Vereint gegen Scheinselbständige auf dem Bau
Gewerkschaften und Arbeitgeber schlagen Alarm: Scheinselbständige aus dem Ausland, die auf Schweizer Baustellen zu Dumpinglöhnen arbeiten, stellten für einheimische Betriebe eine immer grössere Gefahr dar. Die Sozialpartner fordern den Bund zum Handeln auf.
Ausländische Fachkräfte, die Platten verlegten, für sieben Franken die Stunde. Deutsche, die Nachtarbeit verrichteten, für einen Stundenlohn von 17 Franken. 40 Installateure, welche die UBS-Generalversammlung in Basel vorbereiteten, in Einheitstenue und mit Werkzeug einer Dresdener Firma.
Peter Baeriswyl, Direktor des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbandes, spricht angesichts solcher Zustände von einer «totalen Verwilderung der Sitten».
Albert Germann von der Gewerkschaft Unia beklagt die zahnlosen Instrumente der Baustellenkontrolleure. «Die Scheinselbständigen zeigen meist nur einen Gewerbeschein. Bis sie weitere Papiere nachreichen, sind die Arbeiten schon beendet.»
Die Lage im Schweizer Bau-Nebengewerbe mit rund 200’000 Malern, Gipsern, Plattenlegern, Sanitären und Schreinern ist offenbar so ernst, dass die Branchenverbände, die Gewerkschaft Unia und der Gewerbeverband gemeinsam vor die Medien traten, ein Novum.
GAV und flankierende Massnahmen ausgehebelt
Das Konstrukt der Einmann-Firma erlaubt es schweizerischen Auftraggebern, allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge (GAV) auszuhebeln. Die Auftraggeber werden faktisch Arbeitgeber. Als solche brauchen sie sich aber um die Einhaltung von Vorschriften über Mindestlöhne, Arbeitszeiten und Sozialabgaben nicht zu scheren.
Ausländische Unternehmen können mit dem Trick der Scheinselbständigkeit die entsprechenden Regelungen unterlaufen, die im Rahmen der flankierenden Massnahmen für den freien Personenverkehr innerhalb der EU gelten.
Es gehe nicht um Protektionismus oder Heimatschutz, sagte Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Aber um faire Rahmenbedingungen mit gleich langen Spiessen für alle.
Rechtliche Massnahmen rasch durchsetzen
Gewerbeverband, Branchenverbände und die Unia fordern die Durchsetzung zweier Instrumente, um die Scheinselbständigkeit auf Schweizer Baustellen wirksam bekämpfen zu können: Die Beweispflicht bei Kontrollen sowie die Hinterlegung einer Kaution.
«Wir verlangen, dass die wichtigsten Papiere, die eine Überprüfung der Selbständigkeit ermöglichen, zwingend auf Mann sein müssen», sagt Albert Germann gegenüber swissinfo.ch.
Falls der Kontrollierte keine solchen vorweisen könne, werde er von der Baustelle gewiesen. «Dies ist der einzige Druck, den man aufbauen kann», so der Unia-Branchensekretär.
Zweite Massnahme ist eine Kaution von 10’000 Franken, die Selbständigerwerbende im Gipser- und Malergewerbe bar hinterlegen oder mit Bankgarantie leisten müssten.
Die Hürde ist nicht neu. Im Gerüstbau müssen Selbständige seit März 2009 eine solche Kaution hinterlegen. Ort: die Paritätischen Kommissionen von Arbeitgebern und Gewerkschaften zur Kontrolle der Arbeiter auf Baustellen.
Ein Fünftel verdächtig
Sowohl bei der Beweispflicht und Kaution steht der Bund in der Pflicht. «Das Seco ist sich der Problematik bewusst und erarbeitet zurzeit einen verbesserten Kriterienkatalog, welcher den Vollzugsbehörden erlaubt, Scheinselbständigkeit festzustellen bzw. zu verhindern», sagt Sprecherin Antje Baertschi. Eine entsprechende Weisung solle im Herbst in Kraft treten.
Dass Handlungsbedarf besteht, geht auch daraus hervor, dass von knapp 2500 Personen, die sich 2009 bei Kontrollen als Einmannbetrieb ausgaben, nicht weniger als ein Fünftel unter dem Verdacht auf Scheinselbständigkeit stand.
Klares Bekenntnis verlangt
Bezüglich des zweiten Instruments ist die Lage komplizierter. Aufgeschreckt durch die Kaution im Gerüstbausektor, blockieren drei Berufsverbände aus dem süddeutschen Raum die Einführung einer Selbständigen-Kaution für Gipser und Maler mit Einsprachen. Die Hürde stelle einen unzulässigen Schutz des Schweizerischen Gewerbes dar, so ihre Begründung.
«Ausländische Fachverbände sind gemäss Schweizer Gesetzgebung gar nicht legitimiert, aktiv Einsprache zu erheben», sagt Germann. Falls doch, sei sie inhaltlich abzulehnen.
«Wir erwarten vom Bundesrat und Seco eine ganz klare Aussage zugunsten der Kaution, weil sie unserer Gesetzgebung entspricht», macht Germann klar.
Weshalb sich der Bund damit aber so schwer tut, ist für den Gewerkschafter unbegreiflich. «Die Einsprachen wurden Anfang Mai eingereicht. Ich finde es penibel, dass wir jetzt noch nicht wissen, ob die Verbände einspracheberechtigt sind oder nicht», sagt Germann.
Umso mehr, als der Bundesrat 2005 selbst die Kaution ins Spiel gebracht habe. Ohne dieses Zückerchen hätten die Sozialpartner die Nachbesserungen zu den flankierenden Massnahmen im freien Personenverkehr damals nicht akzeptiert, betont er.
Handlungsbedarf erkannt
Zum Thema Kaution gibt Seco-Sprecherin Antje Baertschi an, dass die drei Einsprachen aus dem süddeutschen Raum auf ihre Berechtigung hin geprüft würden. Wann ein Entscheid vorliege, konnte sie aber nicht sagen, denn darüber entscheide der Bundesrat.
Für Gewerkschaften wie Patrons drängt die Zeit. Ende September läuft die Allgemeinverbindlichkeit des GAV in der Maler- und Gipserbranche aus. Ohne Ersatz drohe «das nackte Chaos», warnt Patron-Chef Peter Baeriswyl.
Zudem sind weitere Berufsverbände blockiert. Das Isoliergewerbe sowie Decken- und Innenausbau sind die nächsten, die das probate Mittel der Kaution gegen die unlautere Konkurrenz einführen wollen.
Mit Schattenwirtschaft verdienen Unternehmen in der Schweiz jährlich geschätzte 40 Milliarden Franken.
Dieses Geld wird an den Steuerbehörden und den Sozialversicherungen vorbeigeschleust, dem Staat entgehen Millionen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Schwarzarbeit.
Das Bundesgesetz und die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit von 2008 bieten bessere Möglichkeiten, die Schwarzarbeit in der Schweiz koordiniert und wirksam zu bekämpfen.
Die gesetzlichen Bestimmungen führten vier neue Kategorien von Massnahmen ein:
Das vereinfachte Abrechnungsverfahren erleichtert den Arbeitgebern die Anmeldung von Angestellten bei den Sozialversicherungen und den Steuerbehörden.
Die Kantone richten kantonale Kontrollorgane ein. Damit werden ihre Kontrollkompetenzen gestärkt und die Koordination der betroffenen Behörden und Organisationen verbessert.
Ein automatischer Datenaustausch zwischen den zuständigen Behörden macht die Bekämpfung der Schwarzarbeit effizienter.
Das Gesetz bietet ebenfalls neue Sanktionsmöglichkeiten wie harte Bussen oder Ausschluss vom Submissionsverfahren.
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