Billig-Busse vor der Eroberung des Schweizer Markts
Die deutsche Transportfirma Flixbus schielt auf den Schweizer Markt. Bisher hat sie noch keine Erlaubnis, Strecken innerhalb der Schweiz zu bedienen. Aber einige Benutzer setzen sich über das Verbot hinweg. Das hat swissinfo.ch auf einer Reise von Zürich nach Genf festgestellt. Die neue Konkurrenz des "Billiganbieters" beunruhigt Gewerkschaften und Bundesbahnen.
«An alle Passagiere, die in der Schweiz zugestiegen sind: Wir erinnern Sie daran, dass das endgültige Verlassen des Busses innerhalb des Landes nicht erlaubt ist.» Die Botschaft wird über die Lautsprecher des gelbgrünen Buses verbreitet. Auch auf kleinen Plakaten an den Wänden wird die Weisung in Erinnerung gerufen.
Es ist 9 Uhr 45, als der Bus der deutschen Billig-Transportfirma Flixbus Zürich verlässt. Er fährt von Konstanz (Deutschland) nach Lyon (Frankreich) und macht Halt in Zürich, Bern, Lausanne und Genf.
Auf dieser neuen, seit Oktober 2016 eröffneten Linie haben die Passagiere offiziell keine Erlaubnis, in Zürich zuzusteigen und in Bern, Lausanne oder Genf den Bus endgültig zu verlassen. Der öffentliche Verkehr hat das Monopol. Die helvetische Gesetzgebung verbietet ausländischen Firmen, in der Schweiz Transportdienstleistungen zu erbringen (Kabotage-Verbot); das heisst, Passagiere von einem Ort zu einem anderen innerhalb der Schweiz zu bringen.
Heute Morgen werden die rund fünfzehn Passagiere von der Schweizerischen Eisenbahnergewerkschaft (SEV) sensibilisiert. Zwei ihrer Mitglieder haben sich in Zürich unter die Passagiere gemischt und verteilen Flugblätter. Sie werfen Flixbus einerseits vor, Sozial- und Lohndumping zu betreiben und sich nicht an den Kosten für die Infrastruktur zu beteiligen. Andererseits wollen sie zeigen, dass das Kabotage-Verbot auf der Strecke Zürich – Genf nicht respektiert wird.
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Drei Gesuche für Linien in der Schweiz
Die Gesetzgebung für den Inlandmarkt ist nicht die gleiche wie für den internationalen Verkehr. «Eine Transportfirma mit Sitz in der Schweiz darf einen Busservice im Innern des Landes anbieten, wenn sie das Angebot des öffentlichen Verkehrs nicht wesentlich konkurrenziert und die Existenz eines bestehenden Unternehmens nicht gefährdet», sagt Florence Pictet, Mediensprecherin des Bundesamts für Verkehr (BAV).
Es gibt heute bereits Buslinien, welche die Flughäfen mit touristischen Destinationen verbinden. Domo Reisen, ein Zürcher Busreise-Unternehmen, hat ein Gesuch für Verbindungen zwischen St. Gallen und Genf, sowie zwischen Basel, Wallis und Tessin eingereicht. Das BAV prüft derzeit, ob die Firma Domo Reisen, die bereits Strecken ins Ausland bedient, die Anforderungen erfüllt.
Auf den hinteren Sitzen bereiten sich zwei Studentinnen auf eine lange Reise vor. Sie sind in Zürich zugestiegen, um nach Lyon ans Lichterfest (Fête des lumières) zu fahren. In ihrem Fall wird das Kabotage-Verbot also nicht missachtet. «Wir haben für beide zusammen rund 50 Euro ausgegeben. Mit dem Zug hätte es in jedem Fall das Doppelte gekostet. Der Preis ist entscheidend, denn als Studentinnen haben wir zu wenig Geld», sagt Lisa Süple. Die Aktion der Gewerkschaft ändert nichts an ihrer Meinung. «Ich verstehe deren Argumente. Aber es gibt auch andere Branchen, in denen die Löhne niedrig sind. Das ist das Leben.»
Nach zwei Stunden macht der Bus in Bern einen ersten Halt auf einem Abstellplatz an der Autobahn. Niemand steigt ein oder aus. Das Fahrzeug ist zu drei Vierteln leer. Unterwegs muss der Chauffeur die Fahrt wegen stockendem Verkehr mehrmals verlangsamen, was die Reise lange und ermüdend werden lässt.
Anthony scheint sich indessen nicht an den Verkehrsbehinderungen zu stören. Mit einem Lächeln auf den Lippen tippt er auf die Klaviatur seines Computers. Der anglophone Student befindet sich auf einer Reise durch Europa. Um zu sparen, hat er verschiedene Angebote für die Reise von Zürich nach Lyon verglichen. «Jenes von Flixbus war das billigste. Es stört mich nicht, wenn die Reise länger dauert als mit dem Zug. Dank einer Internetverbindung nutze ich die Reise, um zu arbeiten», erklärt er. Keiner der bisher befragten Passagiere verletzt die rechtlichen Vorschriften.
Eine Reisende im vorderen Teil des Buses möchte anonym bleiben. «Ich bin arbeitslos, mein Geldbeutel hat ein Loch, deshalb achte ich auf meine Ausgaben. Sie wissen bestimmt, dass die Preise der SBB überhöht sind!» Leicht gereizt und zögerlich behauptet sie, nach Lyon zu fahren.
Um 12 Uhr 30 hält der Bus auf einem Rastplatz kurz vor Lausanne. «Eine halbe Stunde Pause», kündigt der französische Chauffeur des Buses an. Die Passagiere nutzen den Halt, um sich zu stärken.
Von der Gewerkschaftsaktion in seinem Bus scheint sich der etwa dreissigjährige Chauffeur nicht betroffen zu fühlen. Er behauptet, noch nie Passagiere an Bord gehabt zu haben, die eine Strecke innerhalb der Grenzen zurückgelegt hätten. Der Angestellte einer französischen Transportfirma, einer Subunternehmung von Flixbus, verdient laut eigenen Angaben 1800 bis 1900 Euro pro Monat. In der Schweiz haben Buschauffeure einen Monatslohn von 4500 Franken und mehr. «Es ist eine Arbeit wie jede andere», kommentiert er etwas resigniert, bevor er den Motor wieder startet.
Flixbus ist nicht die Besitzerin der Busse, sondern arbeitet mit privaten
Transportfirmen zusammen. Der deutsche Billiganbieter streitet ab, Lohndumping zu betreiben: «Wir entlohnen keine Chauffeure, aber verpflichten alle unsere Partnerfirmen, sich an die gesetzlichen Bestimmungen in ihrem Herkunftsland zu halten», erklärt Mediensprecher Raphaël Daniel.
In Lausanne hält der Bus ein weiteres Mal, um eine kleine Reisegruppe aufzunehmen. Nach 4 Stunden und 30 Minuten erreicht der Bus schliesslich Genf. Im Zug hätte die Reise 2 Stunden und 45 Minuten gedauert. Werden einige Passagiere das Kabotage-Verbot verletzen? Die beiden Gewerkschafter, die Journalistin von swissinfo.ch und ein weiterer Journalist verlassen den Bus jedenfalls ungehindert. Die anonyme Passagierin, die angeblich nach Lyon reisen wollte, schleicht sich mit Sonnenbrille auf der Nase unter den Spruchbändern des SEV von dannen, während der Chauffeur mit den Fahrkarten der zusteigenden Passagiere beschäftigt ist. Bilanz der Reise: Fünf Personen konnten das Verbot umgehen, ohne daran gehindert zu werden.
Mögliche Sanktionen?
«Wir verlangen Kontrollen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) muss dafür sorgen, dass das Gesetz respektiert wird und Verstösse von Firmen wie Flixbus sanktioniert werden», fordert SEV-Präsident Giorgio Tuti.
Passagiere, die das Verbot missachten, können nicht bestraft werden, die geltenden gesetzlichen Bestimmungen erlauben es nicht. Das Transportunternehmen hingegen muss seine Passagiere über das Verbot informieren und darf keine Fahrkarten für eine Strecke zwischen zwei Orten innerhalb der Schweiz verkaufen oder dafür Werbung machen.
Unternehmen, welche das Kabotage-Verbot verletzen, riskieren eine Busse von bis zu 100’000 Franken oder – im Wiederholungsfall oder bei gravierenden Zuwiderhandlungen – den Entzug der Betriebsbewilligung. Das BAV hat letzten Oktober ein Verfahren wegen Kabotage-Verdacht (zwischen Zürich und Basel) gegen Flixbus eröffnet.
Mehr als eine Million Passagiere
Wie hoch die Zahl der Reisenden ist, die Flixbus für Strecken im Inland benützen, ist schwierig zu schätzen. Der Erfolg des Billiganbieters in der Schweiz ist unbestritten. Die Firma wächst rasant, ist aber noch nicht rentabel. 2016 hat sie eine Million Passagiere vom Ausland in die Schweiz befördert oder umgekehrt. Der Schweizer Markt ist im Vergleich zum Vorjahr um rund 50% gewachsen, und die Aussichten für 2017 sind günstig: «Wir sind überzeugt, dass sich die Nachfrage um rund 30% erhöhen wird, dank der Entwicklung des internationalen Netzes, vor allem für Verbindungen nach Frankreich und Italien», sagt Flixbus-Sprecher Daniel.
Das Unternehmen will in Zukunft auch Verbindungen im Innern des Landes bewirtschaften. Wenn eine behördliche Bewilligung vorliege, werde die Firma Strecken in der Schweiz bedienen, sagte Flixbus-Gründer André Schwämmlein in einem Interview mit der Zeitung Blick.
Wird die Schweiz dem Beispiel seiner Nachbarländer Deutschland und Frankreich folgen, die den Transportmarkt liberalisiert haben? Die Gewerkschaften bekämpfen eine Liberalisierung, gewisse Politiker fordern eine Öffnung. Das Parlament hat eine Bestandesaufnahme des internationalen und nationalen Personentransports verlangt. Ein Bericht dazu wird im laufenden Jahr erwartet.
Konkurrenz für die Bahn?
Die neuen Billiganbieter sind für die internationalen Bahnunternehmen eine bedeutende Konkurrenz. Der Chef der Schweizerischen Bundesbahnen, Andreas Meyer, macht sie für den Verlust von 5 Mio. Franken bei Lyria, einer Tochtergesellschaft von SNCF (74%) und SBB (26%), im ersten Semester 2016 verantwortlich.
«Low-Cost-Busse sind wie andere neue Mobilitätsformen, insbesondere die Mitfahrgemeinschaften, eine Konkurrenz für die SBB», sagt deren Mediensprecher Frédéric Revaz.
Als Reaktion darauf haben die SBB unter anderen ihr Angebot an günstigen Fahrkarten erhöht. Grundsätzlich setzt der Bundesbetrieb in erster Linie auf die Qualität seines Angebots (Komfort, Pünktlichkeit, Schnelligkeit). Parallel dazu hat er ein Sparprogramm lanciert, um die wachsenden Kosten in den Griff zu bekommen.
Die SBB wollen sich auch als «Mobilitäts-Vermittler» profilieren, indem sie den Passagieren die Reise mit verschiedenen Verkehrsmitteln (Auto, Zug, Fahrrad) organisieren. «Morgen wird es nicht mehr genügen, den Kunden den Transport zwischen zwei Bahnhöfen anzubieten. Sie verlangen einen Service von Tür zu Tür», sagt Revaz.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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