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Das Gute am Kantönligeist? Er macht die Wirtschaft flink

parliament building in Bern
Die Kuppel des Bundeshauses in Bern: Hier wird Politik gemacht. Keystone

Die Schweiz verfügt über beneidenswerte wirtschaftliche Bedingungen und belegt auf Ranglisten zur Wettbewerbsfähigkeit immer wieder Spitzenplätze. Wie viel davon ist auf das politische System des Landes zurückzuführen?

Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz ist leicht zu quantifizieren, aber schwierig zu erklären. Wie kommt es, dass ein Land mit einem derart kleinen Binnenmarkt und einigen der höchsten Durchschnittseinkommen weltweit regelmässig solch stabile BIP-Zahlen vorlegen und nahezu Vollbeschäftigung aufrecht erhalten kann, und (am verblüffendsten) auf internationalen Länderranglisten zur Wettbewerbsfähigkeit regelmässig Spitzenpositionen belegt?

Wer nach einer einzigen, geheimen Zutat sucht, könnte genau so gut nach dem Sinn des Lebens fragen. Dies hält die Leute aber nicht davon ab, sich dennoch Fragen zu stellen. Eine mögliche Verbindung, über die jüngst im Rahmen einer KonferenzExterner Link in Montreux am Genfersee diskutiert wurde, ist die Verbindung zwischen dem föderalistischen System der Schweiz und ihrer Wirtschaft: Beeinflusst das dezentrale, mehrstufige politische System die wirtschaftlichen Bedingungen?

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Schweiz wird noch wettbewerbsfähiger

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Eine bessere Platzierung geht fast nicht mehr: Im Vergleich zum Vorjahr konnte sich die Schweiz im Ranking des Zentrums für globale WettbewerbsfähigkeitExterner Link um zwei Plätze auf den zweiten Rang verbessern. Das WCC veröffentlicht die Rangliste jedes Jahr seit 1989. In der Ausgabe 2015 wurden 61 Länder anhand von 342 Kriterien verglichen, von der Wirtschaftsleistung…

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Ja, war die einfache Antwort. Wenn die Schweiz heute eine vitale Wirtschaft habe, liege dies zu «einem grossen Teil am Föderalismus», argumentierte Tiber Adler von der Denkfabrik Avenir Suisse.

Niemand widersprach ihm. Aber warum oder wie fördert Föderalismus konkret die Wettbewerbsfähigkeit? Eines ist sicher, es ist nicht das langsame Tempo, das zum Föderalismus gehört, und Unternehmertum manchmal eher blockieren als anspornen kann. Die Schweiz sei eher ein «Elefant» und kein «Gepard», erklärte ein anderer Teilnehmer – stabil und arbeitsam.

Effizienz und Ausgleich

Aber ein effizienter Dickhäuter. Christoph Schaltegger, Professor an der Universität Luzern und Co-Autor eines BuchsExterner Link zum Thema, das jüngst erschienen ist, erklärte, Effizienz sei einer von drei Aspekten, warum Föderalismus wirtschaftliche Aktivität ankurble: Wenn lokale Behörden Aufgaben «näher am Geschehen» erfüllen könnten, führe dies zu einem insgesamt schlankeren und rechenschaftspflichtigen System, das die Wettbewerbsfähigkeit stimuliere.

Zweitens trage das föderalistische System dazu bei, die «Verteilung von Einkommen zu verbessern und wirkt als Versicherungsmechanismus». Dies kann systemisch sein, zum Beispiel durch Mobilität auf dem Arbeitsmarkt, Fachkräfte können sich zwischen leistungsschwächeren und prosperierenden Regionen des Landes hin und her bewegen. Es kann auch staatlich gesteuert sein, wie mit der sehr bedeutenden Praxis des FinanzausgleichsExterner Link, eines Transfersystems, mit dem die reicheren Kantone jedes Jahr einen gewissen Beitrag zahlen, mit dem die weniger wohlhabenden unterstützt werden.

Mit diesem System – dass zu einem grossen Teil von der politischen und wirtschaftlichen Solidarität im ganzen Land abhängt – können wirtschaftliche Krisen in einer Region durch landesweite Fonds und Transfers gemildert werden. Nach Angaben von Schaltegger werden etwa 20% aller «Erschütterungen», die eine Region treffen, durch das föderalistische System der Schweiz insgesamt absorbiert. Dies erlaube der Wirtschaft, mehr Risiken einzugehen und gleichzeitig eine hohe Diversifikation aufrecht zu erhalten (wie Uhren in Neuenburg, Pharma in Basel, Banken in Zürich).

«Innovationslabors» und Konkurrenz unter Regionen

Doch der wichtigste föderalistische Erfolgsfaktor ist noch weniger fassbar. Schweizer Kantone (oder Regionen) seien wie kleine, drängelnde «Innovationslabors», die – oft in Konkurrenz zueinander – einzigartige Lösungen entwickelten, die (falls erfolgreich) als bewährte Praxis im ganzen Land übernommen würden, erklärte Schaltegger.

«Kantone lernen voneinander», sagte er. Ein Beispiel dafür sei das Bildungswesen: Während jede Region zum grossen Teil ihre eigene Schulpolitik kontrolliere, seien die Kantone stets auf der Suche nach dem, was gut funktioniere und was nicht. Dieser «Laboreffekt» sei für den Gesamterfolg entscheidend, auch wenn er nicht einfach zu quantifizieren sei, sagte Schaltegger.

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Dies gelte auch für traditionellere Bereiche wie Besteuerung und Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Landes. Die Rivalitäten zwischen den Kantonen in Bezug auf Faktoren wie Unternehmenssteuern und Massnahmen, um ausländische Investitionen anzuziehen, führten zu einer ständigen Neupositionierung und Neubewertung, was Steuersätze contra öffentliche Dienstleistungen angehe. Die kantonalen Steuersätze für Unternehmen variieren stark, von 12,3% im Kanton Luzern bis zu 24,2% im Kanton Genf, obschon in der Praxis viele grosse Firmen mit den jeweiligen Behörden spezifische Abmachungen aushandeln.

«Niemand weiss wirklich, wo mit Blick auf Steuern und öffentliche Dienstleistungen das wirksamste Niveau liegt», erklärte Schaltegger. Die Konkurrenz innerhalb des Landes sorge jedoch für insgesamt ausgewogene Gewinne. Dass «wir uns immer wieder hinterfragen», sagte ein anderer Teilnehmer der Konferenz, sei ein wichtiger Faktor, um die Wirtschaft zu entwickeln und auf Trab zu halten.

Nicht ohne Probleme

Aber die Frage bleibt: Ist der Föderalismus ein aktiver Motor für die Wettbewerbsfähigkeit, oder nur eine passive Hülle, die diese nicht behindert? Oder wie der Genfer Politiker Pierre Maudet an der Konferenz in Montreux fragte, würde sich das System auch im Fall einer wirklichen Krise bewähren?

Niemand war bereit, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen und diese Frage ganz klar zu beantworten. Doch die meisten Teilnehmer räumten ein, der Föderalismus sei kein makelloses System ohne Probleme. Das langsame Tempo und die vielfältigen bürokratischen Ebenen könnten für Unternehmen abschreckend wirken, auch wenn die politische Stabilität, die damit einhergeht, willkommen sei.

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Föderalismus? Die Schweiz wird immer zentralisierter

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz mit 26 souveränen Kantonen – ein Vorzeigemodell in Sachen Föderalismus? Nein: Das Schweizer Modell ähnelt immer mehr jenem anderer Länder.

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«Unternehmen beschweren sich manchmal über den Schweizer Perfektionismus», erklärte der Aargauer Regierungsrat Urs Hoffmann. Bei der Umsetzung einer auf Bundesebene verabschiedeten Regelung haben Kantone und Gemeinden oft die Tendenz, es peinlich genau zu nehmen, bis zum letzten I-Tüpfelchen. Dies kann nicht nur bei der Gründung eines Geschäfts, sondern auch bei der Abwicklung von Zahlungen oder bei administrativen Abläufen zu Kopfschmerzen führen. (Die Regierung will dem nun mit der Lancierung von EasyGov.swiss

entgegenwirken, einer Online-PlattformExterner Link, mit der Unternehmen ihre Behördengeschäfte einfacher und effizienter abwickeln können.)

Es kann auch vorkommen, dass die potentiell mit lokalen Behörden verbundenen Effizienzgewinne aufgrund von sich überschneidenden Kompetenzen verpuffen. Wenn zum Beispiel unklar ist, wer letztlich genau für einen Politikbereich zuständig ist, kann es sein, dass Firmen oder Bürger gewisse Abläufe auf unterschiedlichen Ebenen wiederholen müssen und so Zeit und Geld verschwenden. Das mag Leuten, die sich im System der Europäischen Union bewegen oder dieses verfolgen, bekannt vorkommen.

Schaltegger ist der Ansicht, dass man solche Designfehler, vielleicht ein Zeichen einer grösseren «Tendenz Richtung Zentralisierung in der Schweiz», anpacken sollte. Wenn es um Föderalismus, politische Stabilität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gehe, sagte er,  «hängen gute Spiele mehr von guten Regeln ab, als von guten Spielern».

Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch

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