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Otto Preminger, Despot und Maestro aus Hollywood

Gene Tierney hinter Gittern, in Whirlpool von Otto Preminger. Festival del film Locarno

Er sei ein Despot, ein tyrannischer und neurotischer Regisseur gewesen, der die Schauspieler zum Äussersten trieb. Der "starrsinnige Otto" schaute aufs kleinste Detail. Das Festival in Locarno widmet dem US-Österreicher eine Retrospektive.

Der Saal des alten Kinos Rex in Locarno ist gerammelt voll, Spannung liegt in der Luft. Auf der Leinwand zu sehen: Whirlpool, 1949, von Otto Preminger. Das Publikum folgt Gene Tierney in der Rolle von Missis Sutton, der kleptomanischen Ehefrau eines bekannten Psychiaters (dargestellt von Richard Conte). Am Ort eines Verbrechens aufgefunden wird sie des Mordes und der Untreue gegenüber dem Gatten angeklagt.

«Damals galt der Streifen fast als Flop», sagt der französische Kritiker Pierre Riessent gegenüber swissinfo.ch. Der profunde Kenner des US-Kinos und über 40 Jahre hinweg eine Hauptfigur des Filmfestivals in Cannes sagt, Whirlpool werde heute als einer der repräsentativsten Filme  Premingers gesehen, was die Führung der Schauspieler und den Aufbau von Spannung betreffe.  

«Für Preminger war die Regie ein Geschenk Gottes, er hatte das Talent im Blut und wusste mit der Kamera umzugehen. Er bediente sich tyrannischer Methoden, bekam wegen Kleinigkeiten Wutausbrüche und brachte den gesamten Cast zum Zittern», so Riessent. 

«Er konnte einen Schauspieler schon am ersten Tag entlassen, nur weil dieser die Zuschauer nicht zum Lachen brachte. Andererseits aber holte er auch das Beste aus ihnen heraus.»

Premingers Werk umfasst fast alle Genres: Film noir (Anatomy of a Murder, 1959; Musical (Carmen Jones, 1954); Geschichtsepos (Exodus,1960), Western (River of No Return, 1954). Auch gibt der Meister einen einfühlsamen, aber kritischen Blick auf die US-Gesellschaft der Nachkriegszeit.   

Zu seinen Zeiten von der Kritik bejubelt, von der Nachwelt aber vergessen, erwacht Preminger in Locarno zu neuem Leben. Dank der traditionellen, zum dritten Mal abgehaltenen Retrospektive kommt das damalige Hollywood so zu einer Hommage.

Doch im Vergleich zu Ernst Lubitsch im Jahr 2010 und Vincente Minelli 2011 ist das Ziel mit Preminger dieses Jahr höher gesteckt: Es geht um die Rehabilitierung eines aus der Mode geratenen Regisseurs. Denn heute wird er eher als Produzent und Vermarkter denn als Autor erachtet, um es mit den Worten der französischen Filmkritik auszudrücken.

Ein vielseitiger Künstler

Sohn eines österreichisch-ungarischen und assimilierten jüdischen Magistratsbeamten aus der Bukowina, begeistert sich Preminger schon früh für das Theater.

Neben dem Studium tritt er in kleineren Rollen unter dem grossen österreichischen Theaterregisseur Max Reinhardt auf. Noch keine 30 Jahre alt bricht er 1934 nach Amerika auf, kurz bevor Österreich von den deutschen Nazis «heim ins Reich» geholt wird und die Luft in Wien stickig wird.

Unerwartet wird Premingers Laura 1944 zum Erfolg. Im Film mischt sich ein Rätsel für die Polizei mit einem Psycho-Drama, durchzogen von einem perfekten Erzählstrang.

«Preminger versuchte ständig, über die eingefahrene Erzählweise hinaus neue cinematografische Formen zu finden», sagt der Locarneser Retrospektiven-Verantwortliche Carlo Chatrian. Seine Kameraführung sei flüssig.

«Die Filme sind wie ein einziger Filmausschnitt konstruiert. Die Montage wird fast unsichtbar und die Aufnahme immer länger. Das zeigt sich gut in Exodus, einem filmischen Gemälde der Entstehung des Staates Israel, ein historischer und gleichzeitig packender Streifen. 

Im Vergleich zu anderen Regisseuren dieser Epoche, wie etwa Alfred Hitchcock oder Fritz Lang, lasse sich Premingers Werk nicht so einfach mit einem Gendre oder einem bestimmten Thema umschreiben, sagt Rissient.

«Seine Vielfalt in Stil und Gedanken gereichte ihm paradoxerweise nicht zum Vorteil. Seine Filme, schwieriger zu identifizieren und zu beschaffen, befinden sich zu Unrecht in der zweiten Liga.» 

Der Wille zur Unabhängigkeit

Ermüdet vom Diktat der Zensur und den Filmstudios macht sich Preminger 1953 selbständig. Er wird Produzent seiner eigenen Filme und kann sich heikleren Thematiken widmen, amerikanische Institutionen und damit auch den Zustand der US-Gesellschaft schlechthin hinterfragen.

In dieser zweiten Phase seiner Karriere geht er der Justiz nach (Anatomy of a Murder, 1959), der katholischen Kirche (The Cardinal, 1963) und den Streitkräften (The Court-Martial of Billy Mitchell, 1955). Er befasst sich vor allem mit dem politischen System der Vereinigten Staaten, und zwar aus der Sicht eines europäischen Einwanderers mit US-Staatsbürgerschaft.

Preminger war einer der ersten Regisseure, die sich gegen das McCarthy-Regime zu Beginn der 50er-Jahre auflehnten. Er engagierte auch Schauspieler, die auf den Schwarzen Listen des FBI figurierten und als ’subversiv› stigmatisiert wurden.

Andererseits war seine ganze Karriere von der Suche nach Freiheit geprägt: Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen, von Vorgaben der Filmstudios, von institutionellen Normen, die er ohnehin nur schlecht verstanden habe, sagt Carlo Chatrian.

«Die Figuren im Film wurden ganzheitlich dargestellt, von ihren Stärken bis zu ihren Schwächen.» Oft sei es an den Frauen gelegen, die Handlungen zu bestimmen. «Preminger achtete darauf, bei seinen Frauenrollen das Klischee der ‹Femme fatale› zu vermeiden. Obwohl Verführungs-Maschinen, vermochten sie sich selbst ins Spiel zu bringen.»

Mit unschuldigen Augen

Premingers Doppelrolle als Regisseur und Produzent bescherte ihm zweifelsohne einen breiteren Aktionsraum im grossen Räderwerk des Hollywood-Universums. Andererseits haben sein Gespür fürs Geschäft und für die Publizität seinem Bild des Filmemachers zugesetzt – was mit als Ursache für den Abstieg in seinem späten Filmschaffen gilt.

Wie kann Preminger – über 60 Jahre nach der Premiere von Whirlpool –  neu entdeckt werden? Für Chatrian ist klar: Premingers Filme sollen mit unschuldigen Augen angeschaut werden, als ob sie heute gedreht worden wären.

Im Locarneser Kino applaudiert das Publikum enthusiastisch. Das Geheimnis einer Frau ist aufgedeckt, die Intrige hat sich aufgelöst.

Otto Ludwig Preminger wird 1905 in Österrreich-Ungarn geboren.  

Mit Die grosse Liebe von 1931 dreht er als Schauspieler und Regisseur seinen ersten Spielfilm.

 

1935 emigriert er in die USA und arbeitet für 20th Century Fox.

1944 kommt sein Hauptwerk zustande, der Thriller Laura, ein «Film noir». 

 

Es folgen eine Serie von psychologischen Frauenstudien, in Form von Krimis. (Fallen Angel, 1945; Angel Face, 1952). 

Ermüdet vom ständigen Kampf gegen die Zensur entscheidet er sich 1953 für die Selbständigkeit und wird unabhängiger Produzent, um weiterhin heikle Themen angehen zu können. The Moon Is Blue wird ein Erfolg. 

Zwischen 1954 und 1962 produziert er eine Reihe von Erfolgen (River of No Return, 1954, The Man with the Golden Arm, 1955, Bonjour Tristesse, 1958, Anatomy of a Murder, 1959, Exodus, 1960.

Nach Bunny Lake is Missing, 1965, folgen einige kleinere Filme.

1979 produziert er eines seiner Hauptwerke, The Human Factor.

(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

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