Dank Coronavirus soll handgemachte Schweizer Seife China erobern
Die älteste Seifenfabrik der Schweiz stand schon vor dem Aus: Dann sorgten die wegen der Coronavirus-Krise ergriffenen Hygienemassnahmen für neuen Aufschwung. Und nun strebt der neue Eigentümer, ein Geschäftsmann aus Hongkong, die Eroberung des asiatischen Marktes an.
Auf halbem Weg zwischen Basel und Zürich gelegen ist das Fricktal im Kanton Aargau vor allem für seine Kirschbäume bekannt, die während der Blütezeit im Frühling ein prächtiges Naturschauspiel bieten und zu Wanderungen verlocken.
Das Fricktal ist auch eine der konservativsten Regionen der Schweiz: Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei, die SVP, regiert hier fast unangefochten, mit Wahlergebnissen, die regelmässig über 40 Prozent liegen.
Eine weitere Besonderheit der Region ist die älteste Seifenfabrik der Schweiz: Die Mettler-Seifen AG wurde 1929 von Gotthilf Mettler gegründet, der als erster in der Schweiz Glycerinseife produzierte. Die Fabrik befindet sich noch heute in den ursprünglichen Lokalitäten der Manufaktur, entlang der Hauptstrasse im Tal im kleinen Dorf Hornussen.
Während sich das Produktionsverfahren für diese Seifen mit dem Label «Handmade in Switzerland» in den letzten 100 Jahren kaum verändert hat (siehe Galerie unten), hat die Aargauer Seifenfabrik von heute nicht mehr zu tun mit dem florierenden Familienunternehmen des letzten Jahrhunderts.
2013 sah sich Christoph Mettler, ein Vertreter der dritten Generation der Gründerfamilie, gezwungen, das Unternehmen zu schliessen: Die ausländische Konkurrenz war zu stark, der Konkurs unausweichlich.
Die Seifenfabrik Mettler wurde von Sodecos übernommen, einem auf die Herstellung und Vermarktung von Kosmetika spezialisierten Unternehmen. Die neue Besitzerin hat ihren Sitz in Henniez im Kanton Waadt, Chef ist der Hongkonger Geschäftsmann Hai Tak Yip, bekannt als «Peter» Yip. Das Unternehmen beschäftigt in der Schweiz rund 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Hai Tak Yip, genannt «Peter» Yip, ist ein Geschäftsmann aus Hongkong, der in der Schweiz lebt und in der Kosmetikbranche tätig ist.
Er habe stets die Gemälde seines Vater bewundert, des Künstlers M.Ping-Sum Yip. Wegen der Bilder sei er «schon in jungen Jahren mit der Schönheit der Frauen vertraut geworden», sagt er im Gespräch mit SWI swissinfo.ch.
Nachdem er in Asien für die Marke La Prairie aktiv gewesen war, kehrte Yip 2005 in die Schweiz zurück, wo er Ende der 1960er-Jahre studiert hatte. Hier gründete er die Kosmetikmarken Bellefontaine und La Vallée Switzerland.
Später folgte die Gründung der Firma Sodecos SA, und im Jahr 2013 erwarb er die Marke Mettler-Seifen im Kanton Aargau.
Das Unternehmen entwickelte in der Folge neue Linien von Schönheits- und Pflegeprodukten für Gesicht und Körper und setzte daneben die traditionelle Herstellung von Glycerinseifen der Marke Mettler fort.
Yip lebt im Château d’Henniez im Kanton Waadt, das er zur gleichen Zeit kaufte wie die ehemalige Mineralwasserfabrik Henniez Santé, wo die Teams der Sodecos-Gruppe arbeiten.
Die Glycerin-Seife ist nur ein kleiner Teil des Geschäfts der Sodecos-Gruppe. Das Werk Hornussen hat heute nur noch vier Mitarbeitende. Sie werden von einem Projektleiter in Henniez betreut, der regelmässig bei der Produktion im Aargau aushilft.
Unter den Mitarbeitenden spricht niemand den lokalen Dialekt. Der Projektleiter und drei der Angestellten kommen aus Polen, und Tümer Gülfidan, die dienstälteste Mitarbeiterin, stammt aus der Türkei.
«Als ich vor 24 Jahren bei Mettler-Seifen anfing, waren wir noch 80 Angestellte. Ich mag diesen Job wirklich, aber ich hatte schon oft Angst, ihn zu verlieren», sagt die 50-jährige Türkin, die mit ihrer Erfahrung die lebendige Erinnerung des Unternehmens darstellt.
Personal, das nicht verlagert werden kann
Im Frühjahr 2019 kündigte Sodecos unter anderem wegen Streitigkeiten über die zu zahlende Miete – das Gelände der Seifenfabrik war während des Konkurses an einen externen Investor verkauft worden – die Schliessung des Standortes Hornussen und die Verlagerung eines Teils der Aktivitäten der Seifenfabrik an den Standort Worben im Kanton Bern an.
Doch dann kam es zu einer unerwarteten Wende: Am 1. Mai dieses Jahres wurde die Seifenproduktion in Hornussen nach einer Schliessung von zwei Monaten für Renovationsarbeiten wieder aufgenommen.
Die angekündigte Verlegung des Standorts hatte bei der Leitung von Sodecos für Kopfzerbrechen gesorgt: Der Transport der alten, aber robusten Montage- und Verpackungsmaschinen erwies sich als schwierig. Und die Entlassung von Tümer Gülfidan hätte nicht nur einen zu grossen Verlust von Know-how bedeutet, sondern auch den reibungslosen Ablauf der Produktion gefährdet.
Zu all dem kam schliesslich noch die Corona-Krise. Wegen der Hygienemassnahmen, die im Kampf gegen die Pandemie ergriffen wurden, ist die Nachfrage nach Mettler-Seifen seit Februar explodiert: «Unsere Seifen haben einen hohen Gehalt an Glycerin, einem Produkt natürlichen Ursprungs, das weder Reizungen verursacht noch die Haut austrocknet», sagt Ines Lachetta, die Verkaufsleiterin von Sodecos.
Ein grosser Vorteil in einer Zeit, in der gewissenhaftes und häufiges Händewaschen Teil des Alltags der meisten Menschen auf der ganzen Welt geworden ist.
Von Mai bis Juli wurde die Seifenproduktion am Standort Hornussen verfünffacht. «Während dieser Zeit mussten wir vier temporäre Arbeitskräfte einstellen. Alle Maschinen liefen gleichzeitig, und wir konnten mit den Bestellungen nicht mehr Schritt halten», unterstreicht Projektleiter Mirek Piech.
Mettler ist heute das einzige Unternehmen in Europa, das Glycerinseifen herstellt, und zwar nicht nur unter eigenem Namen. Mettler liefert seine Seifen als Subunternehmer auch an andere Marken auf dem Kontinent – etwa die italienische Firma Ortigia.
Fokus auf den Fernen Osten
Die Geschäftsleitung von Sodecos ist zuversichtlich, dass die starke Nachfrage der letzten Monate mittelfristig Bestand haben wird. Mit einem relativ hohen Preis (7,80 Franken pro 100 Gramm Glycerinseife) zielt die Waadtländer Firma nicht darauf ab, die Regale von Supermarktketten zu überfluten. Vielmehr will sie ihre Nische in europäischen Apotheken und Drogerien besetzen und sich gleichzeitig auf Entwicklung und Wachstum des Online-Handels konzentrieren.
Nächstes Ziel: China. Sodecos hat dort bereits einen Vertriebspartner und feilt derzeit an seinem Marketingplan für eine grosse Kommunikationskampagne, die für 2021 geplant ist. «Das ist der Markt, in dem wir unser grösstes Wachstumspotenzial sehen. In Europa ist es komplizierter, denn Frankreich und Italien haben sich hier bereits als die beiden Seifenproduktionsländer par excellence etabliert», betont Piech.
Dazu kommt das starke Verkaufsargument: «Handmade in Switzerland», der Vermerk, der auf den Verpackungen von Mettlers Seifen und Kosmetika prominent zu finden ist. Es ist Sodecos auch nicht entgangen, dass Hartseife in Asien zum Waschen von Händen und Körper noch immer weit verbreitet ist.
«Unser Ziel ist es, dass chinesische Konsumentinnen und Konsumenten Seife und Glycerin in Zukunft direkt mit der Schweiz in Verbindung bringen», sagt Piech.
(Übertragen aus dem Französischen: Rita Emch)
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