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Locarno Filmfestival: grüner Anstrich und viel graue Energie

Emily Jourdan

Das Filmfestival von Locarno will mit seinem neu lancierten Öko-Preis einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten. Aber kommt das Festival dabei über ein blosses Greenwashing hinaus?

Zum 75-jährigen Jubiläum hat das Filmfestival Locarno seine symbolträchtige schwarz-gelbe Farbpalette um einen grünen Farbtupfer ergänzt: Im Rahmen der Lancierung des Green Film Fund hat das Festival den  «Pardo Verde» eingeführt, einen vom WWF patronierten Preis zur Förderung der Nachhaltigkeit im Kino.

Der Modus: Eine Expert:innenjury wählt einen Film aus dem Festivalprogramm aus, der ein Umweltthema  widerspiegelt. Der Siegerfilm erhält nicht nur die grüne Version der berühmten Leopardenstatue, sondern wird auch mit 20’000 Franken (21’300 Dollar) ausgezeichnet. 

Die Idee hinter dieser Initiative ist es, Filme hervorzuheben und zu unterstützen, die das Bewusstsein für Nachhaltigkeit schärfen und das Publikum dazu inspirieren, ökologische Praktiken zu übernehmen. 

12 Jahre klimaneutral

Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Filmfestival Locarno für Umweltthemen einsetzt. Im Jahr 2010 verpflichtete sich das Festival, klimaneutral zu werden, indem es seine Kohlenstoffemissionen kompensiert. Seit einem Jahrzehnt werden die Vorführungen auf der Piazza Grande im Herzen der Stadt mit Stom aus erneuerbaren Energien betrieben. 

Das Festival spielt jedoch immer noch eine grosse Rolle in einer noch viel grösseren Branche, die wegen ihrer hohen CO2-Emissionen in der Kritik steht  – und das aus guten Gründen. Es ist kein Geheimnis, dass der Filmsektor extrem verschwenderisch ist und jedes Jahr hohe Emissionen verursacht. Gleichzeitig wird das Publikum immer kritischer, und der Vorwurf des Greenwashings hat die Ansprüche erhöht, die an die Umweltfreundlichkeit gestellt werden. 

Nach Angaben der Sustainable Production Alliance (SPA), einem Konsortium, dem weltweit Filmproduktionsfirmen, TV-Sender und Streaming-Anbieter angehören, beträgt der durchschnittliche Kohlenstoff-Fussabdruck eines Big-Budget-Films 33 Tonnen pro Drehtag. Zum Vergleich: Eine Tonne CO2 entspricht einer durchschnittlichen Autofahrt von 37’000 Kilometern – einmal um die Welt.  

Allein 50% der Gesamtemissionen entfallen auf den Kraftstoffverbrauch und 24% auf Flugreisen. Ein weiteres Problem ist der Abfall: Reste von Catering, Kulissenbau, Kostümen und Textilien landen nach Abschluss der Produktion in der Mülltonne.

Plastik Recycling am Lugano Film Festival
Emily Jourdan

Diese Daten gehören in der Branche zum Basiswissen. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Organisationen, wie zum Beispiel das ALBERT Sustainable Production CertificateExterner Link in Grossbritannien, die versuchen, der Branche mit Kohlenstoffrechnern und nachhaltigen Produktionsplänen zu helfen. Wie kann also das Filmfestival Locarno einen Preis für Nachhaltigkeit vergeben, ohne die Produktionsverfahren der Filme zu berücksichtigen? 

Der Green Pardo WWF ist nicht das einzige Nachhaltigkeitsprojekt des Festivals, das mit Ungereimtheiten behaftet ist. Seit Jahren versucht das Festival von Locarno, sich als umweltbewusste Veranstaltung zu präsentieren. «Wir lieben alles, was grün ist», schreiben die Organisatoren auf ihrer Website und versuchen so, die Festivalbesucher und Cineasten zu beruhigen.

Runter mit dem Abfallberg

Wenn Institutionen und Veranstaltungen sagen, dass sie «grün» werden, ist eine ihrer ersten Bemühungen normalerweise die Reduzierung des Abfalls. Das Festival von Locarno ist da keine Ausnahme.

Gemäss dem jüngsten Nachhaltigkeitsbericht des Festivals führen die Organisator:innen wiederverwendbare Becher ein und versprechen, den bei der Veranstaltung anfallenden Abfall ordnungsgemäss zu entsorgen.

Dass der Sponsor des Festivals, San Pellegrino, alle Veranstaltungsorte, Events und Pressekonferenzen mit Plastikwasserflaschen ausstattet, was enorme Abfallmengen verursacht, wird dabei nicht erwähnt. Hinzu kommt das gedruckte Material, das die Kinobesucher:innen überall in der Stadt finden, von der Locarno Daily bis zu Programm- und Informationsblättern.

Um ihr Nachhaltigkeitsbemühungen zu betonen, führt Locarno neue Konzepte und modische Begriffe ein – wie die «intelligente Mobilität». Die Hälfte der Shuttle-Busse, welche die VIP-Gäste durch die Stadt chauffieren, wird nun elektrisch betrieben. Zusätzlich zu den Shuttle-Bussen stellt das Festival den Besuchern hundert E-Bikes zur Verfügung. Die lokale Mobilität jedoch ist nicht das Problem in Locarno.

Alle Veranstaltungsorte sind zu Fuss zu erreichen, so dass die Festivalbesucher:innen nur selten die E-Bikes benutzen. Es liegt auf der Hand, dass ein aktives Engagement für nachhaltige Praktiken einen Interessenkonflikt für das Festival, seine Sponsoren und das Image darstellt, das sie nach aussen hin vermitteln wollen.  

Während sie darauf warten, dass die grossen Akteur:innen wie das Festival von Locarno ihren Teil zum Umweltschutz beitragen, bemühen sich Filmemacherinnen und Künstler innerhalb der Branche selbst um transparentere Gespräche und um eine Umstellung auf nachhaltige Praktiken. Der Molchkongress Externer Link(The Newt Congress), ein Schweizer Kurzfilm, der in Locarno gezeigt wurde, setzt sich nicht nur mit dem Thema Umweltschutz auseinander, sondern tut auch, was er predigt.

The directors of Der Molchkongress in Locarno Film Festival
Die Regisseure Matthias Sahli (links) und Imanuel Esser sind mit «Der Molchkongress» im Rennen um den besten Kurzfilm. © Locarno Film Festival / Ti-press / Marco Abram

Im Gespräch mit swissinfo.ch erklären die Regisseure Matthias Sahli und Immanuel Esser, wie sie ihren ökologischen Fussabdruck so gering wie möglich hielten, indem sie vor Ort drehten, natürliches Licht verwendeten, die Schauspieler baten, ihre eigene Kleidung zu tragen, und vegetarisches Catering anboten.

Als letzten Schritt setzten sie die Emissionen ihrer Produktion auf null, indem sie einen Grossteil der Emissionen aus dem Transport und der Herstellung der Requisiten kompensierten. Im Abspann des Films steht «CO2-Kompensation: atmosfair». So wollen die Regisseure das Publikum aufklären und in der Branche ein Zeichen setzen.

Ein Text von der Kritikerakademie

Emily Jourdan
Emily Jourdan

Die Urheberin dieses Beitrags, Emily Jourdan (1998), ist freischaffende Filmkritikerin und eine der jungen Autor:innen, die für die diesjährige Kritiker:innenakademie in Locarno ausgewählt wurden. Zurzeit studiert sie Kulturpublizistik an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Audioproduktion und Schreiben für Film und bildende Kunst.

 Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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