«Wichtige Stabilisierung des Verhältnisses mit den USA»
Das Ja des Schweizer Parlaments zum Staatsvertrag mit den USA zur Beilegung der UBS-Steueraffäre bringe sehr viel Sicherheit in die gegenseitigen Beziehungen zurück. Dies sagt Martin Naville, Direktor der schweizerisch-amerikanischen Handelskammer.
Das Ja zum Staatsvertrag mit den USA nach langem und politisch bedenklichem Parteien-Hickhack ist nicht nur bei der UBS mit Erleichterung aufgenommen worden.
Die Schweizer Wirtschaft im Allgemeinen zeigte sich erfreut. Speziell trifft dies auf die Schweizerisch-Amerikanische Handelskammer Amcham zu, wie Direktor Martin Naville im Gespräch mit swissinfo.ch zum Ausdruck bringt.
Aufgabe von Naville und der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer ist es, bestmögliche Rahmenbedingungen für Firmen beider Länder zu schaffen, die im Partnerland Geschäfte tätigen.
swissinfo.ch.: Ist diese Auswahl, welche die UBS zu Handen der ESTV vorgenommen wurde, endgültig? Oder könnten noch neue Dossiers dazukommen?
Martin Naville: Die Auswahl ist endgültig. Die gemäss Anhang des Abkommens bestimmten Dossiers betrafen die grössten Fälle von Steuerbetrug und schwerer, fortgesetzter Steuerhinterziehung.
swissinfo.ch.: Wissen die betroffenen UBS-Kunden in den USA, ob sie zu den ausgewählten Fällen gehören, in denen die Schweiz Amtshilfe leistet?
M.N.: Das müssen Sie die UBS fragen. Die UBS hat einmal erklärt, dass alle Betroffenen informiert wurden.
swissinfo.ch.: Die Betroffenen haben die Möglichkeit zur Einsprache beim Bundesverwaltungsgericht. Drohen da nicht Verzögerungen bei der Erfüllung des Vertrags, die bis August erfolgen muss?
M.N.: Die Frist von einem Jahr betrifft nicht die Auslieferung der Daten, sondern der Abschluss des Prozesses auf Schweizer Behördenebene, in diesem Fall bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Hat diese bis Ende August alle 4450 Fälle analysiert und den Betroffenen die Schlussverfügungen überstellt, ist der Vertrag erfüllt.
Die Kunden haben dann entweder 30 Tage Zeit, um Berufung beim Bundesverwaltungsgericht einzulegen oder sich mit der Auslieferung der Daten einverstanden zu erklären. Hört die Schweizer Steuerbehörde nichts, überstellt sie nach 30 Tagen die Daten an den US-Fiskus.
swissinfo.ch.: Die USA haben ursprünglich die Daten von 52’000 UBS-Kunden gefordert. Was geschieht mit dem grossen Rest der rund 47’500 UBS-Kunden, die nicht unter den Staatsvertrag fallen? Haben sie einfach Glück gehabt?
M.N.: In dieser Zahl waren auch Konten enthalten, die zufällig oder «unfallmässig» ins Visier der US-Behörden geraten waren und nicht wirklich ins Gewicht fielen. Diese Konteninhaber haben Glück.
In den Vertragsverhandlungen von letztem Sommer war wichtig, dass man den Amerikanern klar gemacht hat, dass dies erstens ein Fall für die Amts- und Rechtshilfe zwischen der Schweiz und den USA war.
Und zweitens, dass keine Steuerbehörde jemals 50’000 Steuerfälle analysieren und ebenso viele Schlussverfügungen ausstellen kann.
Deshalb war das Resultat der Verhandlungen ein Kompromiss. Die Amerikaner verlangten Amtshilfe in den bedeutendsten Fällen. Die Schweiz musste sich im Gegenzug auf einen ehrgeizigen Zeitplan verpflichten. Die US-Behörden waren nicht mehr bereit, weitere Jahre auf Resultate zu warten.
swissinfo.ch.: Mit dem Staatsvertrag ist die UBS aus dem Schneider. Wie sieht es für die anderen Schweizer Banken aus, bei denen US-Kunden Konten besitzen? Bleiben sie verschont? Immerhin haben sich rund 16’000 Bürger bei der US-Steuerbehörde selbst angezeigt.
M.N.: Wir wissen es nicht, weil wir nicht wissen, was andere Banken getan haben. Im Falle der UBS traf nicht nur zu, dass US-Kunden in der Schweiz erzielte Gewinne und Erträge nicht deklarierten. Die UBS hat auch zugegeben, dass sie auch Kunden in den USA selbst zu Steuerhinterziehung ermunterte und ihnen dabei half.
Falls andere Banken dasselbe gemacht haben, müssen auch sie befürchten, dass sie verfolgt werden.
Aber dazu dürfte die Motivation des amerikanischen Fiskus nach der Zustimmung zum Staatsvertrag nicht sehr hoch sein. Denn die IRS hat mit den Voluntary disclosures dem Selbstanzeige-Programm, die Red.) und dem sehr prominenten Fall der UBS zwei Erfolge verbucht.
Ich zweifle deshalb, ob die US-Behörde mit ihren beschränkten Ressourcen noch einmal eine zwischenstaatliche Baustelle eröffnen will, um weitere Banken zu verfolgen.
Sollten aber tatsächlich andere Banken gegen US-Gesetze verstossen haben, dürfen sie sich nicht sicher fühlen. Ein Nein zum Vertrag hätte ihre Situation aber sicher verschlimmert.
swissinfo.ch.: Bradley Birkenfeld, der die Steueraffäre als Whistleblower ausgelöst hatte, bezichtigte das US-Justizdepartement der Korruption, weil dieses von den illegalen Praktiken der UBS gewusst habe, aber nicht reagiert habe, um prominente US-Bürger zu schützen. Was halten Sie von dieser Anschuldigung?
M.N.: Herr Birkenfeld hat sehr viel gesagt, auch Widersprüchliches, weil er sich vor der Gefängnisstrafe retten wollte. Meines Wissen hat er in keinem Moment irgendwelche Indizien beigebracht, dass seine sehr schweren Anschuldigungen zutreffend sein könnten. Deshalb lasse ich es im Raum stehen, dass ein strafrechtlich Verurteilter zum Selbstschutz einige wilde Behauptungen in die Luft setzt.
swissinfo.ch.: Was bedeutet die Zustimmung zum Staatsvertrag politisch und wirtschaftspolitisch?
M.N.: Das Ja bringt sehr viel Sicherheit in die gegenseitigen Beziehungen, was ganz wichtig ist für die Stabilisierung des Verhältnisses Schweiz-USA. Dies trifft insbesondere für Firmen zu, die in beiden Ländern aktiv sind.
Die innenpolitischen Diskussionen, etwa um die Too-big-to-fail-Problematik, gehen natürlich weiter. Es ist demokratisch absolut legitim, dass man diese Frage in einem parlamentarisch-demokratischen Sinn bespricht und die notwendigen Entscheidungen trifft.
Dies sollte aber ohne Zeitdruck eines Staatsvertrages und ohne Verknüpfungen und Erpressungen geschehen, wie dies in den letzten Monaten und Wochen der Fall war.
Renat Künzi, swissinfo.ch
Mit dem Ja zum Staatsvertrag durch das Schweizer Parlament ist der Steuerstreit zwischen der Schweiz und den USA nach Ansicht von US-Finanzexperten und -Medien weitgehend erledigt.
Anwalt Scott Michel, der zahlreiche betroffene UBS-Kunden in den USA betreut, geht davon aus, «dass die Informationen über Fälle, die in der Schweiz bereits durch den Prozess des Amtshilfeverfahrens gegangen sind, nun schnell ausgehändigt werden».
Das Wall Street Journal schreibt, das Ende der bitteren Steuerschlacht sei von höchster Bedeutung, um das Image der Grossbank zu reparieren.
In der New York Times bezeichnet der Professor und Finanzexperte Stewart Hamilton den Vertrag als vielmehr politische als praktische Geste. Die Steuerbehörde IRS habe auch ohne Schweizer Zutun alle Macht, die sie braucht, um ihre Bürger zur Rechenschaft zu ziehen.
Das amerikanische Justizdepartement und die US-Steuerbehörde IRS nahmen bis am Freitagmittag nicht Stellung zu dem Entscheid.
Seit der Einigung auf das Amtshilfeverfahren im letzten August ist in der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) ein Team von 40 Mitarbeitern mit den 4450 UBS-Kunden-Dossiers beschäftigt.
Jeder Einzelfall wird darauf geprüft, ob Amtshilfe bei Verdacht auf Steuerbetrug und schwerer Steuerhinterziehung möglich ist.
Das Team konnte bisher 3000 Fälle abarbeiten. Die übrigen 1450 Fälle sind fast alle in Arbeit.
Die ESTV hat in rund 1800 Fällen das Verfahren abgeschlossen. Davon wurden 500 UBS-Kundendaten an die USA ausgehändigt, weil bereits Zusagen der Betroffenen vorlagen.
400 Schlussverfügungen wurden verschickt, sind aber noch nicht rechtskräftig.
650 weitere Fälle sind versandbereit.
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