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Schweizer Lösungen für die Speicherung der Energie von morgen

Revolutionäre Methode zur Speicherung erneuerbarer Energie

Simulation d une tour faite de blocs de bétons
Der erste kommerzielle Prototyp von Energy Vault, 60 Meter hoch, wird Anfang nächsten Jahres im Tessin zu sehen sein. Energy Vault

Die Idee scheint trivial, doch man muss darauf kommen: Betonblöcke am Seil per Kran hochziehen, mit erneuerbarer Energie, und dann bei Bedarf wieder herunterlassen, um Strom zu erzeugen. Das Tessiner Startup Energy Vault hat sich diese revolutionäre Weise der Energiespeicherung ausgedacht. Investoren und Kunden aus der ganzen Welt interessieren sich für die Technik.

Erneuerbare Energien sind gut und recht. Doch was machen wir, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind bläst? Das Startup-Unternehmen Energy Vault scheint eine Antwort auf eine der zentralen Fragen gefunden zu haben, die von Skeptikern erneuerbarer Energien immer wieder gestellt werden. Wegen fehlender Speichertechnik sind sie der Ansicht, dass sich auf Nuklearenergie und fossile Energieträger nicht verzichten lässt. Die Frage der Speicherung ist die «Achillesverse» der erneuerbaren Energieformen.

Solar- und Windenergie spielen in den Energiestrategien von immer mehr Ländern eine bedeutende Rolle. Mit diesen erneuerbaren Energiequellen soll der Einsatz fossiler Energieträger, welche CO2 und andere luftbelastende Gase ausstossen, reduziert werden.  Ausserdem muss Ersatz für die risikoreiche Nuklearenergie gefunden werden. Doch die Frage, wie sich erneuerbare Energie speichern lässt und dem schwankenden Konsum während des Tages angepasst werden kann, bleibt ein Problem.

Portrait de Robert Piconi
Robert Piconi wuchs in Kalifornien auf, wohin sein Grossvater italienischer Herkunft ausgewandert war. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet der amerikanische Unternehmer im Tessin. swissinfo.ch

«Vor zwei Jahren haben wir damit begonnen, eine Lösung für dieses Problem zu suchen», sagt Robert Piconi, Geschäftsführer von Energy Vault. Dabei präzisiert er, dass man keinesfalls in Technologien investieren wollte, die zurzeit sehr gefragt sind, das heisst Batterien zur Speicherung von Strom. «Diese Batterien benötigen chemische oder metallische Substanzen, wie Lithium, und haben daher gravierende Auswirkungen auf die Umwelt», hält Piconi fest. Zudem reduziere sich die Effizienz der Batterien von Jahr zu Jahr.

Betonblöcke statt Wasser

Die von Energy Vault gefundene Lösung besteht aus einem gigantischen Turm aus kostengünstigen Verbundsteinen, von denen jeder 35 Tonnen wiegt. Ein zentral integrierter Spezialkran mit sechs Armen lagert diese Steine – ähnlich wie beim Lego-System – von oben nach unten um und nutzt dafür erneuerbare Energie. 

Bei der Abwärtsbewegung – bedingt durch die Gravitationskraft – wird gespeicherte Energie nahezu ohne Energieverlust wieder in elektrische Energie zurückgewandelt.  Eine Spezialsoftware steuert diesen Ladungs-/Entladungsvorgang im Energiespeicherturm des Hubkraftwerks autonom. Dabei werden auch Faktoren wie Wind berücksichtigt, die sich möglicherweise auf Verbundsteine und Turm auswirken könnten.

Das System gleicht folglich dem Prinzip der bekannten Pumpspeicherkraftwerke, welche die Höhendifferenz von zwei Wasserbecken ausnutzen; eine Technik, die seit Jahrzehnten angewandt wird. Das Wasser wird auf die höhere Ebene gepumpt, wenn ein Energieüberschuss besteht und die Stromtarife niedrig sind. Wenn der Verbrauch hoch liegt, wird das Wasser abgelassen und der gewonnene Strom zu höheren Tarifen verkauft. Bis heute befinden sich 96 Prozent der weltweit gespeicherten Energie in Speicherseen.

Robert Piconi weist auf eine Schwachstelle dieses Systems hin: «Diese Kraftwerke können nur in Ländern realisiert werden, die über Berge, Wasser und gute finanzielle Ressourcen verfügen.» Und in diesen Ländern sei ein Ausbau aus Umwelt- und Naturschutzgründen heute in Frage gestellt und eigentlich nicht mehr möglich. «Unser Batterieturm lässt sich hingegen überall verwirklichen. Die Preise liegen viel tiefer und der Energieeffizienzgrad erreicht 80 Prozent, höher als in Pumpspeicherkraftwerken», betont Piconi.

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Kunden und Investoren

Laut Energy Vault erlaubt ein 120 Meter hoher Turm die Speicherung von 35 MWh an elektrischer Energie. Damit liessen sich 2000 bis 3000 Wohnungen für acht Stunden mit Strom versorgen. Die Kosten belaufen sich auf 8-9 Millionen Franken. Mitte November hat das Startup in der Tessiner Gemeinde Arbedo-Castione, einem Vorort der Kantonshauptstadt Bellinzona, ein Baugesuch für einen Prototyp eines 60 Meter hohen Speicherturms eingereicht. Dieser Prototyp wird nützlich sein, um die Software und die Prozesse zum Verschieben der Betonblöcke zu optimieren.

Sollte diese «Generalprobe» erfolgreich sein, könnte das innovative Hubkraftwerk schon ab Mitte 2020 regulär auf den Markt kommen. Die potentiellen Kunden stehen jedenfalls jetzt schon Schlange: Denn auf ein effizientes System zur Speicherung elektrischer Energie wartet man weltweit seit langem. Mehr als 100 Unternehmen haben ihr Interesse angekündigt und werden die Pilotanlage in den kommenden Monaten besuchen, darunter Tata, die grösste Industrie-Gruppe Indiens. Externer Link 

Energy Vault verfügt über ausreichende finanzielle Mittel, um die starke Nachfrage zu befriedigen. Im vergangenen August erhielt das Tessiner Startup-Unternehmen mit Sitz in Lugano eine Finanzspritze in Höhe von 110 Millionen Dollar vom Vision Fund, einem der grössten Fonds und Risikokapitalgeber für Investitionen in neue Technologien. Hinter diesem Fonds steht die japanische Softbank. Es handelt sich um einen gigantischen Betrag, von dem Startups auf der ganzen Welt träumen, bevor sie ihre kommerzielle Tätigkeit aufnehmen.

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Zusammenarbeit mit Mexikanern

In die Produktion von Batterien werden in den nächsten Jahren Milliardenbeträge fliessen. Geforscht wird in verschiedenen Bereichen und Richtungen: elektro-chemische Systeme, elektro-mechanische, thermische und Wasserstoff basierte. Doch die industrielle Stromspeicherung befindet sich noch in den Kinderschuhen. Bisher angebotene Lösungen sind weder rentabel noch nachhaltig. Die Betontürme von Energy Vault mit ihren Kränen könnten möglicherweise mittelfristig die Lücke schliessen, die bis heute im Kreislauf einer emissionsarmen Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen klafft.

«Unser System basiert grösstenteils auf einer Technologie, die schon sehr lange angewendet wird: Kräne zum Lastenaufzug, fahrbare Kräne, wie sie zum Versetzen von Containern auf Schiffen verwendet werden, Beton sowie Generatoren, wie sie von ABB hergestellt werden», betont Robert Piconi. Der innovativste Part der ganzen Anlage ist seiner Ansicht nach die Software, welche autonom die ganzen Prozesse steuert und dabei auch den Bedarf des Strommarkts sowie die Wetterverhältnisse berücksichtigt. Idealerweise würde ein solcher Energieturm in der Nähe von Wind- und Solarkraftwerken stehen sowie bei Industrieanlagen, die auch nachts nicht abgeschaltet werden.

Das Tessiner Startup-Unternehmen hat bereits eine Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Zementgiganten Cemex aufgegleist, der in der Schweiz über ein Zentrum für Forschung und technologische Entwicklung verfügt. Hintergrund dieser Zusammenarbeit ist die Produktion von Betonblöcken – kostengünstig und schadstofffrei. Für die Fertigung dieser Blöcke sollen vor allem Abfälle genutzt werden, die heute auf Deponien gelagert sind.

Grosse Erwartungen

Das Projekt geht zurück auf die Initiative des Amerikaners Bill Gross, der mit seiner kalifornischen Firma Idealab rund 150 Startup-Firmen gefördert hat, die im Bereich neuer Technologien und erneuerbarer Energiequellen aktiv sind. Um sein Projekt voran zu treiben, wandte sich Gross an zwei Bekannte: den Tessiner Ingenieur Andrea Pedretti, den Kopf hinter der Erfindung, sowie den amerikanischen Unternehmer Robert Piconi, der zufällig seit einigen Jahren im Tessin lebte.

Energy Vault muss in den nächsten Monaten unter Beweis stellen, über ein effizientes und konkurrenzfähiges System zu verfügen. Piconi, der bereits für grosse transnationale Unternehmen gearbeitet hat, ist überzeugt, das Problem der Speicherung von elektrischer Energie lösen zu können: «Es gibt weltweit hohe Erwartungen, denn bisher konnte niemand diese Herausforderung meistern. Uns ist es gelungen, langjährig bewährte Technologien mit kostengünstigen Materialien und innovativer Software zu kombinieren. Mit unserer Lösung können wir erstmals Ökostrom zu niedrigeren Preisen als Strom aus fossilen Brennstoffe produzieren, speichern und vermarkten.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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