Wo bleiben die Käufer für die Villa Remarque?
Die Uhr tickt. Werden die 6,1 Mio. Franken für die Villa Monte Tabor des Schriftstellers Erich Maria Remarque in Ronco s/Ascona nicht aufgebracht, wird sie abgebrochen. Die Rettung eines Stücks Geschichte ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Immobilienhaie, die auf die begehrten Grundstücke mit privatem Zugang zum Lago Maggiore aus sind, haben es begriffen: Das Haus des Schriftstellers Erich Maria Remarque mit seinen prunkvollen Terrassen ist auf dem Markt heiss begehrt. Zum Beispiel als Luxus-Residenz mit verschiedenen Wohnungen. Dies zieht finanzkräftige Käufer – in dieser Region oft Ausländer – fast magisch an.
Die elegante Residenz, das grosse dreistöckige Haus mit den Rundbogenfenstern und einem herrlichen Blick über die Bucht von Ascona, harrt seines Schicksals. Das Gebäude hat schon bessere Tage gesehen. Während, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg war es ein Treffpunkt für Intellektuelle und Hollywood-Stars.
Marlene, Paulette und die anderen…
Zu den Persönlichkeiten, welche in Remarques Haus zu Besuch weilten, gehören Marlene Dietrich, die Geliebte des Schriftstellers von 1939 bis 1941, aber auch die US-Schauspielerin Paulette Goddard, Ex-Frau und Muse von Charlie Chaplin, die Erich Maria Remarque 1958 heiratete.
Die Villa Monte Tabor war jedoch nicht nur ein glamouröses Refugium. Es beherbergte Künstler und Friedensaktivisten, die vor dem Nazi-Regime fliehen mussten, wie den deutschen Intellektuellen Manuel Felix Mendelssohn.
Die dreissiger Jahre waren eine ereignisreiche Zeit, obwohl man in Ascona in relativer Ruhe, vor den Konflikten geschützt, leben konnte. 1933 wird auch der in den schützenden Mauern der Villa Tabor lebende Remarque betroffen: Die Nazis verbrennen seine Werke und aberkennen ihm die deutsche Staatsbürgerschaft.
Ein Jahr später, Remarque lebt immer noch in Ronco s/Ascona, kommt vom Sekretär von Herrmann Göring das Angebot, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, wenn der Schriftsteller den jüdischen Herausgeber seines Romans «Im Westen nichts Neues» denunziere. Remarque weist diesen Vorschlag als «intolerabel» zurück.
Mühseliges Geld sammeln
Es gibt einige Gründe, weshalb die Fans von Erich Maria Remarque und Paulette Goddard versuchen, die Tessiner Villa vor den Bulldozern zu retten: Die Eröffnung des Hauses für die Öffentlichkeit, um es zu einem kulturellen Zentrum zu machen oder ähnliche, «kommerziellere» Ziele.
Michael Gaedeke, ein Geschäftsmann mit Tessiner und deutschen Wurzeln, der im Locarnese aufwuchs und nun in Los Angeles lebt, ist ein grosser Verehrer von Paulette Goddard. Er versucht alles, um die von den aktuellen Besitzern der Villa Tabor geforderten 6,1 Mio. Franken (Marktpreis) aufzubringen.
Die Besitzer, ein amerikanisches Paar, müssen den «magischen Ort» aus wirtschaftlichen Gründen verkaufen. Sie hatten der Erich Maria Remarque-Gesellschaft ein Vorkaufsrecht zugesagt, in der Hoffnung, der zukünftige Besitzer würde das Haus der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Damit sollten die Immobilienhaie auf Abstand gehalten werden, die bereit wären, viel mehr für die Villa zu bezahlen. Es seien bereits «einige sehr interessante Offerten eingegangen», so die aktuellen Besitzer. Es scheint, dass nur noch ein bald eintreffendes Wunder helfen könnte. Aber am 31. Januar 2012, nach dem Ablauf des Vorkaufrechts, wird es zu spät für ein solches sein.
Atlantikübergreifende Kontakte
«Es ist viel Zeit vergangen, ohne dass man sich darum gekümmert hat. Und so habe ich mich an den Gemeindepräsidenten von Ronco s/Ascona gewandt mit dem Anliegen, die nötigen Mittel so schnell wie möglich aufzutreiben», sagt Gaedeke. Er weist auch darauf hin, dass Paulette Goddard Gast im von seinem Vater geführten Restaurant war und er ist davon überzeugt, «dass es Menschen jenseits des Atlantiks gibt, die eingreifen könnten, um das Haus zu retten».
Er findet es traurig, «dass Stiftungen wie das Harald Szeemann-Archiv, die Villa Favorita und andere kulturellen Schätze vom Kanton Tessin nicht unterstützt werden. Es scheint so, als wolle man sich nicht mit der eigenen Geschichte beschäftigen.»
Michael Gaedeke ist sich als Verkäufer der Bedeutung des Marketings bewusst. Deshalb hat er anlässlich des 64. Internationalen Filmfestivals von Locarno internationale und schweizerische Persönlichkeiten getroffen, um seine Fundraising-Idee, die er Ende Juli in Ascona gestartet hat, zu verbreiten.
«Festivalpräsident Marco Solari zeigte sich begeistert. Er kennt mein Projekt und hat mir alle Türen geöffnet», sagt Gaedeke, denn es «verteidigt die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz in den Vereinigten Staaten und fördert die touristische Plattform des Tessins», ein Projekt über das man mit verschiedenen kantonalen Behörden im Gespräch sei.
Ängste und Zweifel
Bis jetzt ist noch kein Rappen auf das Sammelkonto eingegangen. Es ist schwierig, die Spendierfreudigkeit von Gönnern zu animieren, wenn diese nicht wissen, wie genau ihr Geld verwendet werden soll. «Es eilt halt, aber das Projekt und der Businessplan folgen später», versichert der Tessiner-Deutsche.
«Ich hatte viele Gespräche, die mir zeigten, dass ein Interesse existiert. Wir müssen nun die Rechtsgrundlage für die Sammlung definieren, die gleichzeitig drei Länder betrifft, die USA, Deutschland und die Schweiz», so Gaedeke.
In Deutschland ist die Erich Maria Remarque-Gesellschaft ansässig, welche die Sammlung im Tessin als «gute Sache» bezeichnet hat. Sie äusserte aber auch eine gewisse Sorge, dass die mystische Villa Monte Tabor «sich in ein Touristen-Mekka verwandelt», wie es der Präsident der Gesellschaft, Derk Olaf Steggewentz, ausdrückt. Er gesteht jedoch den Geldgebern schon «eine grössere Entscheidungsbefugnis» zu.
Die Tessiner Behörden nehmen eine endgültige Position ein: «Wir haben mehrere Spezialisten konsultiert. Alle sind zum Schluss gekommen, dass das Haus keinen besonderen architektonischen Wert besitzt. Wir können nicht mit öffentlichen Geldern intervenieren, um alle Gebäude, in denen mal Prominente übernachtet haben, zu retten», sagt der für Bildung und Kultur zuständige Staatsrat Manuele Bertoli.
Es liegt nun an den Promotoren des Rettungsprojekts der Villa Monte Tabor, die potentiellen Geldgeber vom Gegenteil zu überzeugen.
Geboren 1898 in Osnabrück. Gestorben in Locarno am 25 September 1970.
Die Version Remark des Familiennamens wurde vom Grossvater mit der französischen Version Remarque ersetzt.
Erich Maria Remarque schreibt den berühmten Roman Im Westen nichts Neues (1929), nachdem er 1917 im Ersten Weltkrieg verwundet worden war.
1931 kauft er die Villa Monte Tabor.
Das Naziregime entzieht ihm 1933 die Staatsbürgerschaft.
Das Haus wurde in den 1920er-Jahren erbaut. Der Kaufpreis betrug 70’000 Franken. Marktwert heute (laut Spezialisten): rund 6,1 Mio. Franken.
Erich Maria Remarque ist auf dem kleinen Friedhof von Ronco s/Ascona begraben.
Der englische Schauspieler Daniel Radcliffe (Harry Potter) wurde für die Rolle des jungen Soldaten Paul Bäumer verpflichtet für das Remake von «Im Westen nichts Neues».
Vom berühmten Roman Remarques gibt es bereits zwei Filmversionen. Die erste wurde 1930 mit einem Oscar ausgezeichnet, die zweite 1979 mit einem Golden Globe.
(Übertragung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)
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