Sozialdemokraten wollen Demokratie und Wirtschaft versöhnen
Den Kapitalismus überwinden. Diesen Grundgedanken der Linken will die Sozialdemokratische Partei der Schweiz mittels Propagierung der sozialen, solidarischen und partizipativen Marktwirtschaft wieder auf die politische Agenda setzen. Laut Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger ist dies die Positionierung einer Partei, welcher die Ideen ausgehen.
Das Nein des Schweizer Stimmvolks zur Unternehmenssteuerreform III hat die Sozialdemokratische Partei (SP), die erfolgreich das Referendum ergriffen hatte, aus einem Tief geholt und den internen Zwist über die politische Ausrichtung wenigstens für einen Moment lang vergessen lassen. Seit letzten Dezember streiten die Genossen über ein Positionspaper mit dem Titel «Eine Zukunft für alle statt für wenige – eine demokratische, ökologische und solidarische Wirtschaft zum Durchbruch bringen.» Das Papier soll der Parteipolitik der nächsten Jahre die Richtung vorgeben.
Auf Druck ihres linken Flügels und ihrer Jugendbewegung bekräftigt die Partei damit den Willen, «den Kapitalismus zu überwinden», wie es im Programm 2010 festgehalten wurde. Ein Aufruf zur proletarischen Revolution? Das Konzept ist ein wenig veraltet. Es geht eher darum, die Unternehmen zu demokratisieren, den Kuchen besser zu verteilen sowie die guten Arbeitsbedingungen und den Respekt gegenüber der Umwelt zu fördern. Eine Art «Klassenkampf light», wie es die NZZ am Sonntag qualifizierte.
«Die Idee, den Kapitalismus zu überwinden, ist nicht neu. Die SP beharrt derzeit lediglich stärker darauf. Es zeigt, dass die Sozialdemokraten keine konstruktiven Ideen mehr haben», sagt Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, der für seine ausgesprochen liberale Position bekannt ist.
Eine andere Wirtschaft
Barbara Gysi, Nationalrätin und Vizepräsidentin der SP gibt gerne zu, dass die «Überwindung des Kapitalismus» keine neue Idee ist. «Das heisst aber nicht, dass es schlecht ist. Wir haben während dreissig Jahren versucht zusammenzuarbeiten, aber das funktioniert nicht. Die Wirtschaft und die Gesellschaft entfernen sich immer mehr voneinander. Wir wollen die Wirtschaft wieder menschlicher machen. Wir sind überzeugt, dass es dafür mehr Partizipation in den Unternehmen braucht.»
«Der Unternehmens-Typ, den die SP befürworte, existiert bereits, in Deutschland oder Frankreich zum Beispiel, wo ein Förderungsgesetz die soziale und solidarische Wirtschaft favorisiert. Solche Unternehmen tragen bereits 10% zum BIP bei, beschäftigen einen von zehn Angestellten und schaffen viele Arbeitsplätze», schreibt der französische Wirtschaftsminister.
Auch in der Schweiz gebe es eine alternative Wirtschaft, hält die «soziale und solidarische Wirtschaftskammer Genf» auf ihrer Website fest. Aber die Mitarbeiter-Partizipation kommt nicht richtig vom Fleck. Ein Kuriosum im Land der direkten Demokratie, das aus der politischen Beteiligung ein quasi sakrosanktes Prinzip gemacht hat. «Es hat bestimmt mit der Tatsache zu tun, dass es bei uns viele KMU mit Patrons alten Stils gibt», sagt Barbara Gysi. Viele Leute haben das Gefühl, dass man in den Unternehmen immer diskutieren aber nicht mitbestimmen kann.»
«Dass wir auf wirtschaftlicher Ebene rückständig sind, hängt vielleicht gerade damit zusammen, dass wir weit entwickelte politische Mitbestimmungsmechanismen haben», sagt die SP-Vizepräsidentin. Man darf nicht vergessen, dass der Wirtschaftssektor viel Macht hat, sowohl gegenüber der Politik wie der Gesellschaft.»
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Marktwirtschaft vs. Staatsintervention
Reiner Eichenberger hat grundsätzlich nichts gegen Mitbestimmung in den Unternehmen. Aber sie müsse sich dort entwickeln, «wo sie wirklich Vorteile bringt». Das geschehe bereits: «Denken Sie an die Anwaltskanzleien oder die Beratungsfirmen, wo gleichberechtigte Partner die Unternehmung leiten, und die Jungen Gesellschafter werden. In einem freien Markt entwickeln sich partizipative Direktion und Kooperation dort, wo es sinnvoll ist. Aber man kann es nicht ‹von oben her› verlangen, wie die Sozialisten meinen.»
«Ausserdem», sagt der Wirtschaftswissenschaftler, «geht es ihnen nicht darum, den Mitarbeitenden Mitbestimmung einzuräumen, sondern den Gewerkschaften, oder besser noch den Vertretern der SP.»
Der Giftpfeil scheint Baraba Gysi nicht zu treffen. Ihre Partei ist realistisch genug, um zu wissen, dass sich die Partizipation nicht per Dekret verordnen lässt, und dass jede Intervention in dieser Richtung in einem bürgerlich dominierten Parlament kaum Chancen hat, eine Mehrheit zu bekommen.
Die Sozialdemokraten versuchen es deshalb ebenfalls mit Aktionen «von unten nach oben»: die Mitbestimmung dort stärken, wo sie bereits existiert, in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen wie den Gewerkschaften. Auf politischer Ebene wird jede Aktion in Betracht gezogen, die eine Chance auf Erfolg hat oder zumindest eine Debatte in Gang bringt. Dies soll sowohl auf parlamentarischer wie auf direktdemokratischer Ebene geschehen, deren Instrumente auf drei Ebenen zur Verfügung stehen: Eidgenossenschaft, Kantone und Gemeinden.
Die Arbeitsgruppe, welche das Positionspapier ausgearbeitet hat, wird regelmässig eine Standortbestimmung vornehmen. «Die Demokratisierung der Wirtschaft wird bei uns in den nächsten Jahren ein prioritäres Thema sein», sagt die SP-Vizedirektorin.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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