Als ein Japaner Grindelwald zum Jubeln brachte
Gemeinsam mit drei Einheimischen gelang dem Japaner Yuko Maki am 10. September 1921 die Erstbesteigung des Eigers über den sogenannten Mittellegi-Grat. Dank einer Spende Makis wurde Jahre später auf diesem Grat eine Hütte gebaut. Sie wird heute von zahlreichen Bergsteiger:innen genutzt.
Wenn man nachts von Grindelwald aus auf den 3967 Meter hohen Eiger blickt, sieht man aktuell sechs Lichter entlang des nordöstlichen Grats. Sie markieren die kritischen Punkte auf der Route über den so genannten Mittellegi-Grat zum Gipfel. Vor 100 Jahren, genauer am 10. September 1921, wurde der Eiger zum ersten Mal auf diesem Weg erklommen.
«Der erste Abstieg über den Mittellegi-Grat gelang bereits 1885», erzählt Marco Bomio, Leiter des Heimatmuseums in Grindelwald, das im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten eine Sonderausstellung zeigt. «Doch den Aufstieg verunmöglichte über Jahre hinweg eine 200 Meter hohe, fast unüberwindbare Steilwand.»
14 Versuche waren nötig, bis es 1921 endlich jemand schaffte: Ein Japaner namens Yuko Maki. Er war damals 27 Jahre alt. Begleitet wurde er von drei einheimischen Bergsteigern: Samuel Brawand (damals 23), Fritz Steuri (42) und Fritz Amatter (47).
Lernen von den Einheimischen
Der eher kleingewachsene Japaner kam im Herbst 1919 nach Grindelwald. Er lebte sich im Berner Oberländer Bergdorf ein, machte sich mit den Schweizer Alpen und dessen Geographie und Geschichte vertraut und beschäftigte sich eingehend mit Bergsteiger-Ausrüstung.
Alles was er benötigte, kaufte er in Grindelwald: Er bestellte ein Paar Bergschuhe bei Eduard Amacher, Eispickel bei Christian Schenk und Alfred Bhend sowie einen Rucksack bei August Kissling.
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«Diese Handwerker waren damals bei Bergsteigern sehr beliebt. Viele kamen von weit her, um bei ihnen einzukaufen», sagt Bomio. Den Familienbetrieb Bhend gibt es noch immer, als einer der letzten Schweizer Schmiede stellt er auch heute noch handgehämmerte Eispickel her.
Von einheimischen Bergführern wie Samuel Brawand und Fritz Steuri lernte Maki das Klettern in schnee- und eisbedeckten Felswänden und auch den Umgang mit einem Kletterseil. In den Bergen der Jungfrauregion und des Wallis verbesserte er seine Fähigkeiten. In seinem Buch «Sanko» bezeichnet er Brawand und Steuri als «enge Kletterfreunde».
Schliesslich beschlossen Maki, Brawand und Steuri, den Eiger über den Nordost-Grat, den so genannten Mittellegi-Grat, zu besteigen. Letztmals hatte das 47 Jahre zuvor jemand versucht – und war gescheitert.
Der erfahrene Bergführer Fritz Amatter erklärte sich bereit, das Trio zu begleiten. Er war einst erfolgreich vom Gipfel über den Mittellegi-Grat abgestiegen.
«Die vier Männer versammelten sich im Garten des Hotels, in dem Maki wohnte, und besprachen, wie sie die schwierigste Stelle überwinden konnte», erzählt Bomio. «Alle paar Meter gibt es dort einen Steilhang, und es gibt kaum Möglichkeiten, sich festzuhalten.»
Die Bergsteiger tüftelten an einer Kletterhilfe, die ihnen den Aufstieg erleichtern konnte. Ausgehend von Amatters Erfahrung entwickelten sie «ein spezielles Werkzeug»: Eine etwa fünf Meter lange Holzstange, die an einem Ende einen Metallhaken und am anderen Ende drei Zwingen aufwies.
Anhand einer Nachbildung im Museum erklärt Bomio, wie die Stange benutzt wurde. «Eine Person drückte sie gegen die Felswand, während die andere mit dem Seil, das an Haken und Stange hing, den Felsen hinaufkletterte.»
Der Aufstieg gelang. Innert sieben Stunden überwand die Seilschaft den 200 Meter hohen Steilabschnitt und erreichte den Gipfel des Eigers.
>> Sehen Sie hier die Route der vier Bergsteiger:
Das Dorf jubelte. Die Lokalzeitung «Echo von Grindelwald» vom 14. September 1921 berichtete auf ihrer Titelseite über die Heldentat Makis. «Es war das erste Mal, dass diese Zeitung eine grosse Geschichte über den Alpinismus veröffentlichte», sagt Bomio.
Hunderte Gäste pro Jahr
Wenige Jahre nach seiner Erstbesteigung spendete Maki dem Grindelwalder Bergführerverein zehntausend Franken für den Bau einer Berghütte auf dem Mittellegi-Grat, auf 3355 Metern über Meer. Im Oktober 1924 wurde sie eröffnet.
Heute wird die Nachfolge-Hütte rege benutzt. Sie wurde 2019 von 16 auf 42 Betten erweitert. «Die Gästezahl hängt stark vom Wetter ab», sagt Bomio. «In guten Jahren kommen etwa 1000 Menschen. In dieser Saison werden es weniger sein, vielleicht zwischen 400 bis 600.»
Die Mittellegi-Hütte hat den Kreis derer, die den Eiger über den Mittellegi-Grat besteigen, vergrössert. «Die Hütte hat den Aufstieg einfacher und bequemer gemacht, früher konnte man dort nur biwakieren», so Bomio.
Eine der ersten Bergsteigerinnen, die in der Hütte Rast machten, war Klara Amatter, die Tochter von Fritz Amatter. Sie konnte 1926 als erste Frau den Eiger über den Mittellegi-Grat erklimmen – es war die erste erfolgreiche Besteigung nach 1921 via diese Route.
Heute ist die originale Mittellegi-Hütte als Aussenexponat des Museums auf dem Wanderweg «Jungfrau Eiger Walk» zwischen den Stationen Eigergletscher und Kleine Scheidegg ausgestellt.
«Ein echter Botschafter»
Maki verhalf dem Dorf Grindelwald und seinen Bergführer:innen zu internationalem Ansehen und sorgte dafür, dass noch mehr japanische Bergsteiger:innen das Bergdorf bereisten.
«Maki hatte grosses Vertrauen in seine Bergführer, insbesondere in Samuel Brawand.» So schrieb Maki in dessen «Führerbuch»: «Allen, die später kommen, empfehle ich von ganzem Herzen Herrn Brawand.»
Heute stehen in Brawands Büchlein die Namen von 17 japanischen Bergsteigern, darunter auch Prinz Chichibu, ein Mitglied der kaiserlichen Familie, das in Japan als «Sportlicher Prinz» bekannt ist. «Ich denke, Maki hatte allgemein einen positiven Einfluss auf den Tourismus in Grindelwald und wurde zu einem echten Botschafter für unser Dorf.»
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