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Corona-Krise beflügelt Homeoffice nur vorübergehend

Arbeitsplatz, Wohn- und Spielzimmer: Auf dem Bild offenbar ziemlich harmonisch, kann Teleheimarbeit auch zu mehr Stress führen, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Keystone / Jean-Christophe Bott

Wie auch in anderen Ländern hat die Covid-19-Pandemie in der Schweiz die Teleheimarbeit gefördert. Unter gewissen Umständen begleitet von positiven Auswirkungen auf Produktivität und Lebensqualität. Homeoffice wird auch nach der Gesundheitskrise fortbestehen, von einer vollständigen Virtualisierung der Arbeit sind wir aber noch weit entfernt.

Die Covid-19-Pandemie hat auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Aufgrund der Mitte März vom Bundesrat ergriffenen Massnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus weiteten zahlreiche Arbeitgeber die Teleheimarbeit in ihren Betrieben aus – oder führten sie erstmals in ihre Arbeitsorganisation ein.

In allen Branchen findet Teleheimarbeit bereits seit mehreren Jahren immer mehr Einzug. 2019 arbeitete fast ein Viertel der Erwerbstätigen in der SchweizExterner Link zumindest gelegentlich zu Hause. Laut einer Studie der Beratungsfirma Deloitte SchweizExterner Link verdoppelte sich der Anteil der Teleheimarbeit auf dem Höhepunkt der Corona-Krise.

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Nun lockert die Schweizer Regierung die Lockdown-Massnahmen langsam. Was auch immer von diesem «Homeoffice-Grossversuch» übrigbleiben wird: Die Firmen hatten die Gelegenheit festzustellen, dass die meisten Mitarbeitenden im Homeoffice nicht weniger arbeiten als im Büro – im Gegenteil.

Produktivitätssteigerung in mehreren Sektoren

Die Mehrheit der Befragten der Deloitte-Umfrage gab an, dass die Arbeit zu Hause ihre Produktivität nicht beeinträchtigt habe. Mehr als vier von zehn sind sogar der Meinung, an Effizienz zugelegt zu haben.

Laut Elena Debbaut, Krisenmanagerin für Unternehmen, sind die Auswirkung der Teleheimarbeit auf die Gesamtproduktivität unterschiedlich. Beschäftigte, die in Sektoren arbeiten, die auf Präsenz angewiesen sind (administrative Unterstützung, Verkauf usw.), können an Effizienz einbüssen.

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In gewissen Berufen sei die Produktivitätssteigerung aber «sehr deutlich», so Debbaut. Die grössten Gewinner seien Berufe im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. «Unnötige Unterbrechungen und der soziale Druck des Anwesend-Seins oder des Auftritts fallen mit der Teleheimarbeit weg. Es zählen nur die Resultate», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.

Die gleichen Beobachtungen machten die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Eurofund in einem 2017 veröffentlichten BerichtExterner Link, in dem sie empfehlen, die Teleheimarbeit auszubauen. Dies könne zu einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben führen oder die Notwendigkeit von Reisen reduzieren. Den Unternehmen bringe Homeoffice motiviertere Mitarbeitende und die Möglichkeit einer Kostensenkung, weil der Bedarf an Bürofläche sinke, so der Bericht.

Gleichgewicht finden

Arbeiten zu Hause birgt auch Risiken für das Gleichgewicht der Beschäftigten. Der Bericht der ILO und des Eurofunds weist auf die Tendenz zu längeren Arbeitszeiten und auf eine mögliche Beeinträchtigung von Berufs- und Familienleben hin.

«Viele Menschen verbringen 8,5 Stunden ohne Unterbruch hinter ihrem Bildschirm, aus Angst, als Betrüger angesehen zu werden, während sie am Arbeitsplatz regelmässige Pausen einlegen», sagt Nadia Droz, Psychologin und arbeitsmedizinische Beraterin. Und: «Manchen Menschen fehlt es ohne ihre Arbeitskollegen an sozialer Interaktion.»

Die Erfahrungen sind je nach materieller Situation der Arbeitnehmenden unterschiedlich: Ein fehlender Arbeitsplatz oder die Anwesenheit anderer Familienmitglieder können im Homeoffice zu Ablenkung oder Stress führen.

Nach Angaben der Verfasser des ILO-Eurofund-Berichts liegt das ideale Gleichgewicht zwischen Vor- und Nachteilen bei zwei bis drei Tagen Heimarbeit pro Woche.

Keine Revolution der Arbeitsorganisation

In den vergangenen zwei Monaten hatten viele Arbeitnehmende die Möglichkeit, diese Vorteile am eigenen Leib zu erfahren. Die Experten von Deloitte sagen voraus, dass die Zahl der Menschen, die zu Hause arbeiten, wohl kaum auf das Niveau vor der Gesundheitskrise zurückgehen werde.

Bedeutet dies also, dass sich Teleheimarbeit in der Schweiz massiv und rasch verbreiten wird? Debbaut bezweifelt dies: «In den ersten 18 bis 24 Monaten ist nicht mit einer Revolution zu rechnen», es gebe noch viele Hindernisse.

Kulturelle Barrieren seien schwer abzubauen. Trotz des Wandels im Zusammenhang mit der Pandemie gebe es bereits jetzt immer noch Widerstand, so Debbaut. Ein Hindernis seien zudem die Kosten für die Erweiterung der Arbeitsorte: «Teleheimarbeit ist immer noch teurer und risikoreicher als die Arbeit in der Firma.»

Auch fehlt es vorerst an einem klaren Rechtsrahmen. «Um Telearbeit abzudecken, ist eine vollständige Überarbeitung des Arbeitsrechts notwendig, und das wird Jahre dauern», sagt Debbaut.

Schweizer Unternehmen müssen Angestellten im Homeoffice einen Anteil der Wohnungsmiete zahlen. Das hält das Bundesgericht in einem aktuellen Fall fest, wie die SonntagszeitungExterner Link berichtete. Geltend gemacht hat die Entschädigung ein Mitarbeiter einer Zürcher Treuhandfirma. Der Fall hat sich vor der Corona-Pandemie ereignet. Fachleute sind sich nicht einig, inwieweit das Urteil auf die Homeoffice-Welle während der Coronavirus-Krise anwendbar ist.

Ein Trend, verschiedene Szenarien

Global gesehen zeichnet sich ein klarer Trend Richtung Teleheimarbeit ab. Mehrere Szenarien sind denkbar, wie sich diese langfristig auf die Schweiz auswirken wird.

Debbaut hält ein Szenario für am denkbarsten, das in den bereits bestehenden Rahmen passt: Die Telearbeit würde von Fall zu Fall zunehmen, eine Verallgemeinerung bliebe aus.

In seiner optimistischsten Version würden die Arbeitnehmenden in der Schweiz bleiben. Durch die Teleheimarbeit würde der Druck in Bezug auf Wohnraum oder Infrastruktur in den Wirtschaftszentren nachlassen.

Es gibt aber auch ein pessimistisches Szenario, denn Homeoffice birgt auch Gefahren des Missbrauchs und einer «Uberisierung» der Arbeitnehmenden: Einige Unternehmen könnten versucht sein, einen Teil der Betriebskosten auf jene Arbeitnehmenden abzuwälzen, die zu Hause arbeiten. Oder sie könnten den Standort der Arbeitnehmenden ins Ausland verlagern.

Die Schweiz ist keine Vorreiterin

Das Bundesamt für Statistik (BFS) berücksichtigt Teleheimarbeit auch dann, wenn sie nur sehr selten stattfindet. Von den knapp 25% der Arbeitnehmenden, die in der Schweiz auch zu Hause arbeiten, tun dies nur 3% regelmässig, d.h. mehr als die Hälfte der Zeit. Viele Unternehmen seien immer noch sehr zurückhaltend, vor allem aus kulturellen Gründen, so die Experten gegenüber swissinfo.ch.

In anderen Ländern sind die Zahlen sehr unterschiedlich. Die letzte StudieExterner Link zum Thema in der Europäischen Union stammt aus dem Jahr 2015. Der EU-Durchschnitt lag damals bei etwa 17%, aber die Spannweite reichte von 8% in Italien bis 38% in Dänemark. In den USA lag der Anteil der arbeitenden Bevölkerung, der fast zu 100% im Homeoffice arbeitet, vor der Krise leicht über 3%. Nach Schätzungen des Instituts BrookingsExterner Link hat sich dieser Anteil im April mehr als verdoppelt.

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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