Juristische Schritte gegen Anhänger der Gülen-Bewegung
Nach verschiedenen Medienberichten, wonach der Rachefeldzug des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen potentielle Feinde auch die Schweiz erreicht habe, hat die türkische Botschaft an einer Medienkonferenz Stellung genommen. Der Botschafter ad interim bezeichnete die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation. Die türkische Botschaft erwäge juristische Schritte gegen Mitglieder dieser Bewegung auch in der Schweiz.
Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch habe die Türkei klare Beweise, dass die Gülen-Bewegung eine terroristische Organisation sei, sagte Volkan Karagöz, Botschafter ad interim, gleich zu Beginn der Medienkonferenz in der türkischen Botschaft. Fethullah Gülen – einst ein enger Gefolgsmann des Staatspräsidenten, der sich später wegen Korruptionsvorwürfen gegen das Umfeld des Regimes mit Erdogan überwarf – ist von Erdogan nach dem Putschversuch zum grössten Staatsfeind erklärt worden.
Auf die Frage, ob auch Anhänger dieser Bewegung in der Schweiz vom türkischen Staat als Terroristen betrachtet würden, sagte Karagöz: «Es gibt in vielen Ländern Mitglieder dieser Bewegung.» Wenn es solide Beweise gebe dafür, dass eine Person oder Institution involviert sei, mache sie sich der Mitwirkung schuldig.
Die Schweiz habe eine andere Definition für terroristische Organisationen. Aber die Türkei stehe in dieser Frage in Kontakt mit den Schweizer Behörden. Karagöz will nicht ausschliessen, dass gegen Gülen-Anhänger juristische Schritte unternommen würden. Gründe, weshalb die Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei aber auch im Ausland in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden sind, konnte oder wollte er nicht nennen.
Keine Schweizer Rechtshilfe für politische Verfahren
Für den angedrohten Rechtsweg gibt es jedoch Hürden. Wenn ein ausländischer Staat für ein Strafverfahrens Informationen aus der Schweiz benötige, müsse er ein Ersuchen um Rechtshilfe stellen, schreibt das Bundesamt für Justiz (BJ) auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Falls ein Staat Personen, die sich in der Schweiz befänden, festnehmen lassen wolle, müsse er ein Auslieferungsersuchen stellen, so das BJ in der Stellungnahme. Für die Schweizer Rechtshilfe müssten aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Das BJ erwähnt etwa, dass ein Delikt in beiden Ländern strafbar sein müsse. Zudem leiste die Schweiz keine Rechtshilfe, «wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die nach schweizerischer Auffassung vorwiegend politischen Charakter hat».
Hetzjagd auf sozialen Medien
Die Stellungnahme der türkischen Botschaft ist eine Reaktion auf Medienberichte der letzten Tage, wonach auch in der Schweiz eine Hetzjagd gegen Erdogan-Kritiker vor allem über soziale Medien stattfinde. «Seine Anhänger rufen auf Facebook und Whatsapp dazu auf, Regimekritiker zu melden», berichtete «20 Minuten». Die Gratiszeitung zitierte mehrere Posts, die einer eigentlichen Hetzjagd gleichkommen: «Wir werden gemeinsam die Höhlen der Putsch-Sympathisanten stürmen. Wer möchte diese terroristischen Landesverräter denn nicht anzeigen?»
In einem weiteren Post wird die Schliessung einer Schule gefordert, die im Rahmen der Gülen-Bewegung im Jahr 2009 in Zürich gegründet wurde. «Auf dem Post ersichtlich sind ein Foto der Schule, die Adresse und die Telefonnummer. Darüber steht unter anderem: ‹Wer hier seine Kinder in die Schule schickt, sollte sofort damit aufhören›.»
Der Bruch zwischen Gülen und Erdogan habe schon vor drei Jahren die türkische Gemeinschaft in der Schweiz gespalten. Mit dem Resultat, dass Freunde plötzlich nicht mehr miteinander gesprochen hätten, sagte Cebrail Terlemez gegenüber Schweizer Radio SRF. Der Zürcher Historiker ist Kenner der Gülen-Bewegung und Beirat des Dialoginstituts Zürich. «Die Ereignisse in der Türkei beschäftigen türkische Staatsbürger in der Schweiz. Die Polarisierung nimmt zu – auch wenn alle erleichtert sind, dass der Putschversuch vorüber ist.»
Angst vor dem langen Arm Erdogans haben auch die vielen Kurden in der Schweiz, die in der Vergangenheit ihre Rechte oft auch auf der Strasse eingefordert hatten. «Diesmal sind Kurden vorsichtig», betitelt die Basellandschaftliche Zeitung ein Interview mit Edibe Gölgeli. Die kurdischstämmige Kantonsparlamentarierin aus Basel ist auch Präsidentin der «Schweizerisch-Kurdischen-Gemeinschaft». Jetzt wäre der falsche Zeitpunkt, um gegen Erdogan auf die Strasse zu gehen. Die Kurden würden den Putschversuch auch verurteilen, sagt Göldeli in dem Interview. Erdogan müsse auf demokratischem Weg aus dem Amt vertrieben werden.
Auf die Frage, ob sich der türkische Staatspräsident nicht ins Fäustchen lache, wenn er vom Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter zur Mässigung aufgerufen werde, sagt die junge Politikerin: «Das reicht natürlich nicht! Die Schweiz kann die Türkei auffordern, demokratisch zu handeln und sofort mit der Lynchjustiz aufzuhören. Geht Erdogan nicht darauf ein, muss die Schweiz mit Sanktionen drohen, mit dem Ende der wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei.»
Gölgeli befürchtet einen Bürgerkrieg in der Türkei und rechnet damit, dass viele Türken flüchten werden.
Dass Asylfälle aus der Türkei in der Schweiz zunehmen könnten, sei realistisch, wird der freisinnige Parlamentarier Kurt Fluri in der Berner Tageszeitung Der Bund zitiert. Die Gesuche müssten genau geprüft werden. Aber ob es Erdogan gefalle oder nicht, dürfe beim Entscheid keine Rolle spielen. Ganz anders äussert sich im gleichen Artikel Andreas Glarner von der rechtskonservativen SVP. Es gebe keinen Grund, den Putschisten in der Schweiz Asyl zu gewähren. Erdogan sei ein demokratisch gewählter Präsident.
Vor dem türkischen Konsulat in Zürich gingen am Wochenende mehrere hundert Anhänger von Erdogan auf die Strasse, die ihre Freude über das Misslingen des Putschversuchs kundtaten. Über die kleine Demonstration, die laut Polizeiangaben friedlich verlaufen ist, berichteten lokale Medien in einer Randnotiz.
Keine Abhörgeräte für Türkei
Wegen der Säuberungswelle in der Türkei verschärfe das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) seine Bewilligungspraxis für Güter, die zur Repression der Bevölkerung dienen könnten, schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). «Aufgrund der jüngsten Ereignisse in der Türkei werden Güter der Überwachungstechnologie noch strenger überprüft», wird der Leiter Exportkontrolle beim Seco, Jürgen Böhler, zitiert. Schon vor dem Putschversuch sei die Ausfuhr von Mobilfunk-Abhörgeräten unterbunden worden.
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