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Bauer und Schriftsteller: «Der eine kann nicht ohne den anderen sein»

Ein Mann mit Bart sitzt auf Steinen, um ihn stehen Ziegen.
Jean-Pierre Rochat mit seinen Ziegen auf seinem Hof. Keystone

Am 23. September entscheidet das Schweizer Stimmvolk über zwei Themen, welche die Bauern und deren Schwierigkeiten betreffen. Jean-Pierre Rochat erzählt von diesen Problemen mit Poesie. Er wurde vor 65 Jahren in Basel geboren und bewirtschaftet heute einen 45 Hektar grossen landwirtschaftlichen Betrieb im Berner Jura. Die Liebe zum Land inspiriert den Schriftsteller.

Jean-Pierre Rochat trägt keine kurzärmelige Sennenjacke. Sennen-Allüren geben ihm aber sein Käppi und ein langer weisser Bart, der seinem Gesicht die Weisheit eines alten Hirten der Bergweiden verleiht. Als er aber seinen Hut abnimmt und zwei Finger auf seine Schläfe drückt, erinnert er an Victor Hugo, so wie man ihn von einem seiner berühmtesten Porträts her kennt. Rochat ist in der Tat eine Doppelperson: Er ist Schriftsteller und Bauer, hat zwei Identitäten.

Die Handfläche seiner linken Hand ziert ein Pferdekopf, der mit chinesischer Tinte graviert ist, lange vor der grossen Mode des Tätowierens. Es ist Symbol für seine Beschäftigung als Züchter. Pferdezüchter, unter anderem. Die andere Signatur ist auf seiner rechten Hand. Diese hat bisher fünfzehn Bücher (Romane, Kurzgeschichten, Gedichte) hervorgebracht, die ihn zu einem der lesenswertesten Autoren des Landes machen.

Ur-Schweiz und Sprachspiele

Die Ur-Schweiz, ihre ausgedehnten Weiden, ihre Schafe, ihre Ziegen, ihre Kühe…. haben für ihn keine Geheimnisse, ebenso wenig wie die Sprachspiele, die er mit einer Geschicklichkeit beherrscht, die grosse Komiker vor Neid erblassen lässt. Humor ist die Stärke des Schriftstellers Rochat. «Beschwerden» der Bauern – und an denen fehlt es wenige Tage vor der Abstimmung über die Initiative für Ernährungssouveränität am 23. September nicht – kommen so besser an.

Wenig überraschend steht Rochat auf der Seite der Initianten. In «Petite Brume» (2017) hat er auf seine Weise die rebellischen Impulse der Bauerngewerkschaft Uniterre vorausgesehen. «Petite Brume» ist ein tragisch-komischer Roman, in dem der Autor die schwierige bäuerliche Realität durch Humor etwas milder erscheinen lässt. Bauer Jean, der Held des Romans, muss zusehen, wie sein Hab und Gut und seine Tiere versteigert werden. In nur einem Tag verändert sich sein Leben komplett.

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Mürrisch und lustig

Jean, mürrisch und mit einem Hauch von Ironie in seiner Stimme, gleicht dem Autor ein bisschen. Rochat gehört ein 45 Hektar grosser landwirtschaftlicher Betrieb auf 1000 Metern Höhe, unweit von Vauffelin im Berner Jura. «Die Landwirtschaft wird auf dem Altar der Industrie geopfert», sagt der Mann, der «all die Zwänge, denen die Bauern heute ausgesetzt sind», für «absurd» hält.

Er kritisiert die Kontrollen, denen sein Beruf unterliegt: «Ich habe einen Kollegen, der Schafe besass. Sie nahmen sie ihm weg, unter dem Vorwand, dass es in seinem Stall nicht genug Licht habe. Aber was ist mit dem Licht auf den Weiden, auf denen diese Schafe grasten, zählt das nicht?»

Der Staat hat seine Gründe, die bei Bauern auf wenig Verständnis stossen. Wenn er wütend ist, vertraut sich Jean-Pierre, der Bauer, dem Schriftsteller Rochat an. «Der eine kann nicht ohne den anderen sein», sagt der Autor von «L’Ecrivain suisse allemand», einer Fiktion, die 2013 mit dem Dentan-Preis ausgezeichnet wurde. Im Laufe der Seiten entsteht eine unerwartete Freundschaft zwischen einem mürrischen Bauern und einem weltlichen Autor.

Bibliothek und Marktstand

Rochat vereint hart und fein. Sein Verkaufsstand in Biel jeden Samstag zur Marktzeit ist ebenso gut ausgestattet wie seine Bibliothek. «Ich stehe gegen 4 Uhr morgens auf und beginne zu lesen und zu schreiben, bevor ich gegen 7 Uhr meinen Bauerntag beginne. Ich melke die Ziegen, dann mache ich meinen Käse», sagt er.

Seine Leidenschaft für das Schreiben begann im Alter von zwölf Jahren. «Ich hatte damals eine Lehrerin, die uns Seiten abschreiben liess. Ich merkte, dass ich schneller war, wenn ich selber einen Text erfand, statt abzuschreiben.» Der Autor von «Berger sans étoiles» ist seitdem nicht mehr vom Weg abgekommen. Sein literarisches Schaffen (bisher fünfzehn Werke) ist so konstant wie seine köstliche Käseproduktion.

Seine Liebe zum Boden stammt von der Familie seiner Mutter. Ein moralisches Vermächtnis, sozusagen. «Mein Vater war Uhrmacher aus dem Vallée de Joux. Aber mein Grossvater mütterlicherseits war ein Bauernsohn. Er hatte grossen Respekt für den landwirtschaftlichen Beruf. Als Kind, als ich mit ihm durch die Dörfer ging, sah ich ihn vor jedem Dunghaufen anhalten und diesen respektvoll grüssen».

In wenigen Monaten wird Rochat in den Ruhestand gehen. Er wird sich auf Wegen in der Schweiz und in Frankreich «inspirieren lassen», für einen neuen Roman oder eine neue Geschichte. Alles, was bleibt, ist, ihm viel Glück zu wünschen und…. ihn, den Künstler, respektvoll zu grüssen.

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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