Nur wenige Betrügereien mit zinslosen Covid-19-Krediten
Nur ein verschwindend kleiner Anteil aller Kreditanträge von Unternehmen in der Corona-Krise sind betrügerischer Natur: Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schätzt den Anteil auf weniger als 0,1% von insgesamt 125'000 Anträgen. Die Ermittlungsbehörden befürchten hingegen viele noch unentdeckte Betrugsfälle. Beide Behörden sind sich einig, "dass Betrüger nicht ungestraft davonkommen dürfen".
Ohne Liquidität läuft ein Unternehmen Gefahr, Konkurs zu gehen. Niemand weiss dies besser, als die vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Schweiz. Das Land zählt 590’000 KMU, die 4,5 Millionen Personen beschäftigen. Von diesen wiederum sind 530’000 so genannte Mikrounternehmen. Sie beschäftigen maximal neun Mitarbeiter. Sie sind das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft.
Für die Schweizer Regierung (Bundesrat) war es daher eine absolute Priorität, einen Konkurs dieser Firmen in Folge der Corona-Krise zu vermeiden und die wirtschaftliche Stabilität des Landes zu sichern.
Vor genau zwei Monaten hat der Bundesrat ein weitgehendes Hilfspaket geschnürt, um die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie einzudämmen. Dazu gehören Überbrückungskredite für Unternehmen mit Sitz in der SchweizExterner Link. Garantiert werden Darlehen bis zu einer Gesamtsumme von 40 Milliarden Franken. Damit sollen die Unternehmen über genügend Liquidität verfügen, um ihre Fixkosten decken zu können.
«In den ersten zehn Tagen stiegen die Anfragen exponentiell an. Wir befürchteten, dass dieser Betrag nicht ausreichen würde.» Martin Godel, Seco
Das entsprechende Massnahmenpaket ist vor zwei Monaten in Kraft getreten und wird zwei weitere Monate gültig sein. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden bereits Kredite in Höhe von 15 Milliarden Franken an 124’824 Unternehmen gesprochen.
Martin Godel, Leiter Ressort KMU-Politik beim Seco, wundert sich nicht über die hohen Fallzahlen: «Vor diesem Entscheid haben wir mehrere Szenarien durchgespielt. Wir konnten uns nicht genau vorstellen, wie viele Anfragen kommen würden. Daher haben wir uns auch auf sehr viele Fälle eingestellt. Es war wichtig, rasch zu reagieren.»
Den Unternehmen stehen immer noch 25 Milliarden Franken zur Verfügung. «In den ersten zehn Tagen stiegen die Anfragen exponentiell an», so Godel. Das bedeutet: Fast 80’000 Anfragen pro Tag.
Das erste Paket des Bundesrates belief sich auf 20 Milliarden Franken. «Wir befürchteten, dass dieser Betrag nicht ausreichen würde. Die Regierung reagierte sofort mit zusätzlichen Garantien für weitere 20 Milliarden Franken. Obwohl die Unternehmen ihre Arbeit wieder aufgenommen haben, erwarten wir immer noch einen linearen Anstieg der Anfragen, aber die 40 Milliarden dürften wohl ausreichen», sagt Godel.
In der Schweiz gibt es fast 590’000 KMU (mit weniger als 250 Beschäftigten). Das bedeutet, dass ein Fünftel dieser Unternehmen einen Überbrückungskredit beantragt hat.
Für Beträge von mehr als 500’000 Franken wurden etwas mehr als 500 Anträge gestellt – für durchschnittlich 2,6 Millionen Franken pro Antrag. «Grosse Unternehmen verfügen normalerweise über ausreichende Liquidität für mehrere Monate, so dass sie weniger Hilfe benötigen. Aus diesem Grund werden von diesen Unternehmen wesentlich weniger Anträge gestellt», sagt Godel.
Er fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu: «Anträge für Beträge von über 500’000 Franken werden von den Banken sorgfältiger geprüft. Und die Bearbeitung dauert länger. Auch deshalb, weil der Bund in diesem Fall nicht 100%, sondern nur 85% des ausgezahlten Betrags garantiert.»
Wohin gehen diese Kredite?
Die meisten der bisher verteilten Covid-19-Kredite gingen an fünf Kantone, die wirtschaftlich besonders aktiv und/oder vom Coronavirus am stärksten betroffen sind: Zürich, Waadt, Bern, Genf und Tessin. Gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik sind von den 590’000 in der Schweiz registrierten KMU 360’000 in diesen fünf Regionen tätig.
Die betroffenen Wirtschaftssektoren sind vor allem der Automobilsektor (vom Verkauf über die Reparaturservice bis zum Komponentenbau), die Industrie und das Baugewerbe. Zusammen haben diese drei Wirtschaftszweige 52,7% der Überbrückungshilfen erhalten.
Für Beträge bis 20 Millionen Franken lässt sich ein Antrag für einen Covid-19-Kredit online in wenigen Minuten stellen. Der von der Regierung ausdrücklich gewünschte einfache Zugang zu diesen Krediten hat allerdings auch den Appetit von Leuten geweckt, die gar kein Recht auf diese Hilfsgelder für Unternehmen haben.
Am Montag, den 25. Mai, wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt eine Untersuchung wegen eines mutmasslichen Betrugs eingeleitet hat. Mehr als anderthalb Millionen Franken sollen illegal erschlichen worden sein. Und angeblich handelt es sich nicht um einen Einzelfall.
«Es ist relativ einfach, Kredite zu erhalten. Genauso einfach ist es aber auch, mögliche Betrüger aufzuspüren.»
Martin Godel, Seco
Der Waadtländer Staatsanwalt Anton Rüsch hat sich im dem Westschweizer Radio- und Fernsehen zum Fürsprecher einer einfachen Wahrheit gemacht: «Wir verfügen über alle Instrumente, verdächtige Fälle aufzuspüren. Wer mit einem Solidarfonds Betrügereien anstellt, wird nicht ungeschoren davonkommen.»
Die Fälle, die im Kanton Waadt aufgetreten sind, sind sicherlich keine Einzelfälle. Die Darlehen haben auch im Kanton Zürich die Fantasie potenzieller Betrüger angeregt. Mitte Mai wurden nach Angaben der Zürcher Staatsanwaltschaft rund 30 Kreditanträge über einen Gesamtbetrag von rund 2,5 Millionen Franken untersucht.
Die kantonalen Staatsanwaltschaften befürchten, dass die entdeckten Fälle indes nur die Spitze des Eisbergs sind.
Das Seco hat seinerseits kommuniziert, dass die Zahl der Verdachtsfälle sich momentan auf 117 belaufe – notabene in Bezug auf 124’824 Anträge von Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten sind und Covid-19-Kredite beantragt haben. «Diese Statistik listet aber einzig die Abklärungen der Bürgschaftsorganisationen auf, nicht von den Banken selbst», betont Godel.
Handelt es sich um viele oder wenige Fälle? «Es kommt darauf an, von welcher Seite das Problem angeschaut wird», hält Godel fest. «Wahrscheinlich gibt es viele Zweifelsfälle, die verifiziert werden müssen. Genau dies machen wir im Moment. Niemand wurde bisher angezeigt.»
Vor etwa zehn Tagen veröffentlichte das Seco einen Plan, der Massnahmen zur Eindämmung des Missbrauchsrisikos enthält, und es ermöglicht, Missbräuche aufzudecken.
«Auch wenn es relativ einfach ist, Kredite zu erhalten, kann ich angesichts der getroffenen Massnahmen garantieren, dass all diejenigen, die Kredite auf betrügerische Weise erhalten haben, später mit Sicherheit aufgespürt werden. Niemand wird entwischen. Die Warnung ist klar», sagt Godel.
Es gibt zwei Hauptbetrügereien. Die erste besteht darin, mehrere Anfragen an verschiedene Banken zu richten. Diese unzulässigen Mehrfachanträge ermöglichen es den Unternehmen, viel Geld zum Nullzins zu beschaffen.
Die zweite Betrügerei besteht darin, den Umsatz des letzten Jahres aufzublähen, um einen höheren Betrag zu erhalten, da der Covid-Kredit 10% des Umsatzes von 2019 nicht überschreiten darf. Einige Unternehmen haben zudem versucht, einen Kredit zu beantragen, obwohl sich das Unternehmen zum Zeitpunkt des Antrags in Konkurs, in einem Vergleich mit Gläubigern oder in Liquidation befand.
Einfache Anträge und begrenzte Kontrollen
Der Bundesrat hat bewusst ein einfaches System eingeführt, um den KMU einen schnellen Zugang zu Überbrückungshilfen zu garantieren. Bis zu einer Summe von 500’000 Franken werden Kredite unbürokratisch innert kurzer Frist ausbezahlt und zu 100% vom Bund abgesichert. Der Zinssatz auf diesen Überbrückungskrediten beträgt aktuell 0%.
Die Rückzahlung muss innert fünf Jahre erfolgen. Pro Unternehmen kann nur ein Gesuch für einen COVID-19-Kredit bei einer Bank gestellt werden.
Eine einfache Angelegenheit? Mit Sicherheit. Das finden wohl auch die Betrüger. Es reicht, die Webseite zu öffnenExterner Link und das Formular via Mail an eine der 123 aufgelisteten Banken zu schicken, die am Programm der Covid-Überbrückungshilfen teilnehmen. Der Zeitaufwand beträgt zirka 10 Minuten.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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