Von der Kunst, unabhängig Kunstbücher zu verlegen
Das gedruckte Buch ist nicht tot – und es wird immer mehr zu einer Kunstform an sich. Der Erfolg und die schnelle Expansion der jährlichen unabhängigen Zürcher Kunstbuch-Messe "Volumes"Externer Link zeigt, dass sich diese Nische langsam aber sicher zu einem Markt entwickelt.
Die Schweiz kennt eine lange Tradition des unabhängigen Verlegens. Bereits in der frühen Neuzeit kamen viele Gelehrte und Künstler wie Erasmus von Rotterdam oder Albrecht Dürer nach Basel, um dort ihre Werke zu drucken, die von der katholischen Kirche als anstössig empfunden wurden.
Mit der Reformation nach 1520 suchten Protestanten, Wiedertäufer und anti-klerikale Autoren Zuflucht in der Schweizer Stadt. Sie fühlten sich auch angezogen von den dortigen Druckmaschinen. Ihnen folgten Anarchisten, Sozialisten und Revolutionäre von weiter her.
Heute hat der unabhängige Verlagsmarkt nur noch sehr wenig mit Politik oder Religion zu tun. Er ist eher eine Nische, die berühmten und weniger bekannten visuellen Künstlerinnen und Künstlern als Spielwiese dient, sowie Grafikern, die das Medium Buch als eigenständige Kunstform nutzen.
«Beim unabhängigen Verlagswesen geht es nicht nur darum, Bücher selber zu publizieren», sagt Anne-Laure Franchette, die Volumes zusammen mit der Kunstpädagogin Patrizia Mazzei und der Verlegerin Gloria Wismer leitet.
«Bei Volumes heissen wir Zines [selbstaufgelegte Werke] und Künstlerbücher willkommen, aber auch kleine Verlage, unabhängige Magazine, Lyrik-Kollektive und Performance-Künstler und -Künstlerinnen, die sich mit dem Verlagswesen beschäftigen», so Franchette.
Auch die internationale Ausrichtung der Messe wird vorsichtig erweitert. So werden die Bücherstände nicht nach Ländern gegliedert, und auch nicht alle Kontinente sind vertreten. Aus Europa sind jedoch fast alle Länder präsent, sowie die Türkei und einige Verlagshäuser aus Japan.
Im Rampenlicht steht dieses Jahr Chile. Mit dabei sind Vertreterinnen und Vertreter der dortigen Buchmesse ImpresionanteExterner Link, die dieses Jahr unter dem Motto «Sin ninguna vergüenza» (ohne jegliche Scham) lief.
Laut den Organisatorinnen liess sich der Erfolg der Messe an Anfragen von grossen Schweizer Verlagen messen, womit man sich aber plötzlich in einem Dilemma befunden habe: «Wir wollten sie nicht ausschliessen, aber andererseits mussten wir eine Plattform bleiben für Menschen, die eine solche wirklich brauchen.»
Franchette betont, dass Volumes in seinem Namen auch Zürich enthalte, was als klarer Ausdruck ihrer Absicht verstanden werden könne, zuallererst als Fenster für alle Verlage der Stadt zu dienen.
Etablierte Namen und Entdeckungen
Die Verlagskunst ist in Zürich bereits etabliert. Patrick Frey war ein junger Kunstkritiker, als er sich entschied, die Werke eines befreundeten Künstlers herauszugeben. Es begann 1986 als kleine, anspruchslose Aktion. Mehr als drei Jahrzehnte später ist Edition Patrick Frey eine weitherum bekannte, internationale Marke mit fast 300 Publikationen im Portfolio und internationalem Vertrieb.
Trotzdem führt Frey sein Verlagshaus immer noch unabhängig: Weil er über finanzielle Sicherheit verfügt, hat Frey auch alle Freiheit, zu entscheiden, was und wann er publizieren will. In einem gewissen Sinn amtet er als Kurator: Jede Publikation kommt in einem eigenen Format und mit individuellen Besonderheiten heraus, einige verzichten sogar auf Texte jeglicher Art.
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Patrick Frey: Der unabhängige Veteran
Am anderen Ende des Spektrums steht Nicolas Polli für eine neue Generation von unabhängigen Grafikern/Fotografen. Es sind Digital Natives, die das Printmedium nutzen, um ihre künstlerischen Haltungen zu verbreiten.
Polli, der im italienischsprachigen Kanton Tessin im Süden des Landes geboren wurde und heute in der französischsprachigen Westschweiz in Lausanne lebt, gewann mit seinem YET-Magazin (Fotografie, herausgegeben mit Salvatore Vitale) dieses Jahr den Swiss Grand Award for Design. Ihm gefällt vor allem die Körperlichkeit der Buchform.
Mit seinem ersten Autorenbuch «Ferox – The Forgotten Archives 1976-2010» überschreitet er mit der erfundenen visuellen Erforschung von Weltraumbildern die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Doch was nach Raketenwissenschaft aussieht, ist lediglich eine ästhetische Forschungsreise. So entpuppt sich etwa das Bild eines weit entfernten Planeten als extrem nahe Aufnahme einer Kartoffel.
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Nicolas Polli: Digital Native, Fan des Analogen
Gilt der Erfolg von Volumes unter den Digital Natives als Beweis der Wiederauferstehung des gedruckten Buches? «Von unserer Warte gesehen», sagt Franchette, «kommt diese wiederentdeckte Attraktion des physischen aus der Erkenntnis, dass alles digital geworden ist und die Leute Objekte des ‹realen Lebens› vermissen, die sie austauschen können.»
Allerdings ist Mazzei von Volumes mit Polli nicht einer Meinung, wenn dieser sagt, «das gedruckte Wort ist tot»: «Nichts ist tot», sagt sie, «auch wenn klar ist, dass einige Praktiken nicht mehr so beliebt sind, wie etwa Zines, aus denen heute Blogs geworden sind.»
Ungeachtet der unterschiedlichen Praktiken oder Generationen, ist Volumes der Beweis, dass die unabhängige Verlagsszene durch die digitalen Möglichkeiten neue Freiheiten geniesst. Doch die Künstlerinnen und Künstler schätzen die Körperlichkeit von Büchern und persönlichen Kontakten noch immer.
Aus dem Archiv
Volumes pflegt ein Archiv mit allen Publikationen, die an der Veranstaltung gezeigt wurden, und hat einen separaten Raum für die Ausstellung einer kuratierten Auswahl von Werken eingerichtet, wie die folgenden Beispiele zeigen:
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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