Ist Blockchain die Lösung für die nächste Finanzkrise?
Blockchain, eine neue Technologie, könnte bei der Verhinderung eines Zusammenbruchs des Finanzsystems wirksamer sein als Vorschriften oder Schutzvorkehrungen, die ins aktuelle System integriert werden.
Vor zehn Jahren kam es zu einer Finanzkrise, die zum Zusammenbruch von Banken führte, Kredite einfrieren liess und Volkswirtschaften in den freien Fall stürzte. Und eine weitere Finanzkrise ist unvermeidlich, auch wenn man nicht vorhersagen kann, wann und wo die tickende Zeitbombe explodieren wird.
Immer mehr Leute glauben, dass ein dezentralisiertes, verschlüsseltes Blockchain-Register besser funktionieren würde als Banken, Regulierungsbehörden, politische Entscheidungsträger oder Rating-Agenturen, die es vor einem Jahrzehnt versäumt haben, die letzte Krise rechtzeitig zu erkennen oder ihre Verbreitung einzudämmen.Unter ihnen ist auch Marc Bettinger, der kürzlich von einer 20-jährigen Schweizer Bankkarriere bei der Credit Suisse und Julius Bär zu Forctis wechselte. Ziel dieses Blockchain-Startups ist es, eine neue Finanzplattform mit der Kryptowährung «GenS» zu schaffen.
Handelstransparenz
«Eines der grössten Probleme war damals das fehlende Vertrauen.»
Marc Bettinger
Bettinger hat die Krise von 2008 hautnah miterlebt, als er im Schweizer Bankensektor tätig war. «Eines der grössten Probleme war damals das fehlende Vertrauen. Niemand wusste, wie hoch die Schulden in den Bankenbilanzen waren. Also hörten die Banken auf, miteinander zu handeln, und die Liquidität kam zum Erliegen», sagt er in Davos gegenüber swissinfo.ch.
«Würden die Bilanzen und Liquiditätsdaten der Banken bei Blockchain erfasst, könnte die Transparenz erheblich verbessert und die Angst vor der nächsten Krise gelindert werden.»
Bettinger ist der Ansicht, dass eine vollständige Transparenz im Handel den Wettbewerbsvorteil schmälern würde. Wichtige Daten, die den Gesundheitszustand einer Bank aufzeigten, sollten jedoch für Echtzeit-Analysen zur Verfügung stehen.
Digitale Smart-Verträge (intelligente Verträge), entwickelt auf Blockchain-Basis, könnten auch dazu genutzt werden, die Transparenz von weltweit gehandelten Finanzinstrumenten zu verbessern. Vor einem Jahrzehnt wurden viele Banken von der Krise überrascht, weil sie nicht genau verstanden, was in der komplexen Mischung aus Hypotheken gestützten Wertpapieren, die sie kauften und verkauften, enthalten war.
Bettinger ist überzeugt, dass Blockchain diese Verträge überschaubarer machen könnte. Er glaubt auch, dass die programmierte Automatisierung intelligenter Verträge Streitereien zwischen den Parteien reduzieren könnte.
Funktionieren die Reformen?
Aber ist die Finanzbranche nun, nach einem 10-jährigen Reformprozess, besser gerüstet, sollten die Märkte erneut zusammenbrechen? Die UBS, die am härtesten betroffene Bank der Schweiz, musste vom Staat gerettet werden, als sie vor einem Jahrzehnt in ernsthafte Schwierigkeiten geriet.
Axel Weber, UBS-Verwaltungsratspräsident seit 2012, gab sich im Wirtschaftsmagazin ECO am Schweizer Fernsehen SRF optimistisch, dass ein nächster Crash ohne staatliches Rettungspaket überstanden werden könnte.
«Wir sind jetzt eine ganz andere Bank.»
Axel Weber
Weber wies darauf hin, dass die UBS ihr risikoreiches Investment Banking verkleinert, den Personalbestand reduziert sowie Reserven aufgebaut habe und sich wieder auf die Vermögensverwaltung (Wealth Management) sowie das Kerngeschäft konzentriere. «Wir sind jetzt eine ganz andere Bank», sagte Weber. «Mit einer stabilen, langfristigen Strategie sind wir zu unseren Wurzeln zurückgekehrt.»
Auch andere Banken fühlen sich sicherer. «Ich glaube, es ist ein bisschen wie 2006, als wir alle darüber sprachen, ob wir das Problem der Wirtschaftskrisen gelöst hätten», sagte Jes Staley, CEO der Barclays Bank, an einem Panel des WEF in Davos.
Kein Plan B
Das Problem ist, dass das gesamte globale Finanzsystem vom Zusammenbruch im Jahr 2008 völlig überrumpelt wurde. Am Weltwirtschaftsforum wurde davor gewarnt, dass eine neue, ganz andere Krise in der Zukunft nicht auszuschliessen sei. Neue Vorschriften mögen eine Garantie sein, dass sich ein Zusammenbruch wie 2008 nicht mehr ereignet. Was aber, wenn der nächste Crash ganz andere Probleme mit sich bringt? «Es gibt eigentlich keinen Plan B, sollte es erneut zu einer Finanzkrise kommen», sagt der US-Ökonom Kenneth Rogoff.
Eine bessere Transparenz sowie die Möglichkeit, dass die Hauptakteure die Ursache und das Ausmass der Ansteckung besser einschätzen können, könnte zumindest dazu beitragen, negative Folgen einzudämmen und das Vertrauen in das System in Zeiten extremer Belastungen wiederherzustellen.
Mehrere Banken und Versicherer experimentieren derzeit mit der Blockchain-Technologie. Dazu gehören auch die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse, die einem Konsortium angehören, welches das Transaktionssystem Utility Settlement Coin entwickelt. Auch die Schweizer Börse und mehrere Versicherer prüfen Blockchain-Anwendungen.
Das Ziel der meisten, wenn nicht gar aller Projekte besteht darin, die Geschwindigkeit und die Kosten von Finanztransaktionen und Versicherungspolicen zu verbessern. Laut Blockchain-Enthusiasten wie Bettinger könnte die Transparenz der neuen Technologie auch die Stabilität im Finanzsektor fördern.
«Blockchain kann nicht alles lösen, aber Transparenz und Effizienz enorm verbessern», betont er.
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
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