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Neuer Glanz in Bonbon-Farben

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Europas einziges Bauhaus-Theater steht in Ascona. Das vom Bremer Architekten Carl Weidemeyer erstellte Gebäude wurde soeben mit grossem Aufwand restauriert. Nun soll es zu einer Werkstatt der Tanzkunst werden. Damit knüpft es an seine Ursprünge an.

Bis vor wenigen Jahren war der Zustand des kleinen Theaters katastrophal. Der Putz bröckelte, die Geländer verrosteten, der Garten verwilderte, Wellblech schützte vor Regen.

Die reiche Gemeinde Ascona stand in der Kritik, weil sie dieses einzigartige Kulturdenkmal – seit 1995 unter Denkmalschutz – über Jahrzehnte hatte verlottern lassen.

Doch dies ist nun Geschichte. Dank einer aufwändigen Restauration erstrahlt das gemeindeeigne Teatro San Materno in neuem Glanz. Die Gemeinde Ascona hat 4,2 Millionen Franken in das Projekt gesteckt.

Die eigentliche Restaurierung dauerte drei Jahre; einst wurde das Haus in zwei Jahren gebaut. «Dies zeigt, wie schwierig so eine Restauration ist», sagt Architekt Guido Tallone, der die Arbeiten leitete. Nur durch Laboranalysen konnten beispielsweise die Originalfarben rekonstruiert werden.

Privates Tanztheater

Das Privattheater war 1927/28 von dem aus Bremen stammenden, Bauhaus-inspirierten Künstler und Architekten Carl Weidemeyer (1882-1976) gebaut worden.

Es war ein Auftrag der Industriellen-Familie Bachrach, die Ende der 1920er-Jahre von Brüssel nach Ascona übergesiedelt war. Das Theater erhielt die tanzbegeisterte Tochter Charlotte Bara (1901-1986) als persönliche Wirkungsstätte. Sie gründete dort ihre eigene Tanzschule.

Die Restauration des Theaters mit seinen 150 Plätzen erfolgte möglichst originalgetreu. Selbst die Stühle im Saal entsprechen dem Originalmobiliar aus den 1920ern. Dabei wirkt die grosse Fensterfront neben der Bühne für den heutigen Besucher ungewohnt. Überraschend sind aber vor allem die auffälligen Farben: rot, altrosa, blau und gelb.

Diese Buntheit ist eigentlich untypisch für den Bauhaus-Stil. Im San Materno findet man sie indes auch in den beiden kleinen Gästewohnungen auf dem Dach des Theaters, die ebenfalls mit viel Geschmack restauriert und mit historischen Dokumenten aus dem Erbe von Charlotte Bara ausgestattet wurden.

Neuster Stand der Technik

Von den historischen Vorgaben abweichen musste man indes in Bezug auf die Sicherheit und technischen Installationen. So musste auf der Dachterrasse ein Geländer eingerichtet werden; der Theatersaal verfügt über eine Klimaanlage, die Heizkörper wurden erneuert.

Die Beleuchtungstechnik für die Bühne ist auf dem neusten Stand. Unterirdisch – das Theater ist an einem Hügel gebaut – konnten zudem kleine Umkleideräume für Künstler mitsamt sanitären Anlagen für Männer und Frauen herausgebrochen werden.

Wo einst die einzige Toilette für Künstler und Publikum stand, befindet sich heute das kleine Kassenhäuschen.

Der Gesamteindruck ist überzeugend. Gewöhnungsbedürftig ist dagegen der neue Lift nahe des Eingangs, der als Betonturm den Blick von der Strasse aufs Gebäude beeinträchtigt. Doch seine Funktion ist nobel: So können auch Behinderte das Theater besuchen.

Schnittpunkt zwischen Nord und Süd

Das Gebäude ist bereit. Und nun soll auch das Innere mit neuem Leben erfüllt werden.

Die Gemeinde Ascona hat die Tessiner Tänzerin und Choreografin Tiziana Arnaboldi mit der Leitung beauftragt.

An ihrer Seite wird Domenico Lucchini, der bereits die Kulturarbeit des Schweizer Instituts in Rom betreute, als Programmchef walten. «Wir wollen einen Schnittpunkt zwischen nördlicher und südlicher Kultur sein», sagt er.

Arnaboldi plant neben Aufführungen auch internationale Meetings zum Ausdruckstanz und den Aufbau einer eigenen Truppe mit jungen Tänzerinnen und Tänzern. Der offizielle Name «Teatro Studio» soll den Werkstattcharakter des Theaters unterstreichen.

Die Ziele sind hoch gesteckt. Nur das Budget ist bescheiden. Die Gemeinde Ascona beteiligt sich nach anfänglichen Widerständen mit 100’000 Franken pro Jahr am Theaterbetrieb.

Mindestens den gleichen Betrag muss die Direktion selbst erwirtschaften. Eine kleine Unterstützung erhält sie aber von der Carl-Weidemeyer-Stiftung, die sich für die Erhaltung seiner Werke einsetzt.

Gerhard Lob, Ascona, swissinfo.ch

Geboren am 21. Mai 1882 in Bremen, wuchs er in engen, kleinbürgerlichen Verhältnissen auf.

Auf Wunsch des Vaters machte er eine Maurerlehre und absolvierte die Baugewerbeschule. Er fand Anstellung in einem Bremer Architekturbüro.

Später liess er sich im berühmten Künstlerort Worpswede bei Bremen nieder. Er fand schnell den Anschluss in der Kolonie.

In dieser Zeit arbeitete er auch als Grafiker und Zeichner und entwarf unter anderem Holzspielzeug.

Auf Einladung des Textilindustriellen Paul Bachrach, Vater der Ausdruckstänzerin Charlotte Bara, kam Weidemeyer im Oktober 1927 nach Ascona, wo er dann auch geblieben ist.

Während der 1930er-Jahre widmete sich Weidemeyer ganz der Architektur.

Sein persönlicher, sich dem Bauhaus anlehnender Stil, die Einführung des Flachdaches, brachte ihm Schwierigkeiten mit den Tessiner Behörden.

Zum 90. Geburtstag fand am 20. Mai 1972 im Museo Comunale di Ascona sowie anschliessend in der Kunstgalerie Esslingen eine Ausstellung seines Gesamtwerks statt.

Carl Weidemeyer starb am 10. April 1976 in Ascona.

Das Bauhaus war eine Kunsthochschule in Deutschland.

Sie bestand von 1919 bis 1933 (Weimar, Dessau, Berlin) und wurde dann von den Nationalsozialisten zur Auflösung gezwungen.

Sie gilt heute weltweit als Avantgardestätte der Klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst.

Im Bauhaus ging es vor allem um die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk.

«Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers», schrieb Walter Gropius in seinem Bauhaus-Manifest.

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