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Claude Nicollier: «Der Weltraum ist eine magische Umgebung»

"Am Anfang schaukelt es stark und man hat enorm viel Schub." So erinnert sich Claude Nicollier an seinen ersten Weltraumflug vor 25 Jahren. Der heute 72-Jährige, hier mit einem Modell des Hubble-Teleskops, doziert nach wie vor an der ETH Lausanne. KEYSTONE/CYRIL ZINGARO sda-ats

(Keystone-SDA) Am 31. Juli vor 25 Jahren ist der Astronaut Claude Nicollier als erster und bislang einziger Schweizer in den Weltraum geflogen. Heute ist er 72 Jahre alt und gibt seine Erfahrungen an jüngere Generationen weiter.

Im Büro von Claude Nicollier im Swiss Space Center auf dem Gelände der ETH Lausanne (EPFL) steht ein Modell des startbereiten Space-Shuttles Atlantis. An Bord dieser Atlantis flog Claude Nicollier 1992 in den Weltraum – als erster und bisher einziger Schweizer.

Der Take-off in Cape Canaveral in Florida war am 31. Juli um 15.56 Uhr und 48 Sekunden Schweizer Zeit. «Ich habe an vier Weltraum-Missionen teilgenommen. Aber bei der ersten entdeckt man völlig neue Sinnesempfindungen», sagt Nicollier im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.

«Der Aufstieg in die Erdumlaufbahn dauerte nur achteinhalb Minuten. Am Anfang schaukelt es stark und man hat enorm viel Schub», fügt der Waadtländer an. Dann der Eintritt in die Umlaufbahn: «Ich erinnere mich sehr gut an diese magische Umgebung, die Abwesenheit der Schwerkraft, die Erde unter uns.»

«Es ist eine komische Mischung von Gefühlen, man beginnt ein Abenteuer, hat aber auch ein wenig Sorge.» Mit der Schwerkraft hatte der Astronaut anfangs seine Probleme.

Nach dem Abschalten des Hauptantriebs blieb er in der Liegeposition angeschnallt. «Ich hatte zuerst das Gefühl, dass eine Kraft uns gegen die Decke zog. Ich schlug mir im Space-Shuttle ständig den Kopf an der Decke an, wo sich alle Schaltkreise und Sicherungen befanden.»

Schwierige Mission

Aber er habe schnell gelernt, «dass es unten und oben nicht mehr gibt, dass die Decke oder auch die Seitenwand zum Boden werden kann.»

Bei der ersten Mission mit der Atlantis rissen die Probleme nicht ab. Ziel der Mission war es, den europäischen Forschungssatelliten Eureca sowie erstmals einen Fesselsatelliten TSS an einem spaghettidünnen Kabel auszusetzen. «Das Problem mit Eureca war geringfügig, jenes mit dem Fesselsatelliten gravierend.»

Nachdem sich das 20 Kilometer lange Kabel nicht korrekt abwickeln liess, wurde der Satellit TSS wieder im Laderaum verstaut. «Die Mission war gescheitert, wir gewannen zwar Daten, aber lange nicht so viele wie erwartet», erinnert sich Claude Nicollier. Allerdings gebe es bei Weltraum-Missionen immer Probleme.

Während der Atlantis-Mission grüsste auch Bundesrat Adolf Ogi in einer Live-Schaltung: «Bonjour Claude Nicollier, c’est Adolf Ogi, Grüess Gott, Freude herrscht.» Der Spruch erreichte Kultstatus.

Hubble repariert

Nicollier durfte als Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) noch an drei weiteren Space-Shuttle-Missionen der NASA teilnehmen. Bei der zweiten wurde 1993 das Weltraum-Teleskop Hubble repariert.

Für Claude Nicollier ein prägender Moment: «Hubble hatte enorme Probleme mit der Optik und die Sonnensegel waren in einem schlechten Zustand. Wir mussten Hubble wieder leistungsfähig machen, und es hat geklappt.» Noch heute schwärmt der Astrophysiker von dieser «fantastischen Mission».

Auch bei der letzten Mission 1999 ging es um Hubble. Dieses Mal durfte Nicollier sogar einen Weltraumspaziergang absolvieren. «Zuerst habe ich eine Minute innegehalten und die atemberaubende Umgebung betrachtet.» Danach habe er den strengen Plan einhalten müssen und keine Zeit zum Verweilen mehr gehabt.

Erfahrungen weitergeben

Vor seiner Karriere als Astronaut flog Nicolier als Pilot der Schweizer Luftwaffe den Kampfjet Hunter und studierte Astrophysik. Obwohl er immer davon geträumt hatte, war ihm eine Astronauten-Laufbahn als Schweizer zuerst unmöglich erschienen.

«Die Raumfahrt war unter den Sowjets und den Amerikanern aufgeteilt.» Erst als die ESA 1975 entschied, am Space Shuttle Programm teilzunehmen, habe es «Klick» gemacht. «Da habe ich mir gesagt, dass es eine Möglichkeit gibt.»

Es sei ein Privileg, bei dieser Pionierzeit der europäischen Raumfahrt dabei gewesen zu sein. Die europäischen Astronauten würden heute wegen ihrer guten Arbeit von den grossen Nationen respektiert.

Claude Nicollier bleibt optimistisch: «In den nächsten 10 bis 20 Jahren wird es gewiss weitere Schweizer Astronauten geben.» Das Korps der europäischen Astronauten sei aber relativ klein. Heute kämpfen 22 Länder um die begehrten Plätze und nicht mehr 11 wie früher.

Noch heute unterrichtet Claude Nicollier am Swiss Space Center Studenten. «Ich fühle eine gewisse Verantwortung, meine Erfahrungen weiterzugeben. Ich habe als Schweizer Ausserordentliches erlebt.» Er freut sich besonders, wenn einer der Studenten sich für eine Laufbahn als Astronaut entscheidet.

Den Jahrestag seines ersten Flugs ins Weltall wird er weder in der Schweiz noch in den USA feiern, sondern im Vatikan. «Ich bin von der Schweizergarde für den 1. August eingeladen. Das hat zwar keinen Zusammenhang mit dem Jahrestag, aber ich freue mich sehr darauf.»

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