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Mit Learning by Doing auf Hollywoodniveau

Bessere Kameraführung: Preisträger Marco Hunkeler (rechts) besucht den Workshop Kameraführung. zVg

Keine Goldenen Leoparden, Oskars oder Quartze: An den 35. Schweizer Jugendfilmtagen in Zürich zeigten Jungfilmer und –filmerinnen zwischen 12 und 25 Jahren ihr Können. Die besten wurden mit einem "Springenden Panther" ausgezeichnet.

«In erster Linie darf man sich vor nichts fürchten. Einfach nach dem Motto: machen und versuchen», verrät der 17-jährige, mit dem Spezialpreis des Schweizer Jugendfilmfestivals ausgezeichnete Ioan Gavrilovici gegenüber swissinfo.ch sein Erfolgsrezept. Der Gymnasiast aus Wien mit Schweizer Pass hat mit seinem Streifen «(P)REISE» sowohl das Publikum wie die Jury des Schweizer Jugendfilmfestivals stark beeindruckt.

Die Story: Eine 1-Euro-Münze geht durch verschiedene Hände und Mägen und verbindet das Schicksal ihrer jeweiligen Besitzer auf überraschende und äusserst unterhaltsame Weise miteinander.

«Ich finde es bewundernswert, dass Ioan sowas als 16-Jähriger geschafft hat», sagt Marco Hunkeler anerkennend. Der 16-Jährige nimmt mit seinem Freund Sandro Rossi mit den Streifen «The Letter» auch am Wettbewerb teil. Die beiden wissen noch nicht, dass sie, wie 2010, in der Kategorie bis 16 Jahre, den ersten Preis abräumen werden.

«Gavrilovicis Film könnte in einem richtigen Kino laufen, aber ich glaube, die Realisation muss ganz schön teuer gewesen sein», sagt Rossi.

Ein Hollywoodbudget hatte Ioan Gavrilovici nicht gerade zur Verfügung. «Es waren unter 5000 Euro», verrät er swissinfo.ch. Und für dieses Geld hat er geschuftet: «Es ging alles von uns aus. Ich hatte keine grosse Unterstützung von irgendjemandem, keinen Heimvorteil in irgendeiner Form. Ich bin von Amt zu Amt gegangen, habe Förderstellen abgeklappert, Briefe an Sponsoren geschrieben», erklärt er.

Und um nicht gleich als Jugendlicher disqualifiziert zu werden, verschickte er sein Drehbuch erst mal ohne sein Alter zu nennen.

Nette Anfragen an nette Schauspieler

«Wenn man in Wien ein wenig ins Theater geht, so kennt man schnell mal die Schauspieler- und Filmszene. So habe ich das Drehbuch mit netten Anfragen an verschiedene nette Schauspieler geschickt, Und die haben dann geantwortet», erzählt er weiter. Sein jugendliches Alter von 15 Jahren verriet er anfangs jedoch nicht. «Das war gut, denn so wurde ich nicht nach meinem Alter beurteilt, sondern nach meiner Arbeit.»

Und der Erfolg gibt ihm recht. Gavrilovic konnte in Österreich bekannte, gute Schauspieler verpflichten, die – vielleicht wegen seiner Jugend – ohne Gage für ihn arbeiteten.

So ging es auch mit der Beschaffung der Kamera. Die Miete der nagelneuen Hollywood-Kamera hätte pro Tag 1000 Euro gekostet. «Wir kriegten die Kamera für 100 Euro, weil wir sie nur an Tagen benutzten, an denen sie nicht anderweitig vermietet wurde.»

Sie hätten auch viel Glück gehabt, so Gavrilovici. «Aber wenn man mit einer positiven Einstellung an die Sache ran geht, und ein wenig an sich glaubt, dann klappt das schon». So verwundert es nicht, dass der junge Auslandschweizer seine berufliche Zukunft im Filmbusiness sieht.

Stark beeindruckt

Beim Betrachten des knapp 14 Minuten langen Streifens würde man nie auf die Idee kommen, dass da ein Teenager seinen Erstling präsentiert. «Ich sass da und habe mich gefragt, war dieser Regisseur wirklich nicht älter als 16 Jahre? Hat er das wirklich alles selber gemacht?», sagt Jurymitglied Corina Schwingruber. Die Regisseurin war Preisträgerin der letztjährigen Jugendfilmtage in der Kategorie Filmschulen.

«Aber scheinbar gibt es doch Talente, die so professionell arbeiten und denken können. Er hat ja auch das Drehbuch selbst verfasst. Es war ein extrem professioneller Film, den man an irgendeinem Festival zeigen könnte.»

Learning by Doing

Wie liefert man als 15-Jähriger ein professionelles Drehbuch ab? «In kreativen Berufen ist nicht unbedingt die Ausbildung das Wichtigste, sondern vielmehr, wie klar man Dinge sieht, dass man eine präzise Vorstellung hat», sagt Gavirlovici.

Die Grundtheorie habe er sich aus Filmtheoriebüchern aus Antiquariaten geholt. Weiter habe er zwei, drei Praktika gemacht beim Fernsehen und beim Film. «So konnte ich mir das Technische halbwegs aneignen. Learning by Doing war für mich sehr wichtig. Während dem Dreh bin ich auf sehr viele Sachen gestossen, die mir vorher nicht so klar waren.»

The Letter

In der Kategorie bis 16 Jahre räumten, wie bereits 2010, Sandro Rossi und Marco Hunkeler aus Thun den ersten Preis ab. Ihr neuer Film «The Letter» erzählt mit viel Witz und Situationskomik das Schicksal eines Stifts (eines Lehrlings), dem es einfach nicht gelingt, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen. Sein Lehrmeister gibt ihm eine letzte Chance: Er muss einen wichtigen Brief von der Post abholen. Das hört sich einfach an, wären da nicht eine Menge unvorhersehbarer Hindernisse.

Rossi (Regie) und Hunkeler (Kamera), selber Lehrlinge, machen Filme, weil es ihnen «einfach Spass» macht. Das Budget für ihren 20-Minuten-Streifen war noch amateurmässiger als jenes von Ioan Gavrilovic: 200 bis 300 Franken.

Marco Hunkeler: «Das Equipment haben wir meist selber über die Jahre hinweg zusammengesammelt, anderes leiht man aus von Kollegen. Am teuersten war das Essen für unsere Schauspieler.»

Auf dem Weg zum Profibereich

Die Bild- und Schnitttechnik von «The Letter» nähert sich dem Profibereich. Ausbildung? Auch hier: Learning by Doing. «Wir haben in der 7. Klasse mit einem Schulprojekt begonnen. Das sah dann auch relativ mässig aus, Darauf haben wir pro Jahr mindestens zwei bis drei Filme gedreht. Man lernt auch aus den eigenen Fehlern, man wird von Kollegen kritisiert und so wird man besser.»

Wollen die beiden später ihr Hobby zum Beruf machen? Während Marco Hunkeler nach der Berufslehre ein Filmstudium machen und sich zum Kameramann ausbilden lassen möchte, will Sandro Rossi gerne weitere Filme drehen – auf Amateurbasis. «Aber vielleicht mache ich in späteren Jahren doch noch ein Studium.»

Die Schweizer Jugendfilmtage boten vom 9. Bis 13. März  zum 35. Mal eine grosse Leinwand für den Nachwuchs des Schweizer Filmschaffens. Aus den über 260 eingereichten Kurzfilmen wurden 57 Werke für den Wettbewerb ausgewählt.

Gezeigt wurden aber auch Langfilme. Weiter wurden Atelierkurse für Kinder und Jugendliche durchgeführt sowie Kamera- und Schnitt-Workshops.

Kategorie A, Jugendliche bis 16 Jahre: THE LETTER von Sandro Rossi und Marco Hunkeler, Thun BE.

Kategorie B, Thema «freiwillig» bis 19 Jahre: FREI UND WILLIG von Konfirmandenklasse Effretikon ZH.

Kategorie C, Jugendliche bis 19 Jahre: DER SECHSTE TAG von Christina Welter, Oberbüren SG.

Kategorie D, Jugendliche bis 25 Jahre: CAN I SAY SOMETHING? von Lorena Simmel, Biel BE.

Kategorie E, Student/innen von Filmschulen, bis 30 Jahre:  BAM TCHAK von Marie-Elsa Sgualdo, La Chaux-de-Fonds NE.

Spezialpreise: ER KOMMT von Yann Bolliger; (P)REISE von Ioan Gavrilovici; MARY GO ROUND von Bettina Setz und Anja Lazzeri; KWA HERI MANDIMA von Robert-Jan Lacombe.

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