Warum Claude Peguiron keine Chemie auf seinen Feldern will
Die Debatte über den Einsatz von Pestiziden und deren Konsequenzen für Gesundheit und Umwelt macht auch vor der Schweiz nicht halt. Der Bund hat einen Aktionsplan zur Eindämmung der Risiken im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln beschlossen. Manche Bauern verzichten gänzlich auf den Einsatz von Chemie auf ihren Feldern. Ein Augenschein auf dem Bio-Hof eines Waadtländer Bauern.
Claude Peguiron hat einen festen Charakter, wie viele Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Aber der Bauer aus Mex, einem kleinen Dorf in der Nähe von Lausanne, ist nicht wortkarg, sondern freundlich und eloquent. Über die Gründe für seinen Umstieg auf Bio-Produktion, über die damit verbundene Befriedigung aber auch über die zahlreichen Fragen und Unsicherheiten, die ihn manchmal auch nachts beschäftigen, könnte er sich stundenlang auslassen.
Bio, was ist das?
Die biologische Landwirtschaft ist ein Produktionssystem im Einklang mit der Natur, das die Gesundheit der Böden, der Ökosysteme und der Menschen erhalten will. Die Methode schliesst insbesondere den Einsatz von chemischen Mitteln und genetisch veränderten Organismen aus.
Seit bald zwei Jahren trägt sein Betrieb das Knospe-Label, das von Bio SuisseExterner Link, der Vereinigung der Schweizer Bio-Landwirte, vergeben wird. Den Entscheid fällte er anfänglich nicht in erster Linie aus ökologischer Überzeugung, sondern aus gesundheitlichen Gründen: Claude Peguiron reagiert überempfindlich auf Pflanzenschutzmittel. «Manchmal wurde mir schwindlig. Wenn ich Herbizide oder Schädlingsbekämpfungs-Mittel einsetzte, schwellten die Lymphknoten auf. Einige verursachten bei mir sogar Nasenbluten», sagt der Bauer.
Dank einer Schutzmaske konnte er das Auftreten dieser Symptome einfach umgehen. Aber mit der Zeit machten sich Zweifel in seinem Kopf bemerkbar. Zum ersten Mal leuchteten die Signale auf, als die Rückstände eines Pestizids, das ein Nachbar eingesetzt hatte, auf einem kleinen Teich des Hofs landeten, in dem Kaulquappen lebten. «Ihre Entwicklung wurde von einem Tag auf den anderen gestoppt», erinnert sich Peguiron.
Ein anderes Schlüsselerlebnis hatte er auf dem Feld eines Kollegen, der ein chemisches Mittel gegen Schnecken gestreut hatte, dem aber auch zahlreiche Regenwürmer zum Opfer fielen. «Mit dem intensiven Einsatz von chemischen Mitteln bringt man Lebewesen um, die seit 2000 Jahren die natürlichen Verbündeten der Bauern sind», bemängelt er heute die konventionelle Produktion.
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Laurence, Claudes Ehefrau, hat sich umfassend über Pflanzenschutzmittel ins Bild gesetzt und daraus eindeutige Schlüsse gezogen. «Als ich die Etiketten der Fungizide und Herbizide las, die mein Mann einsetzte, bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich merkte, dass wir damit die Geister des Zauberlehrlings herbeiriefen. Niemand kennt die langfristigen Folgen dieser Produkte für den menschlichen Körper. Unsere Gesundheit und jene unserer Kinder stehen auf dem Spiel», sagt sie.
Geprüft wurden auch die wirtschaftlichen Aspekte, obwohl diese für den Entscheid nicht ausschlaggebend waren. «Der Ertrag pro Hektare ist ein wenig geringer, dafür sind die Verkaufspreise höher. Wenn man sich Mühe gibt und Glück hat, verdient man mit der Bio-Produktion etwas mehr», sagt Peguiron.
Trotzdem ist der Biobauer vom Gebaren gewisser Zwischenhändler in der Branche enttäuscht. «Die Migros [der mächtigste Grossverteiler in der Schweiz] zieht es vor, die Preise zu drücken, in dem sie Bio-Sonnenblumen aus dem Ausland kauft. Das hat uns dazu gezwungen, diese Produktion einzustellen», ärgert sich der Schweizer Landwirt, der den Import von biologischen Produkten als ökologischen Blödsinn und Bedrohung der lokalen Produzenten bezeichnet.
Konstante Zunahme der Verkäufe
2015 haben die Verkäufe von Bioprodukten im Detailhandel um 5,2% zugenommen und 2,323 Mrd. Franken erreicht. Der Marktanteil beträgt heute 7,7%.
Die Schweizer Bevölkerung gibt im Durchschnitt 280 Franken pro Person und Jahr für Bioprodukte aus, was einen Weltrekord bedeutet.
Die beiden mächtigsten Grossverteiler haben zusammen auf dem Biomarkt einen Umsatzanteil von rund drei Vierteln, 45% bei Coop, 30% bei Migros.
Rund 13% des Kulturlands werden nach biologischen Kriterien bewirtschaftet. Der Anteil hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt. Im Berggebiet (21%) liegt er deutlich höher als im Flachland (7,5%).
Der Anteil variiert auch stark von Kanton zu Kanton. In Graubünden werden rund 56% des Kulturlands biologisch bewirtschaftet, während die Bioproduktion im Kanton Waadt lediglich 5 bis 6% ausmacht.
Mehr als 6000 Betriebe produzieren gemäss den Kriterien von Biosuisse, der Vereinigung der Bioproduzenten in der Schweiz. Die 1981 gegründete Organisation vergibt das Bio-Zertifikat ‹Knospe».
Nochmals lernen
Die biologische Produktion bedeutet auch Mehrarbeit und zusätzliche Kosten. «Für gewisse Arbeiten wie die manuelle Unkrautentfernung bin ich seither auf auswärtige Hilfe angewiesen, obwohl die ganze Familie anpackt», sagt er. Es war deshalb ganz natürlich, dass die drei Kinder der Peguirons in die Überlegungen einbezogen wurden, die dem Umstieg auf Bio-Produktion vorausgingen. Der älteste Sohn, der 17-jährige Guillaume, kann sich gut vorstellen, später auf dem elterlichen Betrieb zu arbeiten. Aber weil der Hof nicht Peguirons gehört, haben ihn die Eltern ermuntert, zuerst eine andere Ausbildung zu machen.
Um 32 Hektaren Kulturland – Weizen, Roggen, Raps, Soja und Mais – ohne chemische Mittel zu bewirtschaften und 50 Stück Vieh absolut autark zu versorgen, mussten sich Peguirons weiterbilden. «Wir mussten praktisch bei null anfangen und alles vergessen, was uns in der landwirtschaftlichen Schule beigebracht worden war», sagt Claude Peguiron. Der Umstieg geschah Schritt für Schritt. Die ersten Versuche wurden auf einem Weizenfeld vollzogen. «Dort habe ich festgestellt, dass ich dem Unkraut auch ohne Chemie Herr werden kann. Das hat mich zuversichtlich gestimmt.»
Der Blick der anderen
Das Unkraut ist allerdings das Sorgenkind geblieben. «Manchmal befürchte ich, von Sauerampfer und Disteln überwuchert zu werden. Man muss spitzfindiger sein, mehr vorausdenken und rascher eingreifen, wenn Probleme auftauchen, weil es keine chemische Hintertür gibt. Mit Bio wählt man nicht den Weg des geringsten Widerstands.»
Hinzu kamen Fragen wie ‹was werden die Leute sagen?› und das Gespött der Kollegen, das ihm nicht gleichgültig war. «Ich bin der erste Biobauer im Dorf. Deshalb werden meine Felder mit grosser Aufmerksamkeit beobachtet. Sobald ein paar Gräser spriessen, gehen die Sticheleien los. Hier sind sich die Leute gewohnt, tadellos gepflegte Kulturen zu sehen. Ich muss lernen, dem nicht zu viel Beachtung zu schenken.»
Aber trotz der Zweifel, die ihn manchmal befallen, bedauert Claude Peguiron seinen Entscheid nicht. «In der Westschweiz gibt es immer noch grosse Skepsis gegenüber dem biologischen Pflanzenbau, vor allem bei grösseren Betrieben. Heute kann ich zeigen, dass es möglich ist, gänzlich auf den Einsatz von Chemie zu verzichten und trotzdem hohe Qualität zu produzieren. Ausserdem habe ich das Gefühl, für die Erde und kommende Generationen etwas Wertvolles zu tun.»
Aktionsplan für weniger Pestizide
Der Bund hat diesen Sommer einen Aktionsplan verabschiedet mit dem Ziel, bis in 10 Jahren die Risiken der Pflanzenschutzmittel um die Hälfte zu reduzieren, durch Einschränkung der Verwendung und Begrenzung der Schäden auf Gesundheit und Umwelt. Im Vernehmlassungs-Verfahren wurdeder Vorschlag eher kühl aufgenommen: Die chemische Industrie bezeichnet ihn als zu schwammig und unwissenschaftlich. Auch die Kosten, die er verursache, würden nicht genau beziffert. Die Natur- und Landschaftsschützer anerkennen zwar einen Schritt in die richtige Richtung, bezeichnen den Plan des Bundes aber als ungenügend.
«Es freut uns, dass sich der Bund mit dem wichtigen Thema beschäftigt», sagt Pascal Olivier von Bio Suisse, aber wir hätten uns gewünscht, dass er ehrgeizigere Ziele anstrebt. «In Österreich wird für eine vergleichbare Produktion zweimal weniger Pestizid pro Hektare Kulturland eingesetzt», sagt er. Die Schweiz gehört laut Olivier zu den schlechten Beispielen in Europa, was die Pestizidkonzentration in Luft, Böden und Gewässern anbelangt.
Sie können den Autor dieses Artikels über Twitter kontaktieren @samueljabergExterner Link
Was denken Sie? Kann die Landwirtschaft auf chemische Mittel verzichten, ohne dass die Menschheit einen grossen Schritt zurück macht?
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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