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Den menschlichen Körper zur Stromerzeugung nutzen

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Yagi Studio Getty Images

Werden wir künftig unsere Geräte mit Energie laden, die unser Körper selbst täglich und kostenlos produziert? Ein junges, innovatives Schweizer Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, die menschliche Körperwärme in Strom umwandelt.

Vergessen wir für einen Moment Sonne, Wind, Biomasse oder Wasserkraft: Was wäre, wenn die erneuerbaren Energiequellen der Zukunft… Menschen wären? Wir alle wissen, dass unser Körper Wärme erzeugt. Das merken wir etwa, wenn wir mit Fieber im Bett liegen oder nach körperlicher Anstrengung. Es ist diese endotherme Fähigkeit, die uns von Reptilien und anderen kaltblütigen Tieren unterscheidet.

Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die menschliche Wärme in Strom umgewandelt werden kann. Die Idee ist nicht neu, aber erst in den letzten Jahren hat die Forschung Hightech-Geräte entwickelt, die sich für praktische Anwendungen und den Massenmarkt eignen. Zum Beispiel im Bereich der Wearable Technology wie Smartwatches und Fitnessarmbänder sowie im medizinischen Bereich.

Ein 2018 gegründetes Spinoff der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich will sich in diesem Zukunftsmarkt einen Platz erobern. «Ich hatte schon immer den Wunsch, etwas mit grossem Potenzial zu schaffen und habe mich für den Technologiesektor interessiert», sagt Franco Membrini, Gründer und Geschäftsführer von Mithras, gegenüber SWI swissinfo.ch. Eigentlich machte er seinen Masterabschluss im Fach Geschichte. Aber er war fasziniert von der Möglichkeit, die menschliche Körperwärme zu nutzen, und er erkannte von Anfang an «das grosse Potenzial dieser Form der dezentralen Stromerzeugung».

Potenzial: 10% der weltweit verbrauchten Energie

Der menschliche Körper gibt im Durchschnitt so viel Wärmeenergie ab wie eine 100-Watt-Glühbirne.

Ein grosser Teil dieser Energie geht in der Umwelt verloren, und genau diesen «Abfall» will das junge Unternehmen aus dem bündnerischen Chur zurückgewinnen. Dies geschieht mit Hilfe eines thermoelektrischen Generators (TEG), der den Temperaturunterschied zwischen der Hautoberfläche und der Umgebung zur Stromerzeugung nutzt (Seebeck-Effekt). Die Funktionsweise wird im folgenden Video veranschaulicht:

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«Der Temperaturunterschied zwischen der Körperoberfläche und der Umgebung ist wichtig: Je grösser er ist, desto grösser ist die Energieproduktion, egal ob man sich in einer Polarregion oder in der Wüste befindet», erklärt Membrini. «Ein Unterschied von einem Grad reicht aus, um mit der Stromerzeugung zu beginnen.»

Die gesamte Wärmeenergie des menschlichen Körpers einzufangen und mit 100-prozentigem Wirkungsgrad in Strom umzuwandeln, sei unmöglich, betont der 29-Jährige. «TEGs stellen jedoch eine vielversprechende Strategie dar und ihr Potenzial ist enorm.» Nach den Berechnungen von Mithras könnte die von den mehr als 7,7 Milliarden Einwohnern der Erde erzeugte Wärme 10% der weltweit verbrauchten Energie liefern.

Optimierung einer vergessenen Technologie

Die Idee ist nicht neu. Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts versuchen Forschende und Ingenieure, den menschlichen Körper als Quelle für erneuerbare Energie zu nutzen, so Membrini. Er nennt als Beispiel kurbelgetriebene Radiosender, die seit den 1940er-Jahren eingesetzt werden. Allerdings haben die Fortschritte bei den Batterien die menschlich betriebenen Systeme auf den zweiten Platz verwiesen.

Dank jüngster Entwicklungen in der Materialwissenschaft und tragbarer Geräte steht die von unserem Körper erzeugte Energie nun wieder im Rampenlicht. «Bei Mithras haben wir mit einer bestehenden Technologie begonnen und sie optimiert», sagt Membrini.

Der Seebeck-Effekt ist seit langem bekannt, erklärt René Rossi, Leiter des Labors für biomimetische Membranen und Textilien an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), gegenüber SWI swissinfo.ch. «Was ihre Anwendungen bisher begrenzt hat, ist die Effektivität der Systeme. Wenn man jetzt vom Milliwattbereich in den Bereich von wenigen Zehntelwatt kommt, beginnt es kommerziell interessant zu werden.»

Derzeit schreite die Forschung in mehrere Richtungen voran. «Wir entwickeln zum Beispiel intelligente Stoffe, die die Sonnenenergie nutzen. Andere Forschungsgruppen versuchen, mechanische Energie zurückzugewinnen und in Strom umzuwandeln, indem sie Generatoren in Schuhsohlen integrieren.»

Im Schlaf laden

Mithras arbeitet an zwei Konzepten: einem am Handgelenk getragenen TEG-Armband, mit dem mobile Geräte aufgeladen werden können. Bei der zweiten Lösung wird der thermoelektrische Generator direkt in ein Gerät eingesetzt und mit dessen Batterie verbunden. Die einzige Voraussetzung für die Stromerzeugung ist, dass das Gerät in Kontakt mit dem Körper ist, betont Membrini. «Es spielt keine Rolle, ob Sie gerade Kaffee trinken, Sport treiben oder schlafen – der Akku lädt sich selbst auf.»

Das Schweizer Unternehmen beschäftigt derzeit sechs Mitarbeitende und will sich vor allem auf medizinische Geräte konzentrieren, aufgrund ihres geringen Energieverbrauchs. «Wir möchten, dass Insulinpumpen, Hörgeräte oder Biosensoren, die die Körpertemperatur und Vitalfunktionen überwachen, energieautark sind», sagt Membrini. Auf diese Weise lassen sich die mit einer Batteriefehlfunktion verbundenen Probleme und die möglichen Komplikationen eines chirurgischen Eingriffs zum Austausch der Batterien vermeiden.

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit sind Mobiltelefone, obwohl diese vorerst nicht zu den Prioritäten von Mithras gehören. «Ein Smartphone verbraucht im Vergleich zu unserer Lösung zu viel Energie. Wir könnten höchstens die Lebensdauer der Batterie verlängern», so Membrini.

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Mithras ist Gewinner der letzten Ausgabe des Swisstech Pitchinar, einem Wettbewerb unter Schweizer Startups, die auf den chinesischen Markt abzielen. Sein erstes Produkt – einen Biosensor zur Überwachung von Vitalfunktionen – will Mithras bis Ende des Jahres auf den Markt bringen.

«Wir sind in Kontakt mit einigen grossen internationalen Unternehmen, die im Bereich der Medizintechnik tätig sind», sagt Membrini. «Es wird das erste Gerät seiner Art sein, das ausschliesslich mit Körperwärme arbeitet.»

Sibilla Bondolfi

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