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Wie Coco Chanel im Schweizer Exil lebte

Das Grab der Modeschöpferin Coco Chanel.
Coco Chanels Grab auf dem Friedhof Bois-de-Vaux in Lausanne Keystone / Laurent Gillieron

Die französische Modedesignerin, Parfümeurin und Nazi-Agentin Gabrielle "Coco" Chanel, die vor genau 50 Jahren starb, ist in Lausanne begraben. Nach dem Krieg war sie in die Schweiz gezogen, um dem Vorwurf der Kollaboration zu entgehen, und verbrachte rund zehn Jahre am Genfer See.

«Coco Chanel trank nur Champagner», sagt ein Barmann im Beau-Rivage Palace Hotel, wo Chanel eine Suite hatte. Das Leben im Exil konnte man also doch noch mit Stil führen.

Das luxuriöse Beau-Rivage und der Lausanner Palast, in dem sie sich ebenfalls aufhielt, sind Welten entfernt von dem Armenhaus-Hospiz, in dem Chanel 1883 geboren wurde, und dem Waisenhaus, in dem sie aufwuchs und das Nähen lernte.

Dank kreativer Visionen, harter Arbeit und dem Wissen um die richtigen (und falschen) Leute beschäftigte Chanel im Jahr 1935 etwa 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und hatte fünf Boutiquen im Zentrum von Paris. Nach dem Krieg wurde sie jedoch von ihrer Vergangenheit eingeholt – insbesondere von ihrer Arbeit als deutsche Agentin mit dem Codenamen «Westminster» (siehe Kasten) – und fand sich 1945 mit einem One-Way-Ticket in die französische Schweiz wieder.

In Lausanne angekommen, verkehrte sie in den Top-Hotels und liess sich in der Clinique Valmont kosmetisch behandeln. Auch im Teesalon Steffen in Montreux, einem Treffpunkt für Prominente, und im Restaurant Chalet-des-Enfants in den umliegenden Hügeln war sie anzutreffen.

Viele dieser Orte erwähnen noch immer Chanel in ihrem Marketing – auf der Website des Chalet-des-Enfants heisst es, sie würde dort für eine «Schale Milch und ein Stück Flan» einkehren und das Lausanne Palace hat sogar eine Coco Chanel Suite, die «weitgehend von der Designerin inspiriert» ist.

Ihr Zimmer im Beau-Rivage soll sie nur selten verlassen haben, sie blieb auf ihrem Balkon und genoss den Blick auf den See und die Berge. Einer ihrer Hunde soll sogar auf einem für vierbeinige Hotelgäste reservierten Haustierfriedhof begraben sein.

Vieles deutet darauf hin, dass es ihr dabei nicht darum ging, sich unauffällig zu verhalten. Wenn sie sich zum Beispiel zu einem Spaziergang am See aufmachte, folgte ihr der Chauffeur in einem Cadillac.

Coco Chanel
Chanel in den Fünfzigerjahren. The Granger Collection

Aber es gab nicht nur Partys und Spaziergänge. Es scheint, dass Chanel auch einen Teil ihrer Zeit im Exil damit verbrachte, ihre grosse Rückkehr vorzubereiten, sobald sich der Staub gelegt hatte. Im Jahr 1954, im Alter von 71 Jahren, kehrte sie nach Paris zurück, eröffnete ihr Couture-Haus neu und präsentierte ihre erste Comeback-Kollektion.

Beerdigung in der Schweiz

Nicht, dass sie die Schweiz vergessen hätte. 1966 kaufte sie ein Haus, «Le Signal», in Sauvabelin, in den bewaldeten Hügeln über Lausanne. In das im Heimatstil erbaute ehemalige Mädchenpensionat lud sie diverse prominente Freunde ein, etwa den französischen Ballettstar Serge Lifar, für den sie Kostüme entworfen hatte.

«Ich habe immer Sicherheit gebraucht. In der Schweiz kann man diese Sicherheit haben», sagte sie einmal.

Während Lifar in Lausanne starb und in Paris beigesetzt wurde, machte Chanel das Gegenteil. Sie starb am 10. Januar 1971 im Ritz Paris, wo sie rund 30 Jahre ihres Lebens gelebt hatte. Aber sie wollte in Lausanne beerdigt werden.

Chanel s burial
Die Beerdigung von Chanel im Jahr 1971. Keystone / Str

Ihr selbst entworfenes Grab befindet sich auf dem Friedhof von Bois-de-Vaux, wo Pierre de Coubertin, Gründer des Internationalen Olympischen Komitees, und der französische Lexikograf Paul Robert zu ihren Nachbarn zählen.

Das Grab ist wunschgemäss mit weissen Blumen (Cotoneaster) bepflanzt und befindet sich neben einer weissen Steinbank. Der Grabstein zeigt fünf Löwen (ihre Glückszahl und ihr Sternzeichen). Ausserdem steht die Stele nicht auf, sondern vor dem Grab – ein weiterer Wunsch. «Ich möchte keinen Stein auf dem Kopf haben – für den Fall, dass ich zurückkehren möchte», erklärte sie.

Es überrascht vielleicht nicht, dass nichts davon – kein einziges Wort über ihre Zeit in der Schweiz – in der Zeitleiste der offiziellen Chanel-Website erwähnt wird, die von 1945 (Überschrift: «GIs love Chanel») direkt bis 1954 («Welcome back») springt.

2011 behauptete Hal Vaughan, ein in Paris lebender Journalist und ehemaliger US-Geheimdienstoffizier, in einem Buch, nicht nur sei Coco Chanel die Geliebte des deutschen Offiziers Hans Günther von Dincklage gewesen (was gut dokumentiert war). Sondern auch: Die beiden seien Spione gewesen, die auf Missionen nach Madrid und Berlin gingen, um Nazi-Agenten zu rekrutieren.

Laut dem Buch «Sleeping With The Enemy: Coco Chanel’s Secret War», das auf erst vor kurzem freigegebenen französischen und deutschen Geheimdienstinformationen basiert, war Chanel mehr als nur eine Nazi-Sympathisantin und Kollaborateurin – sie war eine «bösartige Antisemitin» und registrierte Nazi-Agentin, die für die Abwehr, Deutschlands militärischen Geheimdienst, arbeitete.

Im Buch wird ihre Agenten-Nummer mit F-7124 und ihr Codename mit «Westminster» angegeben – denn sie hatte eine Affäre mit dem Duke of Westminster, einem der reichsten Männer der Welt.

Im Jahr 2014 bestätigte eine Dokumentation auf France 3, L’Ombre d’un Doute (Der Schatten eines Zweifels), dass Chanel direkt für den deutschen Militärgeheimdienst gearbeitet hatte. Es war das erste Mal, dass ein französischer Staatssender zugab, dass Chanel für die Besatzer spioniert hatte.

Von Churchill gerettet?

Als 1939 der Krieg ausbrach, schloss Chanel ihre Geschäfte in Paris und wohnte während der deutschen Besatzung im Ritz Paris, wo auch die obersten deutschen Militärs residierten. Ihre Affäre mit von Dincklage erleichterte dies.

Sie half auch bei der Befreiung ihres Neffen (von dem einige Quellen behaupten, er sei in Wirklichkeit ihr Sohn) aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Laut Vaughan stimmte sie im Gegenzug zu, den Nazis über «ihre mächtigen Verbindungen in London, im neutralen Spanien und in Paris» zu helfen.

Nach dem Krieg, während viele Frauen in Frankreich für «horizontale Kollaboration» mit deutschen Offizieren bestraft wurden, wurde Chanel über ihre Beziehung zu von Dincklage verhört, aber nicht als Kollaborateurin angeklagt. «Churchill liess mich freilassen», sagte Chanel ihrer Grossnichte nach der Rückkehr nach Hause, so Vaughan, der die Grossnichte interviewte. Einige Historiker glauben, dass der britische Premierminister Winston Churchill dies tat – wenn er es denn tat -, um zu verhindern, dass Chanel aussagte und die Pro-Nazi-Sympathien hoher britischer Beamter und Royals aufdeckte, wie von Edward VIII, den sie in den 1920er Jahren kennengelernt hatte.

1945 zog Chanel nach Lausanne, wo sich von Dincklage ihr zeitweise anschloss. 1951 wurde ein Foto des Paares in Villars sur Ollon im Kanton Waadt aufgenommen.

Nach der Veröffentlichung von Vaughans Buch gab die Chanel-Gruppe in einer Erklärung zu, dass Coco Chanel ein Verhältnis mit von Dincklage gehabt hatte, bestritt aber, dass sie antisemitisch war.

Marc Leutenegger

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