Grosser Sankt Bernhard: Hospiz am Scheideweg
Das Hospiz, an dem Napoleons Truppen vorbeizogen und dessen Hunde zahlreiche Reisende retteten, benötigt mehrere Millionen Franken, um seine Zukunft zu sichern. Seine 1000 Jahre alten Mauern beherbergen immer noch viele Reisende und Menschen auf der Suche nach Spiritualität.
Für Reisende Richtung Süden ist der Grosse Sankt Bernhard meist zuerst ein Tunnel: 5,8 Kilometer lang, zwischen dem Schweizer Kanton Wallis und dem italienischen Aostatal.
Zwischen Kälte und Banditen
Bernhard Menthon (um 1020 – 1081 oder 1086), Erzdiakon von Aosta, begegnete immer wieder erschöpften Reisenden, die vom Pass Mont-Joux (Grosser Sankt Bernhard) herunterstiegen, einem der Alpenübergänge auf 2472 Metern.
Die Leute waren Opfer der unwirtlichen Bedingungen oder der Angriffe von Banditen geworden. Der Pass galt als eine der gefährlichsten Routen Europas. Deshalb hat Bernhard Menthon, spätere Sankt Bernhard, eine Herberge errichten lassen, die zwischen 1045 und 1050 eingeweiht wurde. Der Passname Sankt Bernhard hat sich ab dem 13. oder 14. Jahrhundert durchgesetzt.
Bernard Menthon liess auch das Hospiz auf dem Colonne-Joux Pass errichten, der das Aosta-Tal (I) mit Isère (F) verbindet und heute Kleiner Sankt Bernhard heisst.
Das im Jahr 1801 von Napoleon Bonaparte gegründete Simplon Hospiz, das grösste der Alpen, gehört ebenfalls den Augustiner-Chorherren.
1931 beteiligten sich diese an der Errichtung eines Hospiz auf dem Latza-Pass (3800 m ü.M.) in Tibet. Bist 1947 waren dort 4 Equipen der Chorherren tätig. 1949 wurden ein Chorherr und ein Reisegefährte in Tibet ermordet. Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 1951 wurden die Missionare aus dem Land vertrieben. Die Chorherren des Grossen Sankt Bernhards gründeten in Formosa (heute Taiwan) eine Mission, die immer noch ihre Dienste anbietet.
Aber wer es weniger eilig hat und die kurvenreiche Strasse auf den Pass hinauf wählt, kennt bestimmt nicht nur die berühmten Bernhardiner Hunde, welche den Ort bewachen, sondern auch die einmalige Atmosphäre der Region.
Karg, wild, oft schneebedeckt, ein kleiner Bergsee, einige historische Gebäude auf der Passhöhe auf 2500 Metern über Meer: Der Grosse Sankt Bernhard lässt kaum jemanden unbeeindruckt. Der Pass mit dem ursprünglichen Namen «Mont-Joux» galt lange als einer der gefährlichsten Übergänge im Alpenraum.
Vor fast 1000 Jahren (vgl. rechte Spalte) liess Bernard de Menthon, Erzdiakon aus dem Aostatal, für die Reisenden und Pilger, die den Banditen und der Kälte ausgesetzt waren, einen Unterschlupf errichten. Der Ruf des Ortes und dessen traditionelle Gastlichkeit machten sehr schnell in ganz Europa von sich reden.
In Lauf der Geschichte stiegen unzählige berühmte Gäste ab: Am 20. Mai 1800 liess sich Napoleon Bonaparte hier verewigen, als er mit seinen 40’000 Soldaten, 5000 Pferden, 50 Kanonen und 8 Feldhaubitzen die Alpen überquerte.
Wenn sich der Zweck des Hospizes nicht ändern soll, sind Renovationen unumgänglich. Wie lassen sich neue Besucher in eine Region locken, die sich oft unwirtlich präsentiert (der Kälterekord liegt bei – 21,8 Grad…) und für den Verkehr nur knapp fünf Monate im Jahr geöffnet ist? Das ist die Herausforderung für Annick und Stéphane Boisseaux-Monod, die mit ihrem Sohn das Hotel-Restaurant Hospiz, das sich nun «Herberge» nennt, für ein Jahr übernommen haben.
Im gleichen Geist
Mit Hilfe der Augustiner-Chorherren beabsichtigen sie, die bald 1000-jährige Stätte wiederzubeleben, um ihr ein wenig von jener Wärme einzuflössen, die draussen fehlt. «Wir wollen etwas schaffen, das gastlicher ist als die Landschaft», sagt Annick Boisseaux-Monod. «Das funktioniert aber nur, wenn es im gleichen Geist geschieht wie gegenüber.»
Mit «gegenüber» sind das Hospiz, eine barocke Kirche, eine Krypta, eine Ausstellung sowie die Lebensstätte der Chorherren und deren Gästen und Pilger gemeint. Das Hospiz auf der einen, die Herberge auf der anderen Seite der Strasse, sind nur einige Meter voneinander getrennt. Es ist jene Strasse, die – wie auf zahlreichen Archivfotos abgebildet – von hohen Schneemauern eingeschlossen ist und von vergnügten Chorherren freigeschaufelt wird.
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1925 wurde das Hotel externen Verwaltern übergeben, um zahlende Gäste zu empfangen, während das Hospiz Wanderern und Pilgern weiterhin gratis Kost und Logis anbot.
Bedrohte Solidarität
Ab 1893 wurden auf der neuen Strasse Tausende neue Besucher auf den Pass geführt. Einige Reiseführer zögerten nicht, ihre Gäste zu den Chorherren zu bringen, wohlwissend, dass sie dort gratis untergebracht werden. Die traditionelle Beherbergung drohte zusammenzubrechen.
Im Lauf des 20. Jahrhunderts war die traditionelle Unterscheidung zwischen motorisierten Besuchern, die im Hotel logierten, und jenen, die im Hospiz untergebracht waren, künstlich geworden, und die beiden Nachbarn hatten sich immer weniger zu sagen. Symbol dieser Distanzierung: die Passerelle, welche die beiden Gebäude verbindet, wurde als Abstell-Kammer missbraucht, was den Durchgang verunmöglichte.
«Wir werden sie wieder öffnen», verspricht Annick Boisseaux-Monod. «Sie wird erneut eine Verbindung herstellen. Fensterflächen sollen die Sicht auf beide Seiten des Passes freimachen – ein weiteres Symbol dieses Ortes, der sich weder um die Grenze zwischen zwei Ländern, noch um jene zwischen Kirche und Aussenwelt kümmert.
Die Kongregation
Die Kongregation des Grossen Sankt Bernhards zählt heute 45 Priester, Mönche und Laien. 5 Chorherren und eine Laienschwester leben das ganze Jahr im Hospiz des Grossen Sankt Bernhards, sechs weitere im Hospiz Simplon.
Die Chorherren des Grossen Sankt Bernhards werden von rund zehn Angestellten und Freiwilligen unterstützt.
Der Pass ist auf der Strasse zwischen Juni und Mitte-Oktober erreichbar.
Das Hospiz beherbergt rund 11’000 Personen und verpflegt fast 20’000 Personen pro Jahr.
Gesucht sind 5 Millionen
Diktiert wurde das «Lifting» der Stätte vor allem durch die Dringlichkeit. «Die Wasserleitungen waren dermassen verrostet, dass sie nur noch ein kleines Rinnsal passieren liessen», sagt Augustiner-Chorherr José Mittaz, der Prior des Hospizes. «Auch die elektrischen Installationen müssen erneuert werden.»
Auf der Liste der notwendigen Arbeiten figuriert auch eine neue Präsentation der Objekte des «Tresors» (des Gottesdiensts, aber auch Kunstwerke und andere Raritäten), die Renovierung der Herberge, der Umbau der ehemaligen Ställe im ‹Maison du terroir», die Reinigung der Fassaden und das Ersetzen der 120 Fenster, bei denen es sich um lauter einmalige Stücke handelt.
In alpinen Zonen erweisen sich solche kostspieligen Arbeiten jeweils als noch teurer. Die kleine Kongregation verfügt nicht über die erforderlichen 4,7 Mio. Franken. Für die Suche von Geldgebern ist ein Patronatskomitee auf die Beine gestellt worden. Es vereint fast alle Persönlichkeiten, die in der Westschweiz Rang und Namen haben: vom Ballonfahrer Bertrand Piccard über den ehemaligen Bundesrat Pascal Couchepin bis zum Bergführer Jean Troillet.
Verbundenheit einer ganzen Region
Christophe Darbellay, Schulkamerad des Priors und Nationalrat der Christlichdemokratischen Volkspartei CVP, präsidiert das Patronatskomitee. Wie viele andere Walliser ist er mit dem Grossen Sankt Bernhard stark verbunden.
«Meine Grossmutter väterlicherseits hat dort während des Ersten Weltkriegs als Magd gearbeitet», sagt der Politiker. «Der Pass ist ein eindrücklicher, sehr spezieller Ort. Ich bin als Jugendlicher oft hinauf gegangen, um mit meinen Neffen Berg- und Skitouren zu machen.»
Inzwischen sind einige Spenden eingegangen. Der neugestaltete «Tresor» ist bereits eingeweiht worden. «Die Wirkung unserer Kampagne ist ermutigend», sagt José Mittaz. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht nur auf uns zählen müssen. Das Hospiz gehört allen, seit fast 1000 Jahren.» Und Christophe Darbellay erinnert daran, dass «das Hospiz immer von der Generosität der Leute abhängig war. Die Leute im Tal spendeten jedes Jahr einen Sack Salz.»
Auch Annick Boisseaux-Monod ist überzeugt: «Der Grosse Sankt Bernhard kann auf neue Bedürfnisse eingehen, ob jemand Stille, Distanz oder Spiritualität im weitesten Sinn sucht. Die neuen Einrichtungen haben keinerlei religiöse Konnotation mehr.»
Diese «Philosophie der Gastfreundschaft» ist auch für Prior José Mittaz wichtig. «Wir fragen die Ankömmlinge nicht, welcher Religion sie angehören, sondern bieten ihnen Unterschlupf. Wir unterstützen die Durchreise. Ein Tourist ist jemand, der die Andersartigkeit braucht, um gestärkt zurückzukommen.»
«Wo sind die Hunde?»
Das fast 1000-jährige Hospiz musste sich mehr als einmal neu erfinden, ob wegen der Eröffnung der Strasse 1893 oder des Tunnels 1964. Geändert haben sich sogar die berühmten Hunde, die einst auf ihren morgendlichen Rundgängen mit den Chorherren im Schnee manchen erfrorenen Reisenden gefunden hatten.
Seit 2005 ist die Aufzucht Eigentum der Stiftung Barry, die den Namen des berühmtesten Bernhardiners Barry I (1800 -1814) trägt. «Ihre Attraktivität ist unbestritten und unbestreitbar», bestätigt José Mittaz. «Wo sind die Hunde?», laute häufig die erste Frage der neuen Gäste. «Sie widerspiegeln unsere eigenen Gefühle und bringen uns viel weiter, als wir selber …»
Jean-François Chételat, ein Rentner aus dem Jura, der während zwei Wochen als Freiwilliger im Hospiz aushilft, teilt die Meinung. «Ich gehe jeden Morgen mit zwei oder drei Hunden marschieren. Wenn ich könnte, würde ich für immer hier bleiben!»
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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