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Warten auf Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen

Tamoil-Ölraffinerie in Collombey, Kanton Wallis. Keystone

Die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen könnte noch viele Monate auf sich warten lassen, trotz der Freilassung von Max Göldi. Der Handel zwischen den beiden Ländern ist 2009 massiv zurückgegangen.

Die Exporte der Schweiz nach Libyen sackten letztes Jahr um 45Prozent ab, die Exporte des nordafrikanischen Staates in die Schweiz brachen um drei Viertel ein. Libysche Öllieferungen wurden eingestellt und auf den Banken wurde viel Geld von libyschen Konten abgezogen.

Dies sind die ökonomischen Konsequenzen der diplomatischen Krise zwischen den zwei Ländern. Die Krise gründete auf der kurzzeitigen Verhaftung von Hannibal Gaddafi in Genf im Sommer 2008.

Im März 2010 kündigte Libyen einen «totalen Handelsboykott» gegenüber der Schweiz an, der insbesondere industrielle Güter und Arzneimittel betraf. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern war jedoch schon vorher ziemlich klein im Vergleich mit dem Exportvolumen beider Staaten.

Max Göldi, Angstellter der schweizerisch-schwedischen Firma ABB, konnte am letzten Montag in die Schweiz zurückfliegen. Er war von den Libyern gefangen genommen und fast zwei Jahre lang festgehalten worden. Seine Freilassung, die unter dem Druck der europäischen Staaten zu Stande kam, ist nach der Meinung von Experten nur ein Schritt zur Versöhnung.

Der in Genf lebende Wirtschaftsberater und ehemalige Sekretär der Schweizerisch-Arabischen Handelskammer, Elias Attia, glaubt, dass noch verschiedene diplomatische Schritte unternommen werden müssen, bevor sich die Situation wirklich verbessert.

Das Geschäft von ABB blieb unberührt

Einer der wichtigsten Schritte ist der der internationale Schiedsgerichtshof, der wegen der Festnahme Hannibal Gaddafis und der darauffolgenden Publikation der Polizeifotos in einer Genfer Zeitung vereinbart wurde. Dem Schiedsgericht wurde im Grundsatz von beiden Parteien zugestimmt, aber die Details müssen noch geklärt werden.

«Es wird sehr lange dauern, bis die Handelsbeziehungen wiederhergestellt sind, denn vorher gibt es noch viele Probleme zu lösen», sagte Attia zu swissinfo.ch. «Es könnte mehrere Monate oder sogar ein Jahr dauern, es ist immer noch sehr unsicher.»

Während Libyen lukrative Verträge für Geschäfte im Öl-Business offeriert, fällt für Schweizer Firmen nur ein kleines Stück am Umsatz-Kuchen ab. Sogar in normalen Jahren exportierte die Schweiz nur 0.14 Prozent ihrer Güter nach Libyen.

Ironischerweise hat die ABB, der Konzern, der direkt in den Streit verwickelt war, verlauten lassen, ihre Geschäfte seien nicht besonders in Mitleidenschaft gezogen worden, während ihr Mitarabeiter Max Göldi in einem libyschen Gefängnis sass.

Die meisten Projekte, auch dasjenige des Ausbaus des libyschen Stromnetzes, wurden durch ABB Standorte in anderen Ländern weitergeführt, wie der Konzernsprecher Wolfram Eberhardt sagte.

«Die einzige Veränderung war, dass wir keine Schweizer Mitarbeiter von ABB mehr nach Libyen schickten», sagte er zu swissinfo.ch. Er fügte hinzu, dass es einige Wochen dauern werde, bis man festgelegt habe, wie man zukünftige Geschäfte abwickeln wolle. Die ABB macht nur 0.1 Prozent ihrer Einnahmen in Libyen.

Einfluss hatte auch der globale Wirtschaftsabschwung

Der Lebensmittelkonzern Nestlé sah sich gezwungen, den Sitz seines Landes-Verantwortlichen nach Ägypten zu verlegen, aber die Firma sagte, der Verkauf von Lebensmitteln sei von der Krise nicht beeinflusst worden.

Auch der Uhrenhersteller Swatch hielt fest, seine Geschäfte seien normal weitergelaufen.

Die Statistik zeigt, dass das Handelsvolumen zwar drastisch zurückgegangen ist, doch muss dabei auch der weltweite Wirtschaftsabschwung einbezogen werden.

Die Exporte der Maschinenindustrie gingen um fast 62 Prozent zurück, während Uhrenexporte und andere Präzisionsinstrumente rund 30 Prozent einbüssten.

Auch die pharmazeutische Industrie war von der Abkühlung der Handelsbeziehungen betroffen, wie die Firma Roche der Zeitung Le Temps verriet. Die Handelsbeziehungen seien «nicht normal». Aber genaue Angaben, wie die Geschäfte in diesem Industriezweig laufen, fehlen.

Eine der Verliererinnen war die Fluggesellschaft Swiss, die ihre Flüge nach Tripolis letztes Jahr einstellen musste. Wann die Flüge wieder aufgenommen werden, ist noch unklar.

Die Schweizer Banken ihrerseits litten darunter, dass 2008 fünf Milliarden Schweizerfranken von libyschen Konten abgezogen wurden. Für 2009 sind die Zahlen noch nicht erhältlich.

Vertrauen wiedergewinnen

Die Veränderung der Handelsbeziehungen von Libyen zur Schweiz nachzuverfolgen, ist relativ einfach, denn diese basieren weitgehend auf Ölprodukten. Die Drohung Libyens, alle Ölexporte zu unterbinden, wurde nicht wahrgemacht, aber der Import von libyschem Öl sank von 3,8 Mio.Tonnen auf 1,4 Mio.Tonnen.

Dies hatte jedoch gemäss Rolf Hartl, dem Geschäftsführer der Schweizer Erdölvereinigung, keinen Einfluss auf Schweizer Autofahrer oder auf die Industrie.

«Die Schweiz ist ein so kleiner Konsument von Öl, dass der Ausfall von libyschem Öl problemlos mit andern Ländern kompensiert werden kann», sagte er gegenüber swissinfo.ch. Auch die libyschen Einkünfte aus dem Öl würden kaum leiden, denn der Schweizer Markt sei sehr klein, fügt er an.

Der libysche Ölkonzern Tamoil ist in der Schweiz mit mehreren Tankstellen und der Erdölraffinerie in Collombey im Kanton Wallis. Ob dieses Geschäft durch die Krise beeinträchtigt wurde, ist nicht bekannt.

Der Schweizer Wirtschaftsdachverband economiesuisse glaubt, dass Libyen der wirkliche Verlierer des Rückgangs der Handelsbeziehungen war.

«Eine Normalisierung der Handelsbeziehungen braucht Zeit, aber sie ist nicht prioritär», hiess es in einer economiesuisse-Mitteilung. «Die Firmen müssen erst wieder das Vertrauen zurückgewinnen.»

Matthew Allen, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen, Eveline Kobler)

15. Juli 2008: Hannibal Gaddafi und seine Frau Aline werden in einem Genfer Hotel festgenommen wegen Verdachts auf Misshandlung von Hausangestellten. Zwei Tage später werden sie gegen Kaution aus der Polizeihaft entlassen.

Juli 2008: In Libyen werden zwei Schweizer Geschäftsleute festgenommen wegen angeblicher Verstösse gegen Einwanderungs- und andere Gesetze.

Januar 2009: Ein Treffen von Bundesrätin Calmy-Rey mit dem Gaddafi-Sohn Saif al-Islam Gaddafi am WEF bringt keinen Durchbruch.

April 2009: Libyen und das Ehepaar Gaddafi reichen eine Zivilklage gegen den Kanton Genf ein.

Juni 2009: Libyen zieht die meisten seiner Gelder von Schweizer Bankkonten ab.

August 2009: Bundespräsident Hans-Rudolf Merz entschuldigt sich in Tripolis beim libyschen Regierungschef Al Mahmudi. In einem Vertrag will man die bilateralen Beziehungen wieder herstellen und ein Schiedsgericht einsetzen.

September 2009: Merz trifft Gaddafi in New York. Dieser versichert ihm, sich persönlich für die Freilassung der Festgehaltenen einzusetzen.

Später werden die beiden Schweizer während einer ärztlichen Kontrolle verschleppt und an einen unbekannten Ort gebracht.

November: Der Bundesrat sistiert das Abkommen mit Libyen. Die restriktiven Visa-Massnahmen gegenüber Libyern bleiben. Die beiden Schweizer werden wieder auf die Botschaft in Tripolis gebracht.

Dezember: Die Beiden werden wegen Visavergehen zu je 16 Monaten Haft und rund 1600 Franken Busse verurteilt. Später werden diese Urteile gemildert.

14. Februar 2010: 188 Libyer sind im Schengen-Computer-System auf der schwarzen Liste und erhalten kein Visum.

22. Februar 2010: Max Göldi wird von den libyschen Behörden ins Gefängnis gebracht. Rachid Hamdani verlässt Libyen und trifft am 23. Februar in der Schweiz ein.

25. März 2010: Die Schweiz hebt ihre «schwarze Liste» gegen die Einreise libyscher Staatsbürger auf.

28. März 2010: Libyen und die EU kündigen die Aufhebung der Visaeinschränkungen beider Seiten an.

10. Juni 2010: Max Göldi kann das Gefängnis verlassen und erhält seinen Pass zurück.

13. Juni 2010: Nach fast zwei Jahren mit Zwangsaufenthalt und Haft kann Max Göldi Libyen verlassen.

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