Zensur via Subventionen?
Die Zürcher Kantonsregierung kürzt dem Theater Neumarkt wegen einer umstrittenen Aufführung einmalig die Subventionen. Ist das Zensur oder Qualitätskontrolle?
Im März sorgte die Performance «Roger Köppel – eine AbschiebungExterner Link» am Theater NeumarktExterner Link für Furore: Der Künstler Philipp RuchExterner Link inszenierte darin einen Exorzismus an Roger KöppelExterner Link, Nationalrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Mit der Voodoo-ZeremonieExterner Link sollte dem umstrittenen Politiker und Medienunternehmer der Geist eines Nazi-Propagandisten «ausgetrieben» werden. Die Zuschauer konnten Köppel im Vorfeld auf einer Internetplattform verfluchen und ihm Krankheiten und Schlimmeres an den Hals wünschen.
Über die Qualität der Performance ist man sich in der Schweiz weitgehend einig: Die Vorstellung wurde in den Medien als geschmacklos, primitiv und lächerlich verrissen.
Kunstfreiheit in der Schweiz
Die Kunstfreiheit ist in der schweizerischen Bundesverfassung und diversen Menschenrechtsabkommen verankert. Verboten ist unter anderem die Zensur künstlerischer Produkte aufgrund politischer Interessen. Es ist jedoch legitim, rassistische, persönlichkeitsverletzende oder illegale Inhalte zu verbieten.
Wo die Grenze liegt, ist nicht einfach zu beurteilen. Die Schweizer Rechtsprechung stuft es beispielsweise als ehrverletzend ein, wenn Personen mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden. Ein Künstler kann sich in solchen Fällen nicht auf die Kunstfreiheit berufen.
Die SVP stellte in der Folge eine dringliche AnfrageExterner Link an die Zürcher Kantonsregierung (Regierungsrat) zum Thema finanzielle Unterstützung des Theaters am Neumarkt. Der Kanton Zürich subventioniert das Theater nämlich mit jährlich 330’000 Franken. Der Zürcher Regierungsrat verurteilte die Performance in seiner AntwortExterner Link aufs Schärfste.
Soweit so gut. Hätte der Regierungsrat es dabei bewenden lassen, hätte sich niemand an der Einmischung der Regierung gestört. Doch er liess es nicht dabei bewenden, sondern kürzte die Subventionen an das Theater Neumarkt für das Jahr 2017 um 50’000 Franken auf 280’000 Franken.
Der Kanton begründet die einmalige Kürzung auf Anfrage von swissinfo.ch mit den Aufwendungen der Verwaltung für die Beantwortung der dringlichen Anfrage.
Diese Begründung lässt aufhorchen. Gehört es nicht zu den selbstverständlichen Aufgaben der Verwaltung, politische Vorstösse zu behandeln? «Im Kanton Zürich ist es nicht üblich, dass Kosten von politischen Anfragen oder Vorstössen verrechnet werden», gibt sogar die Leiterin der Fachstelle Kultur beim Kanton Zürich, Madeleine Herzog, zu.
Schweizer Medien stufen die Subventionskürzung infolgedessen auch als «Bestrafung» oder «Quittung» für die missratene Performance am Theater ein.
Theater Neumarkt ist keine Ausnahme
Es ist nicht das erste Mal, dass die Politik mit Kürzungen der Subventionen auf nicht genehme Kultur reagiert: 2004 provozierte der Künstler Thomas HirschhornExterner Link mit einer Installation im Schweizer Kulturzentrum ParisExterner Link, weil er die Schweiz mit einem Foltergefängnis im Irak in Verbindung brachte und ein Bild des SVP-Politikers Christoph BlocherExterner Link anpinkeln liess.
Das Parlament strafte die schweizerische Kulturstiftung Pro HelvetiaExterner Link, welche die Ausstellung finanziell unterstützt hatte, mit einer Subventionskürzung in der Höhe von einer Million Franken.
Der damalige Direktor von Pro Helvetia, Pius KnüselExterner Link, sieht Parallelen zwischen dem Fall Hirschhorn und dem Theater Neumarkt: «Beides waren extreme künstlerische Manifestationen. Beide haben starke Reaktionen ausgelöst.»
Auch im Fall Hirschhorn wollte man zunächst exakt jene 180’000 Franken streichen, die Pro Helvetia an die Ausstellung gezahlt hatte. «Die Verrechnung von so genannten Aufwendungen verleiht der Strafe eine Scheinlegitimität beziehungsweise soll ihre Höhe erklären. Es ändert nichts daran, dass es eine Strafaktion bleibt», sagt Knüsel.
Fast wie Erdogan…
Laut Knüsel ist die Subventionskürzung zweifellos eine Form von Zensur, wenn auch nachträglich. Anderer Meinung ist Herzog vom Kanton Zürich: «Um Zensur würde es sich nach meinem Verständnis handeln, wenn der Regierungsrat versucht hätte, die Veranstaltung zu unterbinden oder zu verbieten.» Grundsätzlich anerkenne der Regierungsrat die «Bedeutung der Institution», was sich darin zeige, dass ab 2018 wieder der volle Beitrag an das Theater Neumarkt gezahlt werde.
Mit dieser Argumentation reiht sich der Kanton Zürich in die Logik des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan ein, der seit 2012 mit der «Privatisierung» von Theatern für Aufruhr sorgt: Die bisher staatlich finanzierten türkischen Theater erhalten grundsätzlich keine öffentlichen Gelder mehr, die Regierung tritt aber als «Sponsor» für Stücke auf, die den Machthabern genehm sind.
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«Den Preis bezahlt der Künstler!»
Herrschen in Zürich also türkische Verhältnisse? Nicht ganz, immerhin ging es im Fall vom Theater Neumarkt um eine mögliche Persönlichkeitsverletzung oder gar Aufruf zu Gewalt.
Aber wo verläuft die Grenze zwischen Kunstfreiheit und Rechtsverletzungen? «Die Freiheit der Kunst hat ihre durch das Strafrecht bestimmten Grenzen», meint Knüsel. «Doch um sie sichtbar zu machen, müsste in diesem Fall Roger Köppel Klage einreichen.»
Roger Köppel hat bisher jedoch keine rechtlichen Schritte gegen das Theater oder gegen den Künstler Ruch eingeleitet. Er legt in dieser Sache eine Gelassenheit an den Tag, die auch Knüsel begrüsst: «Gelassenheit, meine ich, ist immer noch das beste Mittel in solchen Fällen. Auch auf Seiten der Politik. Das Neumarkt Theater hat sich mit der Aktion derart lächerlich gemacht, es wird sich auch ohne Strafe hüten, ähnliche Dummheiten zu begehen.»
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