Wenn Schweizer Qualität den Erfolg im Ausland bremst
Trotz der Nachfrage nach innovativen Produkten sind aufstrebende Märkte wie Indien nicht bereit, den Preis für Schweizer Qualität zu zahlen. Dies ist eine Herausforderung für Schweizer Unternehmen, denn sie wollen wettbewerbsfähig bleiben, ohne ihren hart erkämpften Ruf für Perfektionismus zu riskieren.
Ein Touristenbus hält in der pittoresken Schweizer Ortschaft Arbon am Bodensee und entlädt ausländische Reisende, die dort Fotos schiessen und Eiscreme essen. Es sind allerdings keine gewöhnlichen Touristen, sondern Führungskräfte von indischen Firmen des öffentlichen Sektors, die durch die Schweiz touren, um sich über technologische Innovationen ein Bild zu machen.
Nach Fotoshooting und Eis werden die indischen Spitzenbeamten bei der Trunz Water Systems AG ausgeladen, einem Beispiel eines innovativen Schweizer KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen). Trunz ist auf Anlagen für die dezentrale Wasser- und Stromversorgung mit erneuerbarer Energie spezialisiert und seit vielen Jahren in Indien tätig.
Nach einer Firmenpräsentation durch CEO Lars Willi zeigt sich die indische Delegation begeistert vom hochmodernen Wasseraufbereitungs-System – weniger jedoch vom saftigen Preisniveau.
Auch das Argument von Chef Willi, dass es sich wegen der Qualität und langen Lebensdauer der Anlagen um eine langfristige Investition handle, überzeugt die indischen Führungsleute nicht. Alles lief darauf hinaus, dass es um eine hohe Erstinvestition für ein «Schweizer Qualitätsprodukt» ging.
«In seiner jetzigen Form ist es ein sehr teures Endprodukt. Sollte es sich zu einem günstigeren Produkt entwickeln, indem seine Lebensdauer reduziert würde, eignete es sich besser für die Entwicklungsländern», sagt Srikanth Vaidya von der indischen Ölgesellschaft gegenüber swissinfo.ch.
Dieses Argument hört der CEO von Trunz nicht zum ersten Mal. «In aufstrebenden Märkten wie Indien kaufen die Leute lieber etwas Billiges und nach einer Weile wieder etwas Neues, statt im Voraus in Qualität zu investieren und während fünf bis zehn Jahren davon zu profitieren», sagt er.
Anfänglich hatte Trunz gehofft, seine mobilen Wasseraufbereitungsanlagen an internationale Hilfsorganisationen verkaufen zu können, merkte dann aber, dass diese bei Investitionen in neue Technologien zurückhaltend waren. Darauf sah sich das Unternehmen gezwungen, auf den Regierungssektor zu fokussieren, wo die Kosten höher gewertet werden als die Qualität
Dass die aufstrebenden Märkte in Asien nicht gerne bereit sind, den Preis für Schweizer Qualität zu bezahlen, trifft die Schweizer KMU empfindlich, denn sie sind stark exportabhängig. Gemäss einer Studie zum Internationalisierungs-Verhalten von Schweizer KMU von 2013Externer Link stammten durchschnittlich 56,2% der Umsätze aus Exporten. Dabei macht Asien rund 21,8% aller Schweizer Exporte aus, wie aus den Daten der Eidgenössischen Zollverwaltung hervorgeht. Diese Zahl dürfte weiter ansteigen.
«Viele asiatische Märkte bieten mit ihrer wachsenden Mittelklasse und der raschen Urbanisierung den Schweizer KMU ein riesiges Exportpotential», erklärt Wolfgang Schanzenbach, bei Switzerland Global Enterprise SGE (ehemals Osec) verantwortlich für die Region Asien–Pazifik, gegenüber swissinfo.ch.
Laut dem jüngsten KMU-Export-Indikator der SGE dürften 54% der Exporte im nächsten halben Jahr auf die asiatisch-pazifische Region fallen, das ist mehr als nach Nordamerika (48%).
Auch bei der Internationalisierungs-Strategie von Schweizer KMU spielt Asien eine bedeutende Rolle. Fast die Hälfte der Kleinen und Mittleren Unternehmen, die untersucht wurden, ist im preisbewussten Asien aktiv – dieses hat auch hier Nordamerika überflügelt.
Qualität hat ihren Preis
Die Schweizer KMU sind sich des «Qualität-versus-Preis-Dilemmas» nur zu bewusst. Wie aus ihren Antworten in der Studie zum Internationalisierungs-Verhalten von 2013 hervorgeht, wurde der Preis ihrer Produkte und Dienstleistungen als häufigstes mögliches Hindernis für eine Internationalisierung genannt (41% der 788 befragten KMU). An zweiter Stelle folgt die Bürokratie (34,5%), auf Platz drei liegen die Investitionskosten (24,6%).
«Das Problem beim Verkauf von Schweizer Produkten liegt darin, dass wir sie für eine Schweizer Perspektive entwickeln. InIndien realisieren wir dann aber, dass kein solch hohes Qualitätsniveau, so viele Eigenschaften oder eine solch lange Lebensdauer gefragt ist», sagt Roger Moser, Leiter des «Asia Connect Center and India Competence Center» an der Universität St. Gallen.
Der CEO von Trunz gesteht ein, dass es auf diesem Gebiet noch Raum für Verbesserung gibt. «Wie bei den meisten Firmen suchten auch wir zuerst nach einer technischen Lösung, und erst später prüften wir das Marktpotential. Einige unserer Anlagen mögen für die indischen Bedürfnisse bis zu einem gewissen Grad zu hoch entwickelt sein», meint er.
Ein weiterer Punkt sind die hohen Lohnkosten. Der durchschnittliche Stundenansatz von 61,3 Schweizer Franken ($65) im Produktions- und Dienstleistungssektor ist einer der höchsten weltweit. Die Herstellung einiger Bestandteile im Ausland könnte den Zugang für Schweizer Produkte in den aufstrebenden Märkten allenfalls erleichtern.
«In der Schweiz sind viele Entwicklungs-Kompetenzen angesiedelt. Es stimmt aber, dass mittelgrosse Unternehmen vermehrt bereit sein müssten, einen Teil ihrer Entwicklungen in Indien zu tätigen, sonst verliert man die Anpassung an die lokalen Bedürfnisse», erklärt Moser.
Trotz der möglichen Kosteneinsparung haben aber nur wenige Schweizer KMU die Ressourcen, um in neue Anlagen im Ausland zu investieren. «Mit der Auslagerung eines Teils der Produktion nach Indien kann zwar Geld bei Löhnen und Importzöllen eingespart werden. Es würde aber grössere Investitionen beim Aufbau lokaler Produktionsanlagen bedingen», sagt Willi. «Um diese Investitionen zu decken, müsste zuerst das Potential nachgewiesen sein, und das haben wir in Indien bislang nicht gesehen.»
Schweizer Marke
Neben den praktischen Fragen fürchten die KMU auch, die Marke «Swiss made», die in entwickelten Märkten bekannt und geschätzt wird, könnte Schaden nehmen. Immerhin ein Viertel der befragten KMU nannte die Ausschlachtung der «Swissness» als Grund für die Internationalisierung.
Die Schweizer Qualität ist etwas, worauf Trunz stolz ist. «Wir stehen für langfristige und zuverlässige Qualität sowie innovative Produkte. Unsere Visitenkarte ist etwas, das für lange Zeit bestens und ohne Intervention funktioniert», so Willi.
Auch die auf Besuch weilenden indischen Führungskräfte scheinen sich des Schweizer Dilemmas von Qualität vs. Preis bewusst zu sein.
«Schweizer Firmen müssen sich entscheiden, ob sie an diesem Schweizer Etikett festhalten oder es etwas abschwächen wollen, indem sie das Schweizer Know-how und die Technologie beibehalten, aber die Auslagerung von Produktionsteilen in Betracht ziehen», sagte einer von ihnen zu swissinfo.ch.
Rico Baldegger, Direktor der Hochschule für Wirtschaft in Freiburg und Autor der Studie über die Internationalisierung, rät von einer Verwässerung der Marke Schweiz jedoch strikte ab.
«In den letzten 30 bis 40 Jahren haben wir unser Marken-Image rund um die Qualität entwickelt. Wenn wir nun eine andere Richtung einschlagen, könnten wir ein Qualitätsproblem bekommen, das die Einzigartigkeit unserer Marke zerstören könnte», fürchtet er.
Stattdessen empfiehlt Baldegger den Schweizer KMU, ihr Markt-Segment und allenfalls sogar ihr Geschäftsmodell zu ändern, um Abnehmer zu finden, die bereit sind, einen Aufschlag für Qualitätsprodukte zu leisten.
Und genau das macht Trunz zur Zeit. «Wir wollen nicht nur die Anlagen verkaufen, sondern sie auch bewirtschaften und das Wasser verkaufen. Wir hoffen, uns so am Ende selber und nicht durch die Regierung, sondern durch Einheimische zu finanzieren, da wir sauberes Wasser günstig herstellen können», erklärt Willi.
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