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«Michael Jackson war neu, frisch und faszinierend»

Fans nehmen auf einem Poster von Michael Jackson vor dem Motown-Museum in Detroit Abschied. Keystone

Viel wurde über Michael Jackson geschrieben, doch gibt es nur wenige Biografien. Der Schweizer Musikjournalist Hanspeter Künzler hat sein Buch über Jacko zwei Tage vor dessen Tod in Druck gegeben. Dann musste er die Notbremse ziehen.

swissinfo.ch: Wie und wo haben Sie von Michael Jacksons Tod erfahren?
Hanspeter Künzler: Daran kann ich mich sehr genau erinnern: Ich stand in einer Bar in Zürich um halb eins in der Früh.

Ein junger Mann kam vorbei mit einem weissen T-Shirt, der sich mit einem Kugelschreiber etwas auf die Brust gekritzelt hatte.

Ich ging näher hin, da stand: «Michael Jackson ist tot». Wir waren alle völlig schockiert, die Leute zückten ihre Handys und andere Geräte. Tatsächlich wurde sein Tod gleich bestätigt.

swissinfo.ch: Wie reagierten Sie?

H.K.: Zuerst absoluter Schock. Nachher konnte ich nicht schlafen. Mich hat noch nie ein Tod eines Popstars dermassen beschäftigt.

Irgendwie hatte ich das Gefühl: So überraschend ist das nicht. Man hat sich immer wieder gefragt, ob er diese 50 angekündigten Konzerte wirklich gesundheitlich aushalten kann, wo es ihm doch so schlecht gehen soll.

Aber ich hatte ihn ja gesehen, als er im März die Pressekonferenz zur Ankündigung seiner Shows gab. Und da sah er eigentlich ganz gesund aus. Deshalb dachte ich, der wird schon wissen, was er sich zumuten kann und was nicht. Aber offenbar war dem nicht ganz so.

swissinfo.ch: Ihr Buch über Jackson war zwei Tage vor seinem Tod in Druck gegangen. Das heisst, Maschinen stoppen, umschreiben innert kürzester Zeit. Aber der Zeitpunkt des tragischen Todes ist für Sie ein «Glücksfall»?

H.K.: Ich kann es nicht abstreiten, so ist es. Aber man hat ja nicht so geplant, es steckt keinerlei Zynismus dahinter.

Ja, man konnte die Druckerpresse tatsächlich noch aufhalten. Ich habe am letzten Wochenende den Anfang geändert und am Schluss ein Kapitel hinzugefügt. Die Drucker und Buchbinder arbeiten nun in Dreifachschichten, damit das Buch am 7. Juli herauskommen kann.

swissinfo.ch: Sie haben Michael Jackson nie persönlich getroffen. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über ihn zu schreiben?

H.K.: Mein Bezug zu Jackson ist der, dass just dann, als ich 1978 nach London ging, die grosse Disco-Welle aufkam. Das war für mich eine neue Musik. In der Schweiz hörte ich Punk und ein bisschen Reggae.

In London arbeitete ich an einer gemischtrassigen Schule. Ein Drittel Jamaikaner, ein Drittel Inder, ein Drittel von überall. Die Schüler waren alle Funk-Fans, The Jacksons und so weiter.

Dann kam Michaels erstes grosses Solo-Album «Off The Wall» heraus. Dadurch bin ich irgendwie reingekommen. Das war neu, frisch und total faszinierend, diese amerikanische Funk-Geschichte. Die habe ich seither immer weiter verfolgt.

swissinfo.ch: Warum muss man Ihr Buch lesen? Was bietet es mehr als andere Biographien?

H.K.: Was mir bei anderen Biographien fehlt, ist die soziale und politische Platzierung der Familie Jackson und ihrer Musik. Ich habe mich bemüht, mit der politischen Lage einen Rahmen zu geben. Besonders mit der Rassenpolitik, in der Zeit, in der die Jacksons aufgewachsen und Ende 1960er, Anfang 70er berühmt geworden sind.

Ich habe auch versucht, die Musik in der Musikgeschichte einzuordnen. Gerade die schwarze amerikanische Musik ist ja sehr eng verwachsen mit der Bürgerrechtspolitik. Dieser Blickwinkel fehlt bei anderen Büchern.

Was dort auch fehlt: Man hat zwar immer über die Sexualität von Michael Jackson spekuliert. Aber auch da hat man nie richtig geschaut, welche Rolle denn die Sexualität im schwarzen Amerika damals gespielt hat.

swissinfo.ch: Was fasziniert Sie persönlich an Michael Jackson? Sind Sie ein Fan?

H.K.: Ich finde ihn natürlich toll. Ich bin kein Fanatiker, aber ein Bewunderer. Was ich an ihm faszinierend finde, ist seine Musik und die Art, wie er tanzt.

Ich habe auch viele Vorbehalte. Mir ist es ein Rätsel, wie ein Mensch in den 60er-, 70er-Jahren aufwachsen kann und so wenig Neugier für irgendetwas anderes als seine eigene Kunst aufbringen kann.

Er ist auch eine tragische Figur und insofern interessant, wie einer dermassen materialistisch seine Karriere angehen und gleichzeitig höhere Werte anpeilen kann. Da gibt es ganz interessante Gegensätze und Paradoxe, die ich sehr typisch finde für die letzten paar Jahre des 20. Jahrhunderts.

swissinfo.ch: Wer war die Person Michael Jackson in Ihren Augen?

H.K.: Er hatte zwei Gesichter. Er hat ja eigentlich den Eskapismus thematisiert. Er meinte, Tanz und Musik sei ein Weg, die Fesseln des Alltags abzuwerfen, um wirklich Mensch zu werden.

Auf der anderen Seite war er unglaublich materialistisch eingestellt. Er wollte reich werden. Und zwar reicher als irgendein anderer Popstar, wie er seinem Manager einmal mitteilte. Und in dem Sinn kommen bei ihm auf unheilvolle Weise zwei Elemente zusammen. Daran ist er letztlich zerbrochen.

swissinfo.ch: Was bleibt von Jackson als Musiker?

H.K.: Es wird sehr viel von ihm bleiben. Seine Musik, natürlich, sein Wunsch, eine farbenfreie Musik zu machen für alle, denn Musik soll vereinen. Dann war er ein Video-Visionär. Seine Mini-Filme ergänzten die Musik tatsächlich.

Und natürlich seine Fähigkeit, zu tanzen. Er war sicher einer der grössten Tänzer in der Popgeschichte. Musikfans werden sich an diese drei Dinge erinnern.

Christian Raaflaub, swissinfo.ch

Der Schweizer Musikjournalist lebt seit über 30 Jahren in London.

Sein Buch «Michael Jackson: Black Or White – Die ganze Geschichte» erscheint am Montag, 7. Juli im deutsch-österreichischen Hannibal-Verlag, der auf Musikbücher spezialisiert ist.

Künzler ist regelmässig für diverse Medien tätig, darunter zahlreiche Schweizer Zeitungen und Radio DRS.

29. August 1958: Michael Joseph Jackson wird in Gary, Indiana, als siebtes von neun Kindern geboren.

1963: Nach Jahren im Übungskeller treten «The Jackson 5» erstmals öffentlich auf.

1970: Das erste Album erscheint mit dem Titel «Diana Ross Presents the Jackson 5».

1972: Michael Jackson bringt sein erstes Solo-Album heraus, «Got to Be There».

1979: Jacksons Album «Off The Wall» erscheint, er wird der erste Solokünstler, der vier Singles aus demselben Album in den Top 10 unterbringen kann.

1982: Das Album «Thriller» wird mit acht Grammys ausgezeichnet und zum meistverkauften Album aller Zeiten.

1987: Das Album «Bad» ist für fünf Singles auf Platz 1 gut und wird mindestens 22 Millionen Mal verkauft.

1995: Das Album «HIStory: Past, Present, and Future Book I» erscheint.

1997: Das Album «Blood on the Dance Floor: HIStory in the Mix» enttäuscht mit Verkaufszahlen von weniger als einer Million.

2005: Freispruch vom Vorwurf des Kindesmissbrauchs.

2006: Aus Finanznot schliesst Jackson seine Neverland Ranch in Kalifornien und entlässt die meisten Angestellten.

5. März 2009: Jackson kündigt nach achtjähriger Bühnenabstinenz für Juli in London ein Konzert-Comeback an.

25. Juni 2009: Michael Jackson stirbt in Los Angeles.

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