Wie soll die Schweiz auf Provokationen Ankaras reagieren?
Der Abstimmungskampf über die Einführung eines Präsidialsystems, das dem türkischen Präsidenten mehr Macht einräumen würde, sorgt in westeuropäischen Ländern für heftige Debatten. Auf die Provokationen Ankaras in ihrem Hoheitsgebiet haben diese Länder unterschiedlich reagiert. Die Meinungen, was dagegen unternommen werden muss, gehen auch in der Schweiz auseinander.
Letzte Woche hiess es noch, der türkische Aussenminister verzichte – nach einem Telefongespräch mit seinem Schweizer Amtskollegen – auf einen Auftritt in der Schweiz. Überraschend für die Öffentlichkeit kam Mevlüt Cavusoglu am Donnerstagnachmittag dann doch zu einem Besuch in die Schweiz. In der türkischen Botschaft in Bern sprach er am Abend vor rund 60 geladenen Landsleuten. Bei einem Gespräch unter vier Augen habe der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter seinem Amtskollegen allerdings erklärt, dass die Türkei die Schweizer Gesetze zu respektieren habe, teilte das Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA in einem Communiqué mit.
Ermittelt Bundesanwaltschaft?
Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei sind laut Medienberichten in der Schweiz regierungskritische Personen der türkischen Diaspora bespitzelt und nach Ankara gemeldet worden. Der Urner Standesvertreter, FDP-Ständerat Josef DittliExterner Link, hatte letzte Woche Strafanzeige gegen Unbekannt wegen verbotenem Nachrichtendienst eingereicht. «Es geht nicht an, dass aus dem Ausland gesteuerte Organisationen in der Schweiz Personen ausspionieren», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Wenn sich die starken Verdachtsmomente bewahrheiten sollten, müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.»
Er hoffe, dass die Bundesanwaltschaft von der Schweizer Regierung grünes Licht für die Aufnahme von Ermittlungen erhalten werde. Auf Anfrage bestätigt die Bundesanwaltschaft lediglich, dass «die Strafanzeige momentan geprüft wird».
Aussenminister Burkhalters deutliche Worte an die Adresse der Türkei deuten allerdings darauf hin, dass dies bereits geschehen ist. «Die Schweiz wird Hinweisen auf verbotene nachrichtendienstliche Tätigkeiten konsequent nachgehen», steht im Communiqué.
Ständerat Dittli betont, dass seine Strafanzeige nichts mit einer Einschränkung der Redefreiheit zu tun habe. «Unsere Gesetzgebung lässt grundsätzlich zu, dass ausländische Repräsentanten dank der Redefreiheit öffentlich auftreten dürfen – vorbehältlich der Gewährung der öffentlichen Sicherheit, die in der Kompetenz der Kantone liegt.»
Redefreiheit einschränken?
Redefreiheit haben Ausländer in der Schweiz erst seit 1998, als ein Bundesbeschluss aus dem Jahr 1948 aufgehoben wurde. Laut diesem durften Ausländer auf Schweizer Territorium ohne Bewilligung nicht öffentlich über politische Themen sprechen. Christoph BlocherExterner Link, Übervater der Schweizerischen Volkspartei und ehemaliger Bundesrat, möchte diese Einschränkung der Redefreiheit für Ausländer nun wieder einführen, wie er gegenüber der Basler Zeitung ausführte.
Die Aktivitäten des verlängerten politischen Arms der Türkei in der Schweiz missfallen nicht nur Blocher. Auseinander gehen die Meinungen aber zur Frage, wie auf die Provokationen Ankaras reagiert werden soll.
Im Vergleich zu den Niederlanden, welche türkischen Ministern einen Auftritt auf holländischem Boden verbieten, habe die Schweiz zwar geschickt reagiert, sagt der Luzerner FDP-Ständerat Damian MüllerExterner Link gegenüber swissinfo.ch. «Aussenminister Burkhalter hat gezeigt, was mit Diplomatie alles möglich ist.» Aber, schiebt Müller gleich nach, «die Schweiz muss aufpassen, dass sie nicht in Verruf kommt, Diplomatie mit Politik zu vermischen.» Die Schweiz dürfe nicht zulassen, dass die Redefreiheit missbraucht werde. «Einen ausländischen Abstimmungskampf auf Schweizer Hoheitsgebiet verurteile ich klar.» Die Schweiz solle ihr demokratisches Staatsverständnis der türkischen Seite auf diplomatischer Ebene erklären, sagt Müller.
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Dialog aufrechterhalten?
«Für mich ist die Respektierung der Menschenrechte zentral», sagt Pierre-Alain FridezExterner Link gegenüber swissinfo.ch. Der SP-Nationalrat des Kantons Jura gehört zu einer Delegation von rund 30 europäischen Parlamentariern und Vertretern der OSZE, die Mitte April im Auftrag des Europarats zur Beobachtung des Abstimmungskampfs in die Türkei reisen. «Wenn man diesen Ländern helfen will, demokratische Fortschritte zu machen, muss man den Dialog mit der Regierung aufrechterhalten», sagt Fridez.
Auf die Frage, ob angesichts der zahlreichen Berichte über Menschenrechtsverletzungen und willkürliche Verhaftungen in der Türkei ein Abstimmungskampf unter demokratischen Bedingungen überhaupt denkbar sei, sagt Fridez: «Unsere Mission bedeutet nicht eine Unterstützung der Macht Erdogans. Ziel ist es vielmehr, Zeugnis abzulegen von dem, was wir beobachten werden.»
Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei gäben Anlass zu grosser Sorge. Es sei auch die Rede von einer Wiederreinführung der Todesstrafe. «Diese rote Linie darf Erdogan nicht überschreiten, sonst kann das Land nicht im Europarat bleiben.»
Erdogan-freundliche Türken
In einigen Ländern Europas, darunter auch in der Schweiz, steht die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) laut Medienberichten der Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan nahe. Der Schweizer Ableger des Vereins wollte vor der türkischen Referendumsabstimmung (über mehr Macht für den Präsidenten) politische Veranstaltungen durchführen, die zum Teil von den Behörden in der Schweiz verhindert oder verboten wurden.
Auslandtürken können bis am 9. April auf der türkischen Botschaft in Bern oder in einem der Generalkonsulate in Zürich und Genf ihre Stimme abgeben. Manche trauen sich aus Angst vor Repression allerdings nicht, dorthin zu gehen. Sprecher der türkischen Botschaft in Bern sagten nach dem gescheiterten Putschversuch, dass die Türkei Anhänger der für den Putsch verantwortlich gemachten Gülen-Bewegung auch in der Schweiz zur Rechenschaft ziehen werde.
Murat Sahin, Präsident der UETD-Schweiz, war nicht bereit, Fragen von swissinfo.ch zu beantworten.
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