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Der Schweizer Top-Terrorist und seine Dienste für die CIA

Verbombtes Gebäude
Das Sendegebäude von Radio Free Europe in München nach dem Bombenanschlag vom 21. Februar 1981. Richard H. Cummings / zvg RFE/RL

Der Schweizer Linksextremist Bruno Breguet gehörte zur Gruppe des berüchtigten Terroristen "Carlos der Schakal". Jetzt zeigen neue Dokumentenfunde: Breguet war auch ein Agent des US-Geheimdienstes CIA.

Am 12. November 1995 verschwindet Bruno Breguet auf mysteriöse Weise von einer Fähre im Mittelmeer. Tags zuvor wurde dem Schweizer im Hafen von Ancona die Einreise verweigert. Der bekannte politische Gewalttäter ist in Italien nicht willkommen. Breguet muss zurück nach Griechenland fahren – Zeugen sehen ihn an Bord in jener Nacht. Doch als das Schiff am nächsten Tag in Igoumenitsa anlegt, fehlt von ihm jede Spur, zahlreiche Legenden ranken sich um sein Verbleiben.

Wer war der heute kaum noch bekannte Tessiner, den die Schweizer Presse noch 2003 als “Top-Terroristen” bezeichnete?

Breguet, Jahrgang 1950, wächst in Minusio über dem Lago Maggiore auf. Als im Februar 1969 ein Kommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) am Flughafen Kloten einen Anschlag auf eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al verübt, bricht der Nahostkonflikt jäh über die Schweiz herein.

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Während den Attentätern in Winterthur der Prozess gemacht wird, radikalisiert sich Breguet: Im Los der palästinensischen Flüchtlinge erblickt er eine grosse Ungerechtigkeit. Wie viele “68er” beeindruckt von den Schriften von Mao und Che Guevara, sieht er in den palästinensischen Widerstandskämpfern aber auch eine Avantgarde im Kampf um die Weltrevolution.

1970 reist der Gymnasiast in den Libanon und erhält in einem Lager der PFLP eine militärische Ausbildung, die ihn für eine Mission in Israel vorbereiten soll. Breguet erklärt sich bereit, für die Volksfront einen Bombenanschlag durchzuführen. Das Ziel ist der Shalom Tower, das Wahrzeichen Tel Avivs und damals das höchste Gebäude im Nahen Osten. Doch die israelischen Behörden nehmen ihn schon im Hafen von Haifa mit zwei Kilogramm Sprengstoff fest. Ein Militärgericht verurteilt den verhinderten Attentäter zu fünfzehn Jahren Haft.

1977 ist Breguet wieder auf freiem Fuss. Seine frühzeitige Entlassung verdankt er diplomatischen Initiativen der Schweizer Regierung, aber auch einer internationalen Solidaritätskampagne, die von Geistesgrössen wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Günther Grass, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt unterstützt wird.

Im Schoss des Schakals

Entschlossen, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen, stösst Breguet rund zwei Jahre später zur Gruppe des Venezolaners Ilich Ramírez Sánchez, genannt “Carlos der Schakal”, der seit 1975 als der meistgesuchte Terrorist der Welt gilt. Damals überfiel er mit seinem Kommando die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in Wien und nahm elf Erdölminister als Geiseln. Ende der 1970er-Jahre stellt er schliesslich seine eigene Terrororganisation zusammen, die sich zur Hauptsache aus ehemaligen PFLP-Kämpfern und Linksextremisten aus den Reihen der westdeutschen Revolutionären Zellen rekrutiert.

Bruno Breguet und Freunde
Bruno Breguet gibt nach seiner Rückkehr aus israelischer Haft im Juni 1977 eine Pressekonferenz im Zürcher “Cooperativo”. Keystone

Im Schosse des Schakals verflüchtigen sich Breguets Ideale wie Kohlendioxid in einem Sektglas. Die Carlos-Gruppe hat sich zwar nach wie vor die Weltrevolution auf die Fahne geschrieben und “will einen Kampf gegen den Imperialismus in all seinen Erscheinungsformen führen”, wie die ostdeutsche Stasi in ihren Akten notiert. Doch eigentlich handelt es sich eher um eine kriminelle Vereinigung mit revolutionärem Anstrich. In erster Linie versucht diese mittels Schutzgelderpressungen, Waffenhandel und Auftragsmorden für arabische Despoten möglichst viel Geld zu scheffeln.

Auch für den rumänischen Geheimdienst wird die Carlos-Gruppe tätig: Im Februar 1981 führt die Organisation zusammen mit Extremisten der baskischen ETA in München einen Sprengstoffanschlag gegen Radio Free Europe durch. Der amerikanische Propagandasender, der von der bayrischen Metropole aus Radioprogramme hinter den Eisernen Vorhang ausstrahlt, ist dem rumänischen Diktatur Nicolae Ceaușescus ein Dorn im Auge. Streng geheime Dokumente aus osteuropäischen Archiven und Aussagen einer ehemaligen Kampfgenossen inkriminieren Breguet schwer: Offenbar ist er es, der per Fernzündung die Bombe zur Explosion bringt. Nur dank viel Glück sind keine Todesopfer zu beklagen.

“Breguet wird seine Strafe nicht absitzen”

Beim Versuch, einen weiteren Sprengstoffanschlag auszuführen, wird der Tessiner 1982 in Paris verhaftet. Carlos versucht seinen “Soldaten” freizupressen, sendet dem französischen Innenminister einen Drohbrief samt Ultimatum. Breguets Anwalt Jacques Vergès gibt sich in der Öffentlichkeit selbstbewusst: “Breguet, Sie wissen es, er weiss es, die Regierung weiss es, selbst, falls er verurteilt wird, wird seine Strafe nicht absitzen. Wir wissen es. Das einzige Problem ist zu wissen, wie lange es dauert, bis er freigelassen wird. Das heisst, wie viele Tote, wie viele Trauerfälle es braucht, die seine Freunde den französischen Behörden zufügen, damit sie sich bereit erklären, ihn wieder auf freien Fuss zu setzen.” Die ernüchternde Antwort lautet: dreieinhalb Jahre, mindestens elf Tote und 139 Verletzte später ist Breguet wieder frei.

Porträt Terrorist Carlos
Das berühmte Porträtfoto von “Carlos dem Schakal” wurde zum Symbolbild für den Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre. Keystone

Die französische Regierung lässt das Ultimatum nämlich verstreichen und Breguet wird gemeinsam mit Magdalena Kopp zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Kopp, Führungsmitglied der Terrorgruppe und spätere Ehefrau des Schakals, sollte Breguet beim Anschlag in Paris unterstützen. Nun erklärt Carlos Frankreich den Krieg. Bei einer Welle brutaler Anschläge geraten auch viele unbeteiligte Zivilsten ins Visier. Doch die Regierung in Paris zeigt sich unnachgiebig. Erst nach Verbüssung von zwei Dritteln seiner Strafe wird Breguet in die Schweiz abgeschoben.

Vom Terroristen zum CIA-Agenten

In den folgenden Jahren wirkt der Schweizer als eine Art Statthalter der Carlos-Gruppe in Westeuropa. Der Schakal und seine engsten Waffengenossen mussten sich unterdessen nach Damaskus zurückziehen, weil die sozialistischen Regime in Osteuropa nicht länger gewillt waren, ihre Präsenz zu tolerieren. Auch Breguet, der legal im Tessin lebt, hält sich in den folgenden Jahren oft wochenlang in der syrischen Hauptstadt auf.

Was bislang nicht öffentlich bekannt war: Eines Tages im Frühling 1991 läuft der selbsternannte “Profi-Revolutionär” in eine US-Botschaft und bietet an, seine Organisation zu verraten. Brisante Dokumente im amerikanischen Nationalarchiv zeigen, dass Breguet in den folgenden Jahren als Agent FDBONUS/1 mit der CIA zusammenarbeitet. Dem amerikanischen Auslandsgeheimdienst liefert er in der Folge gegen ein monatliches Salär von 3000 Dollar (heute: ca. 6000 Schweizer Franken) die Geheimnisse der Carlos-Gruppe: Er verrät operationelle Details, Waffenverstecke und Unterstützer-Netzwerke.

Als auch die syrische Regierung Carlos und das Fähnlein seiner letzten Aufrechten im September 1991 aus dem Land wirft, beginnt für den angeblich “gefährlichsten Terroristen der Welt” eine Odyssee durch den Nahen Osten. Er findet Zuflucht in Jordanien, später in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Breguet spielt in der Folge eine wichtige Rolle in den Plänen der CIA, auf die Spur des Schakals zu kommen. 1994 findet der US-Geheimdienst Carlos schliesslich im Sudan. Er wird festgenommen und an die französische Regierung ausgeliefert.

Die Rache von “Carlos”?

Die Enthüllung, dass Breguet zuletzt ein Agent der CIA war, lässt auch sein mysteriöses Verschwinden in einem neuen Licht erscheinen. Hat ihm die CIA zu einem neuem Leben mit neuer Identität verholfen? Breguets Nutzen als Agent dürfte gerade im Herbst 1995 nachgelassen haben. Schliesslich sassen zu diesem Zeitpunkt Carlos und seine rechte Hand, der Deutsche Johannes Weinrich, hinter Schloss und Riegel.

Andererseits scheint ein Racheakt naheliegend. Hat Carlos in seiner Pariser Gefängniszelle vom Verrat Breguets erfahren und wollte sich rächen? Ein denkbares Szenario, denn die Gruppenstruktur war im November 1995 noch so weit intakt, dass Carlos aus dem Gefängnis einen solchen Auftragsmord hätte befehlen können. Er besass nach wie vor einen Kommunikationskanal zu seinen Gefolgsleuten, seine Auftragskiller im Libanon standen ihm noch zu Diensten, und in der Kriegskasse befand sich noch reichlich Geld. Oder ist Breguet etwa doch untergetaucht, wie die Schweizer Bundesanwältin Carla del Ponte vermutete?

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