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Babeli Giezendanner – Armut machte sie zur Meisterin

Gemälde
Einblick wie in eine Puppenstube: Babeli-Zeichnung um 1880. zVg

Bauernmalerin Babeli Giezendanner fristete vor 150 Jahren ein prekäres Dasein als alleinerziehende Mutter. Aus schierer Not schuf sie ein grossartiges Werk. Jedes ihrer "Bildli" ist heute ein Schatz.

All die Tausenden von Franken, die ihre Bilder heute einbringen, etwa beim Auktionshaus Christie’s. Hätte man Babeli doch damals so bezahlt. Es ist stets von trauriger Ironie, wenn Werke für teures Geld gehandelt werden, wo deren Schöpfer zu Lebzeiten doch so arm waren.

Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner, heute bekannt als Toggenburger Bauernmalerin, blieb ihr Leben lang ganz unten. All ihr Fleiss, all ihre Sorgfalt – und all ihr Können halfen nichts: «s’Giezendanners Babeli», oder einfach: s’Babeli war arm, blieb arm, und starb im Elend, im Armenhaus von Hemberg, das zu jener Zeit nach einer Inspektion durch den Kanton als «altes baufälliges Bauernhaus» beschrieben wurde, bewohnt von «Gestörten» und Kranken, für die in der Psychiatrie kein Platz mehr war.

Frau
Die einzige Aufnahme von Barbara Giezendanner. Auf der Treppe des neu erbauten Armenhauses in Hemberg, ca. 1905. zVg

«Beim Eintritt hat man sich zu ducken, um mit heiler Haut hineinzukommen», steht im Inspektionsbericht von 1873.  «Ausser dem Wohnzimmer des Armenvaters hat es ein einziges durch einen alten Lehmofen heizbares Local, das als Wohn-, Arbeits- und Speisezimmer dienen muss, 5 Schlafräume mit 19 Betten… Küche und Küchengeschirr miserabel  ….  weder Waschhaus noch Badlokal.»

«Sozialfälle schreiben keine Geschichte»

Es war 1904. Als Babeli im Alter von 73 Jahren in dieses Armenhaus musste, hatte sie die Geldnot endgültig eingeholt. Ein Leben lang hatte sie ihr davonzukommen versucht. Ein Jahr später starb sie.

Immerhin erlebte sie ganz zuletzt noch menschenwürdige Zustände: Sie konnte in ein neu erbautes Armenhaus umziehen. Dort entstand auch die einzige Fotografie, die es von der Toggenburgerin gibt: Eine schlanke Frau im Witwenkleid mit schwarzem Kopftuch steht auf einer Treppe, sie richtet den Blick zu Boden.

Gibt es sonst noch Spuren der Barbara Giezendanner-Aemisegger? Hans Büchler, der zehn Jahre lang akribisch über die Künstlerin geforscht hat, zuckt mit den Schultern: «Die Geschichte wird von den Reichen und Mächtigen geschrieben, Sozialfälle schreiben keine Geschichte.»

Es gibt die Zivilstandsdaten:

– 1831 geboren im Bendel  bei Ebnat-Kappel,

– 1861  Heirat mit dem Schuster und Bauernsohn Ulrich Aemisegger von Hemberg

– 1863, 1867, 1872, drei Söhne

– 1873 Tod des Ehemanns

– 1905 gestorben

Hans Büchler ist Leiter des Toggenburger Regionalmuseums in Lichtensteig. Er sagt, er sei sich nicht sicher, aber in den Archiven der Gemeinde Ebnat gebe es einen Eintrag über eine Frau Aemisegger, die sich beklagt habe, dass ein Apfelbaum keine Früchte mehr trage, nachdem die Gemeinde dort eine Strasse gebaut hatte.

Die Frau verlangte Schadenersatz. Büchler sagt: «Wenn das Fehlen von ein paar Äpfeln als solcher Schaden empfunden wird: Ja, das könnte Babeli gewesen sein.»

Babeli, an die man sich noch lange erinnerte, wie sie stets barfuss auf die Alpen stieg, um ihre Bilder zu malen. Kinder waren damals oft barfuss unterwegs. Erwachsene hatten Schuhe.

Gemälde
Babeli zeichnete auch ihr Wohnhaus auf der Färch, das sie nach dem Tod ihres Gatten verkaufen musste. zVg

«Ein reiches Werk von feiner Poesie»

All die Bilder, die Babeli im Lauf ihres Lebens gemalt hat, tragen keine Künstlersignatur, vielleicht weil «s’Giezendanners Babeli» sich nicht dafür hielt, vielleicht auch einfach, weil die Auftraggeber es nicht wollten.

Dem spurlosen, stillen und gänzlichen Verschwinden von Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner aus dem Weltenlauf aber widersetzte sich stets hartnäckig ihr Werk. Es ist ein reiches Werk von feiner Poesie und einer urtümlichen Kraft. Es ist auch ein weiches Werk, ein weibliches: Mädchen und Frauen erscheinen auf den Bildern, das war sonst nicht üblich in der Bauernmalerei des Kulturraums Toggenburg-Appenzell.

«Haben Sie gesehen?», fragt Hans Büchler. «Die letzte Figur auf dem Sennenband, da ist ein kleines Mädchen, das die Sauen treibt.» Büchler lächelt. Typisch Babeli. «Wenn sie Menschen malte, dann malte sie auch Frauen – als selbstverständlicher Teil der bäuerlichen Arbeit.»

Keiner der Bauernmaler hat gemalt wie sie, und keiner der grossen Meister war so präzis wie diese alleinerziehende Mutter dreier Söhne, die sich nur dank robuster Gesundheit und filigranen Pinselstrichen über Wasser halten konnte, halb Tagelöhnerin, halb Hausiererin, immer auf der Suche nach dem nächsten Auftrag.

Heute kennt man «s’Babeli» im Toggenburg und ist stolz auf sie. In manchem Haus hängt noch ein Original, das man hütet wie ein Familienheiligtum, oft auch heimlich. Nicht alle müssen wissen, dass man ein Original-Babeli – ein kleines Vermögen – im Haus hat. So ein «Bildli», wie sie sagen, ist auch fragil: Würde man das Papier aus dem Rahmen nehmen, es würde brechen wie Oblaten.

Dass es so viele Bilder gibt, hat mit mit der Not der Malerin zu tun. Babeli ging oft von Hof zu Hof und offerierte, die Anwesen zu malen. Die Fotografie war noch nicht verbreitet, wohl aber der Bauernstolz. Die Biedermeierströmung hatte den Weg ins Toggenburg gefunden.

Während die Stadtbürger mit Standesbewusstsein ihre Wohnungen ausstaffierten, wollte der Bauer festgehalten haben, was er besitzt: Gesundes Vieh, ein währschaftes Haus, blühende Gärten und rotbackige Kinder, die ihre Spiele spielten.

Die Fotografie machte ihr Geschäft kaputt

Ein grosser Teil des Werks von Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner besteht aus solchen Motiven, wirklichkeitsnahe Dorf- und Landschaftsansichten, so genannte Veduten – und das wurde nach 1890 auch ihr Problem. «Die Fotografie verbreitete sich rasch», sagt Hans Büchler, «da konnte Babeli noch so präzise sein, die Leute wollten Fotos.»

Ihr Können war nicht mehr gefragt. An die Armut hatte sich Babeli wohl schon gewöhnt. Aber als auch noch dieses Geschäftsmodell wegbrach, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu ihrem Bruder zu ziehen, der ein Restaurant betrieb und sie dort aufnahm.

Gemälde
Liebe zum Detail: Babeli-Bild Alpfahrt, um 1880. zVg

Überhaupt scheint das dauernde Umziehen fast die einzige Konstante im Leben dieser arbeitsamen Frau zu sein. Babeli-Forscher Büchler ist es gelungen, das bewegte Leben der armen Witwe nachzuzeichnen. Das erste Kind bringt sie in einem Haus zur Welt, das ihr Vater neu gebaut hat. Er ist Lehrer von Beruf. Er ist der Mann, der ihr das Zeichnen beibringt. Ihr Elternhaus aber gehört zum Zeitpunkt, da sie Mutter wird, ihrem Bruder. Man gab einer Frau damals kein Haus.

Ein Schnapshändler stirbt unter der Brücke

Babelis Mann kam aus bäuerlichen Verhältnissen; er machte in Lichtensteig ein Leben als Schuster und Schnapsverkäufer, nichts Stetes. Nach vier Jahren zog die Familie in ein Haus in Thurau, sie hatten es für 2700 Franken gekauft. Ein Jahr später verkauften sie mit 300 Franken Gewinn, zogen weiter. Zwei Jahre darauf folgte der nächste Umzug. Der zweite Sohn kam zur Welt, Babeli war 36 Jahre alt.

Doch die Liegenschaft hatte für den Gatten, der bauern wollte, zu wenig Land. Das nächste Haus lag höher, 950 Meter hoch, Babeli war nun 39 Jahre alt, hatte zwei Kinder und zwei Webstühle. Ihr Mann war unten im Tal als Störschuster und Schnapsverkäufer unterwegs, er kam nur am Wochenende heim. Mit 41 brachte sie den dritten Sohn zur Welt – und dann, ein Jahr später, es war anfangs Januar, kam der Vater nicht zurück.

Nach drei Monaten, als der Schnee geschmolzen war, fand man ihn. Sein Körper lag in einem Bach. Der Schnapsverkäufer hatte auf dem Nachhauseweg von Wattwil die Brücke über die Thur verfehlt.

Sie war Witwe. Drei Jahre später musste Babeli das Haus verkaufen, sie gab ihren ältesten Sohn als Knecht dazu und zog mit den zwei Kleinkindern noch höher hinauf Richtung Alpen, wo das Wohnen billiger war. Als der zweite Sohn 9 Jahre alt war, gab sie auch diesen als Knecht an einen Bauern weg.

In der Folge zog Babeli praktisch jährlich um, sie kam bei Familien unter, bei Wirtsleuten, in ungenutzten Zimmern, bei anderen Witwen. Ihr Sohn Johannes erzählte später, dass sie bis ins Alter immer gesund und rüstig gewesen sei, getragen von unerschütterlichem Gottvertrauen.

Inserat
Bekanntmachung eines Umzugs in den «Toggenburger Nachrichten», Sommer 1898. zVg

«Sie hatte gar keine Alternative»

«Sie musste malen, sie hatte gar keine Alternative. Bauern konnte sie nicht, und mit Weben hätte sie sich kaum durchgebracht», sagt Hans Büchler. Es war die Not, die sie zur Kunst trieb.

Was man von Babeli weiss, ist erzählte Geschichte. 1937 wurde ihr Werk erstmals einigermassen gründlich erforscht. Damals lebten noch einige Zeitzeugen. Darum weiss man heute, dass sie auf einem Feldstühlchen in der Natur arbeitete, wobei die Bilder nicht auf einer Staffelei entstanden, sondern auf einem Jutesack auf den Knien.  

Ein grosser Verehrer mit Geld

Alt Bundesrat Christoph Blocher ist ein grosser Liebhaber von Babelis Werk.

Die Besinnung auf das heimatliche Idyll war der herrschende Zeitgeist, als Babelis Werk entstand. Heute ist die Strömung wieder da, es ist eine Rückbesinnung. So erstaunt nicht, dass Babelis Bildli gegenwärtig sehr gesucht sind. Und wenn finanzstarke Sammler wie Christoph Blocher einen Künstler erstmal mögen, galoppieren die Preise.

Erben gibt es keine. Babelis drei Söhne starben kinderlos, zwei in der Verschollenheit, einer verarmt – im selben Armenhaus wie sie.

Dieser Text erschien zuerst im Magazin WANDERN.CHExterner Link 

Babeli: Heimat, Leben und Werk der Bauernmalerin Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner von Hans Büchler,  Toggenburger Verlag Wattwil, 2004

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