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Angst vor Polizeigewalt und Ausweisung: Die Proteste in Georgien aus Sicht von Schweizer:innen

Georgische Flagge an Demonstration vor Scheinwerfer.
Ein Demonstrant schwenkt am 7. Dezember eine georgische Flagge. Pavel Bednyakov / Keystone

An den Protesten gegen die georgische Regierung nehmen auch Schweizer:innen und Schweiz-Georgier:innen teil. Manche von ihnen fürchten auch die Ausweisung. Eine Person zog deshalb ihre Aussagen gegenüber SWI swissinfo.ch zurück.

Die Käserin und Filmerin Frances Besler lebt in Tiflis und im Sommer mit ihrem Mann auf einer Alp.

Trotz den grossen Protesten in Georgien hat sie weiterhin Aufträge. «Der Schweizer Käse, den wir seit neun Jahren produzieren, wird hier weiterhin gegessen. Von Georgierinnen und Georgiern, aber auch von Russinnen und Russen. Käse hat keine Nationalität», sagt sie.

Die Käserin ist bei den Protesten zuvorderst

Selbst ist Besler bei den Protesten in Tiflis zuvorderst dabei. Die Demonstrationen gegen Georgiens Regierung starteten nach umstrittenen Wahlen und der Entscheidung der Regierung, die Verhandlungen über den EU-Beitritt zu stoppen.

Besler macht Aufnahmen für ein seit vier Jahren laufendes Dokumentarfilmprojekt. «Einige der Protagonist:innen mussten das Land mittlerweile verlassen», sagt Besler. Weil sich die rechtliche Lage für queere Menschen stark verschlechtert habe.

Frances Besler
Die Käserin und Filmerin Frances Besler fordert eine Polizeireform, angesichts der Gewalt, die sie an den regierungskritischen Protesten in Georgien erlebt. zVg

«Man wird heute überall kontrolliert. Die Verhaftungswelle ist eine Strategie, um die Opposition zu ersticken. Die Aggression kennt keine Grenzen. Beidseitig», sagt Besler, «Die Regierung nennt uns liberale Faschisten. Dabei ist [der starke Mann der pro-russischen Partei Georgischer Traum] Bidsina Iwanischwili ein Oligarch.» Besler will ein Ende der Korruption und wissen, wo ihre Steuern hingehen. Auch die immensen Bauprojekte Iwanischwilis in Tiflis sieht sie kritisch.

Die Schweiz als Vermittlerin?

Wegen der heftigen Gewalt gegenüber Demonstrant:innen fordert Besler eine Polizeireform. Wie es sie bereits nach den Massenprotesten 2007 gab, als Besler und ihr Mann nach Georgien gekommen waren. Die Schweiz, das Land, das sie damals verliess, könne, so Besler, heute als Vermittlerin agieren.

Doch die Zeiten für Vermittlung scheinen in Georgien momentan fern. Die stärkste Stimme der Opposition, die Präsidentin Salome Surabischwili, soll nach Plan der prorussischen Regierung durch Micheil Kawelaschwili ersetzt werden – einem ehemaligen Fussballspieler, der einst für Schweizer Clubs wie den FC Zürich und den FC Basel gespielt hatte.

Die Präsidentin sieht das Parlament wegen Wahlbetrug als illegitim

Surabischwili, deren Amtszeit am 16. Dezember 2024 endet, will nicht abtreten. Erstmals wird das Amt nicht von der Bevölkerung, sondern vom Parlament gewählt. Doch dieses sieht die Präsidentin Surabischwili infolge von Wahlbetrug als illegitim, wie sie in einer Videobotschaft sagte. Darum könne dieses Parlament kein Präsidium wählen.

Die Präsidentin bezeichnete Georgien nach den Parlamentswahlen Ende Oktober als «Opfer einer russischen Spezialoperation» und geniesst unter den Demonstrant:innen viele Sympathien. Auch internationale Wahlbeobachter:innen berichteten über massive Verstösse bei den Wahlen.

Musiker Kordz sieht wachsende Proteste

Der georgisch-schweizerische Musiker Alexandre Kordzaia, genannt Kordz, schilderte SWI swissinfo.ch bereits vor den Wahlen, wie sich das politische Klima in Georgien verändert.

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Den direkten Einfluss Russlands erlebt Kordz auch bei den aktuellen Demonstrationen. Er zieht einen Vergleich zu der Situation in der Ukraine 2014. «Wie damals in der Ukraine sind Propagandisten unterwegs, die im Fernseher behaupten, die Demonstrant:innen seien rechtsextrem und unter Drogen», sagt er.

Dass Russland mit dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad in Syrien eine grosse Niederlage einfuhr, mache laut Kordz auch vielen Georgier:innen auf der Strasse Hoffnung. Immer mehr von ihnen würden sich den Protesten nach und nach anschliessen, glaubt er.

Kordz
Der georgisch-schweizerische Musiker Alexandre Kordzaia ist momentan häufiger als Unterstützer an Gerichtsterminen als an Konzerten. Nata Sopromadze

Statt an Konzerte geht der Musiker in diesen Tagen zu Gerichtsterminen, um bei Demonstrationen inhaftierte Kolleg:innen aus der Kunstszene zu unterstützen. «Fast alle sagen ihre Konzerte ab. Ausser die Musikerinnen und Musiker, die der Regierungspartei nahestehen. Irgendjemand muss ja noch an deren Feiern die Weihnachtsmusik spielen.»

Wie viele andere fordert Kordz: Neuwahlen innerhalb der nächsten Monate, eine neutrale Wahlbeaufsichtigung, den Rücktritt des Premiers und die Rücknahme des Agentengesetzes, mit dem sich Nichtregierungsorganisationen, die Gelder aus dem Ausland beziehen, als «Ausländische Agenten» deklarieren lassen müssen.

Während den Demonstrationen rüstet sich Kordz mit Mikrofonen aus, um den Lärm der Proteste aufzunehmen. Eine Protesthymne hat er schon produziert.

Romanautorin Schmitter schreibt nur noch Tagebuch

Anfang November arbeitete die Schweizer Schriftstellerin Anja Schmitter in Georgien an ihrem neuen Roman. «Zunächst konnte ich gut schreiben, ich war versunken in der Arbeit», sagt sie am Telefon zu SWI Swissinfo.ch. Nach langem Hin- und Herpendeln zwischen Zürich und der georgischen Hauptstadt, zog sie Anfang November definitiv nach Tiflis, wo sie mit ihrem Partner unweit des Parlamentsgebäudes lebt.

Seit dem 28. November 2024 gehen die Menschen gerade dort jeden Abend gegen die prorussische Regierung auf die Strasse. Diese entschied kurz nach den umstrittenen Parlamentswahlen, die EU-Beitrittsgespräche auszusetzen.

Seither macht Schmitter eine Pause von der Literatur. «Ausser Tagebuch kann ich jetzt nicht mehr schreiben», sagt sie, die jeden Tag an den Protesten teilnimmt und bis in die Nacht bleibt.

«Von meiner Wohnung aus höre ich sowieso das Feuerwerk, die Wasserwerfer, den Lärm.» Das Leben stehe still. «Als Schweizerin habe ich eine spezielle Position, immer ein Ticket, um aus dem Land zu kommen», sagt Schmitter.

Anja Schmitter
Die Romanautorin Anja Schmitter schreibt seit Beginn der Proteste nur Tagebuch. zVg

Droht ausländischen Demonstrant:innen in Georgien die Ausweisung?

Die zunehmende Gewalt der Spezialeinheiten könne aber alle treffen. Ausserdem gingen Gerüchte um, dass Ausländer:innen, die an den Protesten teilnehmen, eine Ausweisung droht. «Und das macht mir Angst. Aber ich will mich nicht einschüchtern lassen.» Ihre eigene Zukunft im Land sieht Schmitter nicht direkt gefährdet: «Ausser wenn Russland militärisch eingreift.»

Anja Schmitter ist nicht die einzige Teilnehmerin der Proteste ohne georgischen Pass, die sich Sorgen macht.

Eine MeldungExterner Link der Menschenrechtsorganisation Social Justice Centre (SJC) berichtet, dass ausländische Staatsangehörige, die bei Protesten festgehalten wurden, von der Migrationsbehörde des Innenministeriums vorgeladen werden. Eine Person, die dieser Vorladung gefolgt ist, wurde laut dem Bericht aus dem Land ausgewiesen. Jemand hat deswegen seine Aussagen gegenüber SWI swissinfo.ch zurückgezogen.

Denn niemand, der auf die Strasse geht, möchte Georgien momentan verlassen, wie mehrere Gesprächspartner:innen gegenüber SWI Swissinfo.ch bekräftigen. Im Gegenteil. Auf den Demonstrationen treffe man viele Georgier:innen, die aus dem Ausland zurückgekehrt seien, «um ihr Land vor der russischen Aggression zu verteidigen».

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