«Es gibt Künstler, die hier gezeigt werden müssen»
Das Zürcher Theaterspektakel versammelt Theaterproduktionen aus aller Welt. Der neue künstlerische Leiter Matthias von Hartz will noch mehr zeitgenössische Theater-Positionen in die Schweiz bringen. Ein Gespräch zum Abschluss des buntesten Kulturfestivals der Schweiz.
Das Zürcher Theater Spektakel hat sich seit seiner ersten Ausgabe im Jahr 1980 zu einem festen Bestandteil der Schweizer Kulturagenda entwickelt. Was als internationales Treffen unabhängiger Theatergruppen begann, gilt heute eines der wichtigsten europäischen Festivals für darstellende Kunst. Zürich bietet eine privilegierte Bühne für Experimente und Ensembles aus aller Welt, aber auch für die Schweizer Theaterszene.
Das Festival hat dieses Jahr für Lob und Anerkennung für sein Programm, weil es die Balance zwischen heimischen, europäischen und internationalen Gruppen hielt und gleichzeitig eine geografische Vielfalt, politische Positionen und mutige Experimente präsentierte. Der neue Intendant ist in seiner Heimat Deutschland als «radikale» Persönlichkeit der darstellenden Kunst bekannt. Im Interview spricht Matthias von Hartz über Grenzen und Möglichkeiten von Festivals, Quoten und Kunst zwischen Agitation und Unterhaltung.
swissinfo.ch: Sie leiteten Festivals in Deutschland und Griechenland, nun in der Schweiz. Berücksichtigten Sie den Kontext Schweiz beim Programmieren?
Matthias von Hartz: Jede Stadt, jedes Festival ist anders. Man sollte darum nur für den konkreten Kontext Programm machen. Beim Theater Spektakel in Zürich sehe ich zwei wichtige Faktoren: Erstens ist es das internationale, nicht das nationale Theater- und Tanz-Festival der Schweiz. Und zweitens gibt es die Tradition, Produktionen aus dem globalen Süden zu programmieren. Diese internationale Ausrichtung erlaubt uns, bestimmte zentrale zeitgenössische Positionen einzuladen, von denen ich meine, dass sie hier unbedingt gezeigt werden müssen.
swissinfo.ch: Welche?
Choreografen wie den Franzosen Boris CharmatzExterner Link beispielsweise. Oder das Nature Theater of OklahomaExterner Link aus New York. Beide waren bisher in der Schweiz kaum präsent.
swissinfo.ch: Sie kuratierten in den letzten zwölf Jahren mehrheitlich Festivals. Was macht für Sie den Reiz daran aus?
Festivals bieten grössere Freiheiten als die Arbeit an Schauspielhäusern. Projekte realisieren, die nicht ins sechswöchige normale Produktionsschema eines festen Hauses passen, ist unglaublich schwierig. Das deutschsprachige Theatersystem besteht aus hochspezialisierten Institutionen, die im weltweiten Vergleich unglaublich gut nach diesem Schema funktionieren.
swissinfo.ch: Gibt es auch Grenzen?
Eine erste, ganz banale Herausforderung sind die viel kleineren Budgets, die Festivals zur Verfügung stehen. Dann ist es nicht so einfach, Künstlerinnen und Künstlern an Festivals ein kontinuierliches Arbeitsumfeld zu bieten. Am Theater Spektakel sind sogar die Spielorte und Bühnen temporär, sie sind erst zwei Tage vor Festivalbeginn fertig erstellt. Darin länger zu proben ist also nicht möglich.
swissinfo.ch: Im Vergleich zum Programm Ihres Vorgängers Sandro LuninExterner Link ist heuer die USA im Programm mehr präsent. Favorisieren Sie diesen Kulturraum?
Nein. Beim Nature Theater of Oklahoma etwa, das mit der slowenischen Tanzcompany EnKnapGroupExterner Link arbeitet, interessiert mich dessen ästhetische Position sowie die popkulturellen Referenzen. Aus den USA ist leider nicht viel zu erwarten, weil die Förderstrukturen erbärmlich sind. Viele lateinamerikanische Länder sind besser aufgestellt.
swissinfo.ch: Sie programmieren also nicht mit Blick auf Kulturräume oder Quoten?
Nein, das Programmieren nach Quoten hat mich schon immer gelangweilt. Wir denken bei der Auswahl vielmehr thematisch-ästhetisch und entlang gewisser Künstlerbiografien. Klar wollen wir andere Perspektiven zeigen, aber es muss keine lexikalische Vollständigkeit herrschen oder bestimmte exotische Bedürfnisse abgedeckt werden.
swissinfo.ch: Sie gelten als einer der politischsten Festivalmacher Deutschlands. Bleiben sie dem politischen Theater treu?
Die kurze Antwort lautet: Ja. Man muss die politischen Themen in künstlerischen Arbeiten auch gar nicht explizit suchen. Es gibt kaum mehr Kunst, die sich nicht mit dem Eindringen des Kapitalismus in sämtliche Lebensbereiche beschäftigt. Reine Kunst-Kunst-Arbeiten interessieren mich immer weniger.
Wird in Zukunft also mehr Agitatorisches zu sehen sein?
Nein. Ich finde zwar, dass Kunst gesellschaftliche Zustände reflektieren soll, deswegen muss aber nicht jeder Künstler auf der Strasse singen gehen und jedes Stück den Anspruch haben, die Welt zu retten. Es geht ja nicht zuletzt um Unterhaltung.
Der neue künstlerische Leiter Der für das diesjährige Theaterspektakel erstmals künstlerisch verantwortliche Matthias von Hartz (1970) hat Volkswirtschaftslehre an der London School of Economics und Regie an der Hamburger Theaterakademie studiert. Er entwickelte, realisierte und kuratierte die Reihe «go create resistance» am Deutschen Schauspielhaus. Seit 2016 ist von Hartz Co-Kurator der internationalen Produktionen am Athens & Epidaurus FestivalExterner Link. Das Theater Spektakel in Zürich dauert bis am 2.September. www.theaterspektakel.chExterner Link
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