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«China gehört nicht auf die Anklagebank»

Bundespräsident Pascal Couchepin in Saigon, im Interview mit swissinfo. swissinfo.ch

Bundespräsident Pascal Couchepin hat seinen Besuch in Vietnam beendet und wird am Freitag in Peking an der Eröffnung der Olympischen Spiele teilnehmen. China wolle sich kaum vom Westen bevormunden lassen, so Couchepin im Interview mit swissinfo.

Was die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen betrifft, gibt sich Couchepin zuversichtlich. Man müsse sich in Geduld üben und eine klare Linie durchhalten.

swissinfo: Welche Bilanz ziehen Sie nach den drei offiziellen Besuchstagen in Vietnam?

Pascal Couchepin: Das Land entwickelt sich schnell. Nur schon der Besuch der beiden Städte Ho Chi Minh City (Saigon) und Hanoi illustrieren dies. Überall Baustellen. Immer mehr Fahrzeuge auf den Strassen. Und wirtschaftlich gesehen vibriert es spürbar.

Politisch jedoch ist die Öffnung weniger rapid. Doch die Behörden bringen dies zur Sprache, was zeigt, dass das Land sich auch politisch entwickelt.

swissinfo: Vietnam ist noch eines der wenigen Länder, wo die kommunistische Partei auf Grund des Einparteiensystems regiert. Hält dies der wirtschaftlichen Öffnung stand?

P.C.: Ich stelle fest, dass besonders in Asien auch andere Länder im Einparteien-System regiert werden. Bekanntestes Beispiel ist das prosperierende Singapur.

Dieses System ist während gewissen Phasen der ökonomischen Entwicklung nicht inkompatibel mit Marktwirtschaft. Wenn ich die heutige politische Situation in Vietnam vergleiche mit dem, was vor 20 Jahren war, habe ich nicht das Gefühl, es sei dasselbe System.

Das Internet beispielsweise eröffnet neue Möglichkeiten der Auseinandersetzungen. Unsere vietnamesischen Gesprächspartner versicherten uns, dass ihre Studenten zuhause und im Ausland sehr an der Zukunft ihres Landes interessiert sind. Veränderungen sind somit angesagt.

swissinfo: Ausbildung und Forschung erhalten in Vietnam einen immer grösseren Stellenwert. Das zeigen die Verträge, die während Ihres Besuches unterzeichnet wurden. Wie geht es in diesem Bereich weiter?

P.C.: Die Zusammenarbeitsverträge der beiden Länder sind ein Element in der Architektur der Beziehungen. Schon Ho Chi Minh soll viel Gewicht auf Schulung und Ausbildung gelegt haben.

Mir scheint, diese starke Gewichtung ist in diesem Land eine Art kulturelle Tradition. Die führende Klasse Vietnams wurde während der langen Kriege dezimiert. Da braucht es einen Neuaufbau – und das ist Generationenarbeit.

Vietnam sucht vor allem Lehrkräfte, um eigene neue Lehrkräfte auszubilden. Somit liesse sich in den nächsten 15 Jahren die Basis für eine Grundausbildung legen.

swissinfo: Am Freitag sind Sie bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking mit dabei. Was fühlen Sie dabei, und was erwarten Sie?

P.C.: In erster Linie wünsche ich mir, dass alles, auch die Zeremonie, bestens klappt. Und natürlich hoffe ich, dass die Schweiz Medaillen gewinnt. Dieses Jahr hatten die Schweizer in sportlicher Hinsicht noch nicht viel Erfolg.

Zwar haben wir die Euro 2008 organisiert. Und Federer hat in Wimbledon einen heroischen Wettkampf geliefert. Jetzt warten wir auf Olympia und hoffen auf einige Erfolge.

swissinfo: Schon letzten Januar haben Sie angekündigt, bei der Eröffnung der Spiele mit dabei zu sein. Weshalb?

P.C.: Einfach aus Rechtschaffenheit. Ich habe darauf gesetzt, dass ein Grossteil der Staatsoberhäupter an der Zeremonie teilnehmen wird – was im Übrigen auch der Fall ist. So fand ich es korrekt, meine Teilnahme frühzeitig bekannt zu machen.

swissinfo: Der Entscheid für Peking aus Austragungsort ist immer noch umstritten, wegen der Menschenrechts- und der Tibet-Frage. China behauptet, dank den Spielen verbessere sich die Situation. Ist das ein Dialog unter Gehörlosen?

P.C.: Wenn der Westen glaubt, ein Dialog bedeute, China in Schwierigkeiten zu bringen, dann entsteht wohl schnell ein Dialog unter Gehörlosen.

Das Land ist sich seiner Stärke bewusst, auch von seiner Kultur und Tradition her. China wird kaum Lust haben, sich bevormunden zu lassen, und sei dies auch nur symbolisch oder moralisch gemeint.

Ich denke, die Menschenrechts-Situation in China verbessert sich zwar, und dass noch viel zu tun bleibt. Aber wir dürfen China nicht auf die Anklagebank setzen. Das bringt gar nichts, zumindest jenen nicht, die wir schützen möchten.

swissinfo: Während Ihrer Präsidialzeit ereignete sich international vielerlei Kritisches: Angriffe auf das Bankgeheimnis, die Libyenkrise. Wie findet die Schweiz da raus?

P.C.: Die Schweiz kann solche Ereignisse nicht einfach umgehen. Wie sagt man so schön: Die stabilste Lösung für ein Lebewesen ist sein Tod. Und das wünschen wir uns ja nicht.

Es geht nicht darum, Krisen zu verhindern, sondern darum, Lösungen aus Krisen zu finden. Was die erwähnten Ereignisse betrifft, entwickeln sie sich zum Besseren, auch wenn noch nicht alle Probleme gelöst sind.

swissinfo: Gilt das auch für die Libyen-Krise? Was gäbe es hier für Lösungen?

P.C.: Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Und ausserdem eine klare Linie.

swissinfo-Interview: Andrea Arcidiacono, Ho Chi Minh-City (Saigon)
Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle

Pascal Couchepin wurde am 5. April 1942 in Martigny, VS, geboren.

An der Universität Lausanne studierte er Jurisprudenz, von Beruf ist er Rechtsanwalt.

Couchepin engagierte sich früh in der Politik. 1968 wurde er für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) in die Exekutive seiner Geburtsstadt Martigny im Wallis gewählt. Von 1994 bis 1998 war er Stadtpräsident.

Auf Bundesebene wurde Pascal Couchepin 1979 in den Nationalrat (grosse Kammer) gewählt. Von 1989 bis 1996 war er Vorsitzender der freisinnigen Fraktion.

Am 11. März 1998 wählte ihn das Parlament in die Landesregierung. Zunächst leitete er das Volkswirtschafts-Departement, bevor er am 1. Januar 2003 Innenminister wurde. Sein Ministerium umfasst die Bereiche Soziales, Gesundheit, Bildung und Kultur.

Als Bundespräsident ist er «Primus inter pares» und für ein Jahr gewählt. 2008 amtet Couchepin zum zweiten Wahl als Staatsoberhaupt.

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