Auf dem Spiel steht der koordinierte Fremdsprachen-Unterricht
Die Debatte zum Fremdsprachen-Unterricht wird erneut für Schlagzeilen sorgen, wenn die Stimmenden im Kanton Nidwalden beschliessen, dass auf der Primarstufe nur noch eine Fremdsprache - voraussichtlich Englisch - unterrichtet werden soll. Es handelt sich dabei um die erste Volksabstimmung zu dieser Frage.
Am 8. März können die Stimmbürger des Kantons Nidwalden über eine Volksinitiative entscheiden, die eine Vereinfachung des Lehrplans auf Primarschulstufe verlangt, indem der Unterricht auf nur mehr eine Fremdsprache reduziert würde.
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Schnipo und Co
Kaum jemand zweifelt daran, dass die Änderung zulasten des Französischen ginge, eine der vier Landessprachen der Schweiz.
Die Initianten argumentieren, dass die Schüler unter 12 Jahren überfordert seien, zwei Fremdsprachen gleichzeitig zu lernen. Stattdessen soll Französisch erst auf Sekundarstufe (ab der 7. Klasse), dafür gründlicher unterrichtet werden, wenn möglich mit Schüleraustausch-Programmen.
Lanciert wurde die Initiative von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), der wählerstärksten Partei im Kanton.
«Primarschüler sollten zuerst richtig Deutsch und Mathematik lernen», lautet eines der Argumente der Partei.
Widerspruch
Die Kantonsregierung, die von Bildungsdirektor Res Schmid präsidiert wird, der selber Mitglied der SVP ist, unterstützt die Initiative, obwohl diese von einer Mehrheit des Parlaments abgelehnt wird.
Laut Schmid hat Nidwalden mit zwei Fremdsprachen während Jahren enttäuschende Erfahrungen gemacht.
Die meisten grösseren Parteien sowie der lokale Lehrerverband sind gegen die Initiative. Sie argumentieren, dass die rund 2300 Primarschüler von Nidwalden im Vergleich mit Gleichaltrigen in anderen Regionen benachteiligt würden.
Bemühungen zur Vereinheitlichung des Fremdsprachen-Unterrichts unter den 26 Kantonen könnten einen Rückschlag erleiden, wenn der Vorschlag durchkommt. «Jeder solche Entscheid eines einzelnen Kantons wäre verhängnisvoll», sagt Jürg Brühlmann vom nationalen Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer.
«Es gibt derzeit keine dringliche Notwendigkeit, unsere gegenwärtige Fremdsprachen-Politik durcheinander zu bringen», meint Hans-Peter Zimmermann, der für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) im Kantonsparlament sitzt.
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Emotional
Fremdsprachen-Unterricht ist in einem Land mit vier Landessprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch – ein emotionsgeladenes Thema mit politischer Brisanz.
Die kantonalen Bildungsbehörden haben versucht, die Bildungsinhalte schrittweise anzugleichen. Der Lehrplan sieht vor, dass alle Kinder ab dem fünften Schuljahr eine zweite Landessprache plus Englisch lernen sollen.
Aber das Parlament des Kantons Thurgau in der Ostschweiz tanzte im letzten Jahr aus der Reihe, als es Französisch aus dem Lehrplan der Primarschule kippte und für Empörung vor allem in der französischsprachigen Westschweiz sorgte.
Initiativen zur Drosselung des Fremdsprachen-Unterrichts auf Primarstufe sind in zwei weiteren Kantonen, nämlich in Luzern und Graubünden, hängig und drohen die Harmonisierungsbemühungen weiter zu unterlaufen.
Eingeschränkte Autonomie
Bis im August müssen die kantonalen Bildungsdirektoren Bilanz ziehen von ihren Bildungsreformen, die vor 10 Jahren lanciert worden waren.
Die Uneinigkeit hat das Schreckgespenst einer intervenierenden eidgenössischen Behörde wachgerufen, welche die kantonale Autonomie beschränken könnte.
Fremdsprachen-Unterricht
Deutsch ist die erste Fremdsprache, welche die Schülerinnen und Schüler in der französischsprachigen Schweiz lernen.
In der deutschsprachigen Schweiz lernen sie – je nach Kanton, in dem sie wohnen – zuerst entweder Englisch oder Französisch.
Im italienischsprachigen Tessin hat Französisch Priorität als erste Fremdsprache. Im Kanton Graubünden ist die erste Fremdsprache je nach Sprachregion entweder Deutsch, Italienisch oder Romanisch.
Innenminister Alain Berset hat mehrmals gewarnt, dass er Versuche in den Kantonen, die zweite Fremdsprache an der Primarschule abzuschaffen, nicht tolerieren werde. Der Zusammenhalt des Landes sei in Gefahr, wenn Französisch nicht mehr Teil des Lehrplans sei, so der Bildungsminister.
Die Schweizer Regierung werde eingreifen müssen, sagte er dem Parlament im März 2014, wenn die Kantone keine koordinierte Lösung für den Fremdsprachen-Unterricht finden würden.
Gemäss einem Verfassungsartikel, der seit 2006 in Kraft ist, sind die Kantone im Bildungsbereich zur Koordination und Zusammenarbeit verpflichtet. So sollen das Schuleintrittsalter, die Ausbildungsdauer, die Ziele der verschiedenen Bildungsstufen sowie die Anerkennung von Abschlüssen landesweit harmonisiert werden.
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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