Die heile Welt, die aus den Fugen gerät
Manuel Stahlberger erzählt in seinen Songs mit unglaublicher Phantasie und Präzision Geschichten von banalen Alltagssituationen, die im Chaos enden. Am 16. Mai wird ihm der Kabarettpreis Salzburger Stier übergeben.
«Ich bin kein Kabarettist, ich bin einfach ein Liedermacher», sagt der 35-jährige St. Galler Manuel Stahlberger. Stahlberger ist kein Witzeklopfer, er ist viel mehr einer, der «viel grübelt», wie er sagt.
Der Kabarettpreis Salzburger Stier, einer der renommiertesten Kleinkunstpreise im deutschen Sprachraum, ist für ihn aber «eine grosse Anerkennung».
Melancholische Töne
In den Medien ist in Zusammenhang mit Stahlberger auch vom neuen Mani Matter (Berner Liedermacher-Legende) die Rede. «In meiner Kindheit habe ich die Lieder von Mani Matter aufgesogen», sagt Stahlberger, der jedoch von solchen Vergleichen nichts hält.
Stahlberger lässt sich nicht schubladisieren – er ist Comic-Zeichner, Teil des Musik- und Mechanik-Duos Stahlbergerheuss und seit kurzem auch Frontsänger einer Pop-Band. Die Songtexte auf dem im Januar erschienenen Debüt-Album «Rägebogesiedlig» sind beissend satirisch, Stahlberger schlägt jedoch auch immer wieder melancholische Töne an.
Welt der Spiessbürger
Statt mit dem Zeichenstift kreiert Stahlberger in seinen Liedern mit Worten Geschichten, deutet mit einigen präzisen Strichen eine Szene an, lässt das Phantasiegebilde wirken.
Stahlbergers Beobachtungen sind scharfsinnig. Schonungslos und detailliert beschreibt er die Welt der Schweizer Spiessbürger, so als hätte er sie unter ein Mikroskop gestellt. Seine Geschichten beginnen scheinbar harmlos und enden schliesslich in der Katastrophe, banale Alltagsituationen kippen ins Surreale. In der heilen Welt tauchen rabenschwarze Wolken auf, macht sich Beklemmung breit, den Protagonisten entgleitet die Kontrolle.
Gescheiterter Ausbruch
In «Jakobswäg» will ein Ehepaar aus dem Alltag ausbrechen, doch vor lauter Vorbereitungen wie Katze einschläfen, Gärtner benachrichtigen, Metallabfuhr und Zeitschaltuhr organisieren scheint es ihnen nicht so recht zu gelingen.
In «Rägebogesiedlig» mietet jemand eine Wohnung in einer monotonen Siedlung, wo die Plastikdinosaurier für die Kinder und die in den Farben des Regenbogens angestrichenen Blocks die einzigen Orientierungspunkte sind. Für den Fall, dass die Bewohner der Siedlung in der Nacht nicht mehr nach Hause finden, wurden zwischen den Häusern Notrufsäulen angebracht. Aus Angst, sich in der Siedlung zu verirren und von den Nachbarn als «Tubel» ausgespottet zu werden, verlassen diese kaum noch ihre Wohnung.
Angst vor Inspirationen
Ängste sind immer wieder Thema bei Stahlberger. «Man kann plötzlich eine Mauer um sich herum aufbauen, weil man Angst hat vor äusseren Inspirationen, die den irgendeinmal gefassten Lebensentwurf in Frage stellen könnten», so Stahlberger.
Für Stahlberger, der im katholischen St. Gallen aufgewachsen ist, wo er auch heute noch lebt, hat alles Starre, Festgefahrene etwas Unheimliches. «So bald etwas nicht mehr in Bewegung ist, so bald es heisst, so muss es sein und so muss es bleiben, habe ich Mühe.»
Feindbilder willkommen
Diese Ängste leisten auch Feindbildern Vorschub, wie er in seinen Liedern aufzeigt. In «Gwaltbereiti Alti» kehrt Stahlberger die in den Medien breitgeschlagene Problematik gewalttätiger Jugendlicher um: Diesmal sind es die Jungen, die sich aus Angst vor den rabiaten AHV-Bezügern nicht mehr auf die Strasse wagen.
Im Lied «Bummler uf Rüti» erzählt er die Geschichte von einem Mann, der völlig aus dem Konzept gerät, als sich im Zug einer zu ihm setzt, der geräuschvoll an einem Fenchel kaut und seinen Sitznachbar ungeniert anstarrt. «Dabei macht er gar nichts, er ist einfach anders», sagt Stahlberger.
In St. Gallen hätten ein paar Punks am Bahnhof «als Feindbilder für gewisse verknorzte Köpfe» herhalten müssen. Mit Panikmache habe man schliesslich in der Abstimmung «tonnenweise» Überwachungskameras durchgebracht.
Es sei nicht immer einfach mit sich selbst klar zu kommen. «Ab und zu ist man froh, einen Tubel zu haben, dem man die Schuld an allem geben kann», sagt Stahlberger.
Selbst Bünzli
Inwiefern ist er selbst ein Bünzli? «Vermutlich habe ich andere Ideen als die meisten Leute, aber mein Leben ist nicht geprägt von Ausbrüchen aus dem Normalen. Ich mache einfach einen relativ unnormalen Beruf», sagt Stahlberger. Stahlberger ist seinen Weg trotz Widerständen gegangen: Gegen den Willen seines Vaters hat er keine Lehre gemacht und zog schliesslich von zu Hause aus, um Comics zu zeichnen.
«Es ist nicht so, dass ich mit dem Finger auf die Spiesser zeige und mich dabei besser fühle», sagt Stahlberger. «Ich habe die Typen gern, von denen ich erzähle. Ich verstehe sie, weil ich mich ein Stück weit darin wieder erkenne.»
Corinne Buchser, swissinfo.ch
Von 1994 bis 2002 spielte Stahlberger im Duo «Mölä & Stähli», das 2001 den Prix Walo in der Sparte Kleinkunst/Comedy gewann.
Manuel Stahlberger ist die eine Hälfte des Musik- und Mechanik-Duos Stahlbergerheuss, mit dem er auch heute noch auftritt. Stahlbergerheuss bekamen 2005 den Kleinkunst-Innovationspreis SurPrix.
Seit kurzem ist er mit einer Pop-Band unterwegs. Im Januar erschien das Debüt-Album «Rägebogesiedlig».
Am 16. Mai wird Manuel Stahlberger der Kabarettpreis Salzburger Stier übergeben.
Von 1998 bis 2004 zeichnete Stahlberger für das St. Galler Kulturmagazin Saiten die Comic-Serie «Herr Mäder».
Der 1974 geborene Manuel Stahlberger lebt und arbeitet in St. Gallen.
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