» vereinte Branche, ihren Glanz und ihre Kreativität zu präsentieren.
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Sechs Fakten über die Schweizer Uhrenindustrie
Das ist heute Geschichte. Die Baselworld verlor in den letzten zwei Jahren mehr als die Hälfte ihrer Aussteller und Besucher. Die Swatch Group, der weltgrösste Uhrenkonzern, verliess die Messe im Sommer 2018 mit einem Paukenschlag – und scheint es nicht eilig zu haben, zurückzukehren.
In jüngerer Zeit drohte auch die französische Luxusgüter-Gruppe LVMH damit, der Veranstaltung am Rhein ab 2021 den Rücken zu kehren. Die vier Uhrenmarken der Gruppe – Tag Heuer, Hublot, Zenith und Bulgari – zogen es vor, Mitte Januar eine eigene Veranstaltung in Dubai zu organisieren, und führten geringere Kosten sowie einen günstigeren Kalender für die Präsentation ihrer Kollektionen ins Feld.
Ego-Kämpfe überwinden
Audemars Piguet schlug denselben Pfad wie schon andere Marken ein mit der Ankündigung, nach 2019 nicht mehr am Genfer UhrensalonExterner Link teilzunehmen. Der Event in der Calvinstadt ist das Pendant zur Baselworld, jedoch der Ultraluxus-Uhrenbranche vorbehalten. Das unabhängige Unternehmen aus dem Vallée de Joux, das im letzten Jahr einen Umsatzrekord von über 1,2 Milliarden Franken machte, will künftig stattdessen auf regionale Veranstaltungen setzen, um in Hongkong oder New York direkter mit Kunden und Kundinnen in Kontakt zu treten.
«Die Markenunternehmen wollen ihre Endkunden heute lieber direkt ansprechen und nicht mehr über Zwischenhändler. Dies ist ein unumkehrbarer Trend, den die Uhrenmessen nicht früh genug haben kommen sehen», sagt Olivier Müller, Uhrenexperte bei LuxeConsultExterner Link.
Die Baselworld hat tatsächlich ihre Mängel. Es sind dies die exorbitanten Preise, bunkermässige Stände, die für den Durchschnittsbesucher Sperrgebiet waren, gegenseitiges, protziges Übertrumpfgehabe. Dies trug zu ihrem Niedergang bei. Doch die Messe am Rhein war eine der wenigen Plattformen, die es geschafft hatte, die Akteure einer Branche zu vereinen, in der Rivalitäten und Ego-Rangeleien der Normalfall sind.
«Die Schweizer Uhrmacher müssten alles Interesse an Zusammenarbeit haben, statt auf Alleingänge zu setzen.» Olivier Müller, Branchenexperte
«Wir brauchen unbedingt eine Organisation, die das Zepter in die Hand nimmt, um den Wert der Schweizer Uhrenbranche als solche zu sichern. Die Schweizer Uhrmacher müssten alles Interesse an Zusammenarbeit haben, statt auf Alleingänge zu setzen», sagt Müller.
Erste Kontakte mit dem Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) und Persönlichkeiten aus der Uhrenbranche seien bereits geknüpft, um die Machbarkeit eines solchen Projekts auszuloten. Sollte kein privater Akteur Interesse zeigen, ist Olivier Müller bereit, sich an den Bund zu wenden.
Wink mit dem Zaunpfahl an Präsenz Schweiz
«Diese neue Unit würde als Facilitator agieren. Sie könnte zum Beispiel Events auf Schweizer Botschaften organisieren, oder eine Art ‹Wanderzirkus› der Schweizer Uhrmacherei mit Auftritten in verschiedenen Destinationen der Welt. Natürlich würde sie nicht an Stelle der Marken treten, was deren Kommunikation angeht», erläutert der Experte.
Und wer könnte diese Aufgabe besser erfüllen als Präsenz SchweizExterner Link, die Institution, die für die Imageförderung des Landes im Ausland zuständig ist?
Zwar hat sich Präsenz-Schweiz-Direktor Nicolas Bideau in den vergangenen Jahren vor allem darauf konzentriert, das Image einer hochtechnologischen, coolen Schweiz zu verkaufen. Aber «jenseits von Drohnen, Künstlicher Intelligenz und Medizintechnik darf man nicht aus den Augen verlieren, dass die Uhrenindustrie die drittgrösste Schweizer Exportindustrie ist und in der Schweiz fast 60’000 Personen beschäftigt», ruft Olivier Müller in Erinnerung.
Art der Zusammenarbeit offen
Auf Anfrage von swissinfo.ch zeigt sich Nicolas Bideau offen gegenüber Olivier Müllers Idee. «Wir sind immer offen für Zusammenarbeit. Bisher wurden wir von den Dachverbänden zu diesem Thema noch nicht kontaktiert. Sollte es aber dazu kommen, würden wir sehr gerne darüber diskutieren, in welchem Rahmen unsere gesetzliche Aufgabe der Imageförderung der Schweiz auf diesen Bereich angewendet werden könnte», so Bideau.
Auch müsste man anschauen, welche anderen Akteure miteinbezogen werden sollten, vor allem solche aus dem Bereich der Exportförderung.
Zur Form einer möglichen Zusammenarbeit würde es weitere Überlegungen brauchen. Dabei müssten auch die «Besonderheiten der Branche, unsere jeweiligen Aufgaben und die faire Behandlung mit Blick auf andere Sektoren» im Auge behalten werden, unterstrich der Direktor von Präsenz Schweiz.
«Die wichtigsten Zahlen für die Uhrenbranche sind die Verkaufszahlen, nicht die Besucherzahlen von Messen.» Nicolas Bideau, Direktor Präsenz Schweiz
Bideau weiter: «Auf jeden Fall ist die Uhrenindustrie einer der Motoren jenes Bildes der Schweiz, auf das wir uns stützen können. Auch wenn die Konkurrenz, vor allem im Bereich der Smartwatches, die Situation in bestimmten Segmenten deutlich verändert hat.»
Bideau appelliert aber auch daran, die Probleme der Uhrenmessen und deren Auswirkung auf die weltweite Vermarktung von Uhren mit dem Label «Swiss made» im Massstab zu sehen.
«In den letzten Jahren haben sich die Verkaufsmodelle vervielfacht. Natürlich stehen grosse Branchen-Events damit vor Herausforderungen. Diese aber nehmen ihre Zukunft nicht vorweg. Die wichtigsten Zahlen für die Uhrenbranche sind die Verkaufszahlen, nicht die Besucherzahlen von Messen. Und grundsätzlich sind die Zahlen der Branche mehr als respektabel», sagt Bideau.
Schweizer Uhrmacherei darf nicht zum Reservat werden
Angesichts der Milliarde von Zeitmessern, die jedes Jahr weltweit verkauft werden, darunter gegen 68 Millionen Smartwatches, hat die Schweizer Uhrenbranche mit weniger als 20 Millionen Uhren, die sie pro Jahr exportiert, nicht viel Gewicht, was die Stückzahl betrifft.
Das Volumen ist zudem ständig rückläufig, da das Wachstum der Branche vor allem auf das exponentielle Interesse der Konsumenten für Uhren der Spitzenklasse zurückzuführen ist, die zu einem Preis von über 3000 Franken verkauft werden.
«Wieso sollte jemand eine Uhr für 300 Franken kaufen, welche die Zeit anzeigt? Die Zeit findet sich heute überall (…). Die Spitzenklasse dagegen wird zweifellos immer funktionieren, denn Uhren im Top-Segment sind für die Ewigkeit», erklärte Jean-Claude Biver, der ehemalige Präsident der Uhrendivision der Gruppe LVMH, jüngst gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS).
Olivier Müller widerspricht: «Eine Uhr der unteren Preisklasse hält auch zwei Generationen. Die Uhrenbranche muss in allen Preissegmenten kämpfen, sonst droht die Gefahr, dass sie zu einem ‹Indianerreservat› wird.»
Laut Müller hat die Schweizer Uhrenbranche zwar eine «immense Chance» verpasst, indem sie der Smartwatch die kalte Schulter gezeigt habe, doch sei noch nicht alles verloren. «Es gibt noch einen Markt zu erobern, bei der jüngeren Generation und in den aufstrebenden Ländern. Eine Tissot für 800 Franken gilt für viele Menschen auf der ganzen Welt bereits als Luxusprodukt.»
Kontaktieren Sie den Autor auf Twitter: @samueljabergExterner Link
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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