Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Warum die Schweiz die Weitergabe von Waffen an die Ukraine unterbindet

Panzer
Ein Piranha des Schweizer Unternehmens Mowag. Solche Panzer wollte Dänemark der Ukraine spenden, doch die Schweiz stoppte die Weitergabe. Keystone / Laurent Gillieron

Die Schweizer Regierung bleibt trotz Druck aus dem Ausland bei ihrer Position, dass keine Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine weitergegeben werden dürfen. Wegen der Neutralität befindet sich die Schweiz in einer Zwickmühle.

Die Schweiz hat sowohl Deutschland als auch Dänemark untersagt, Munition respektive Panzer aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben. Im Ausland stösst dies auf Unverständnis.

Auch im Schweizer Parlament gibt es Forderungen, die Regeln betreffend Kriegsmaterialausfuhren zu lockern.

Der Mitte-Präsident Gerhard Pfister forderte, der Bundesrat solle das Kriegsmaterialgesetz per Notrecht ändern, um die Weitergabe von Waffen an die Ukraine zu ermöglichen. In der Corona-Pandemie griff die Schweizer Regierung auf das in der Bundesverfassung verankerte Notrecht zurück.

Dieses kommt jedoch nur zur Anwendung, wenn eine klare gesetzliche Regelung fehlt und diese Lücke im Interesse des Landes dringlich geschlossen werden muss. Im Falle der Weitergabe von Waffen gibt es jedoch eine klare gesetzliche Regelung, sie kann nicht über Notrecht ausgehebelt werden.

Zudem dürfte die Schweiz gemäss internationalem Neutralitätsrecht das nationale Kriegsmaterialgesetz nicht dergestalt ändern, dass die Ukraine bessergestellt wäre als Russland. Das neutralitätsrechtliche Gleichbehandlungsgebot kann die Schweiz nicht ändern, ob mit oder ohne Notrecht.

Doch die Schweizer Regierung bleibt hart: Am Freitag hat der Bundesrat entschieden, grundsätzlich an seiner bisherigen Position festzuhalten. Er begründet dies mit dem internationalen Neutralitätsrecht und dem nationalen Kriegsmaterialgesetz.

Neutralitätsrecht fordert Gleichbehandlung

Tatsächlich bringt die Neutralität die Schweiz in eine Zwickmühle: Auf der einen Seite verbietet es das Neutralitätsrecht, codiert in den Haager Abkommen von 1907, Waffen direkt oder über Dritte an eine Konfliktpartei zu liefern, wenn nicht gleichzeitig die andere Seite ebenfalls mit Waffen versorgt wird.

Nicht nur sind im konkreten Fall Waffenlieferungen an Russland ausgeschlossen (auch die neutrale Schweiz verurteilt Russland in diesem Krieg als Aggressor), sondern es stellt sich auch eine grundsätzliche Frage: «Wer ausser den Waffenlieferanten könnte schon dafür sein, beide Kriegsparteien mit Waffen zu beliefern?», so Pascal Lottaz, Assistenzprofessor für Internationale Beziehungen und Neutralitätsstudien am Waseda Institute in Tokio. Aus humanitären Gründen sollte es gar keine Exporte geben.

Unter Forschenden wird teilweise die Meinung vertreten, dass das Gewaltverbot und das Selbstverteidigungsrecht gemäss Charta der Vereinten Nationen das Neutralitätsrecht gemäss den Haager Übereinkommen von 1907 obsolet machten.

Es wird argumentiert, dass das System der Vereinten Nationen den Angreifer ins Unrecht setzt und allen anderen Staaten das Recht einräumt, dem Angegriffenen mit Waffen beizustehen. Manche folgern daraus, dass für Neutralität in einem solchen System kein Platz mehr sei.

«Das trifft meiner Meinung nach aber nicht zu», sagt Simon Gauseweg von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). «Die Beistandsklausel ist ein Recht – keine Pflicht. Staaten dürfen dem Opfer eines bewaffneten Angriffs zur Hilfe kommen – sie müssen es nicht tun. Sie dürfen sich auch neutral verhalten.»

Es wird auch argumentiert, dass neutrale Staaten qua Neutralität auf ihr Recht verzichtet haben, anderen Staaten im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung beizustehen.

Ähnlich sieht das Stephen Herzog, der am Center for Security Studies zu Nuklearer Rüstungskontrolle forscht: «Die Theorie der militärischen Neutralität ist mit der Praxis der Waffenexporte nur schwer zu vereinbaren.»

Waffenproduktion muss rentieren

Um zu verstehen, warum die Schweiz dennoch Waffen exportiert, lohnt sich ein erneuter Blick auf die Pflichten eines neutralen Staates. Das Neutralitätsrecht verlangt nämlich, dass neutrale Staaten die Unverletzlichkeit des eigenen Territoriums sicherstellen. Die Schweiz geniesst keine Sicherheitsgarantien von anderen Ländern – wie etwa das unbewaffnete Costa Rica den Schutz durch die USA – sie muss ihr Land innerhalb der Grenzen des Zumutbaren selbst mit Waffen verteidigen.

«Aufgrund unserer bewaffneten Neutralität produzieren wir auch zur Landesverteidigung unsere eigenen Waffen und Munition, sodass wir nicht ganz vom Ausland abhängig sind», sagt die Sicherheitsforscherin Lea Schaad. Und weil laut Schweizer Regierung die heimische Rüstungsindustrie wegen des beschränkten Marktes in der Schweiz auf Exporte angewiesen ist, verkauft die Schweiz eben auch Waffen ins Ausland.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft