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Augen und Ohren vor Ort: Schweizer Experten beobachten die Wahlen in den USA

Wahlurne in Florida
In vielen Staaten haben die Wahlen bereits begonnen, so auch hier in Florida. EPA/CRISTOBAL HERRERA-ULASHKEVICH

In einem äusserst angespannten Wahlklima mit Betrugs- und Fälschungsvorwürfen hat die OSZE fast 250 internationale Beobachter:innen in die USA entsandt, darunter den Tessiner Experten Sascha Alderisi und den Nationalrat Jean-Luc Addor. Ziel der Mission ist es, das Vertrauen in den Wahlprozess zu stärken. Wie funktioniert das?

«Ich kam am 3. Oktober in den Vereinigten Staaten an. Nach einem Briefing in Washington zog ich nach Salem, der Hauptstadt von Oregon. Zurzeit befinde ich mich in Burns», erklärt Sascha Alderisi. Es ist früh am Morgen in den USA, am Telefon erzählt der Experte, dass er seit mehr als zwei Wochen mit einem Wahlbeobachter aus Norwegen von Stadt zu Stadt reist. «Wir besuchen die Wahlbüros in den Bezirken, treffen Beamte und zivilgesellschaftliche Organisationen und prüfen, wie die Vorbereitungen für die Wahl am 5. November laufen.»

Alderisi ist Mitglied der Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaExterner Link (OSZE). Die 1990 mit der Verabschiedung der Charta von Paris für ein neues EuropaExterner Link eingerichtete Wahlbeobachtungsmission hat den Auftrag, die Einhaltung internationaler demokratischer Standards zu überwachen und freie und faire Wahlen in den 57 OSZE-Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges setzten in vielen Ländern Osteuropas und Zentralasiens Demokratisierungsprozesse ein, die die OSZE zu unterstützte, um das Vertrauen der Wähler:innen in die Institutionen zu stärken.

1989 beteiligte sich die Schweiz zum ersten Mal an einer Wahlbeobachtungsmission und entsandte Expert:innen im Rahmen einer UNO-Mission nach Namibia.

Mit dem Ende des Kalten Krieges waren viele neue Staaten bestrebt, neue demokratische Institutionen aufzubauen und ihre Regierungen durch freie und faire Wahlen zu legitimieren. Ein Prozess, den die Schweiz im Sinne der Förderung von Frieden und Demokratie begleiten will.

Dieses Engagement zeigt sich jedes Jahr in zahlreichen OSZE-Missionen. Sie beobachten Wahlen und demokratische Prozesse in verschiedenen Ländern.

Quelle: EDAExterner Link

Alderisi, der im Tessin aufgewachsen ist und viel Erfahrung im internationalen Umfeld hat, ist nicht zum ersten Mal im Wahleinsatz. Er ist seit 2008 Mitglied des Schweizer Expert:innenteams und hat bereits Wahlen in verschiedenen Teilen der Welt beobachtet, aber noch nie die US-Wahlen.

«Insgesamt sind wir 64 Beobachter aus 17 Ländern, darunter 6 Schweizer, die in Teams von zwei Experten aufgeteilt sind, denen jeweils zwei US-Staaten zugewiesen werden», sagt Alderisi.

zwei Wahlbeobachter vor einer Einwurfbox
Sascha Alderisi (rechts) mit seinem norwegischen Kollegen Hans Christen Knaevelsrud vor einer Drop-Box, einer Box, in die Wahlzettel eingeworfen werden können, in Canyon City, Oregon. Sascha Alderisi

«Zusammen mit einem weiteren Mitglied der Mission verfolge ich den Wahlprozess in Oregon und Washington.» Die Wahlen und die Möglichkeit der Beobachtung werden durch lokale Gesetze geregelt: So verbietet Tennessee, wie 17 weitere Bundesstaaten, die Anwesenheit internationaler Beobachter:innen, während andere Bundesstaaten wie Kalifornien, Missouri oder Nebraska sie ausdrücklich zulassen.

«Ich bin kein Polizist»

Sascha Alderisi ist ein so genannter Langzeit-Wahlbeobachter, der im Rahmen einer etwa einmonatigen Mission die Vorwahlen, den Wahltag und die Zeit nach den Wahlen verfolgt.

Dies ist eine sehr wichtige Aufgabe, insbesonders nach den von Donald Trump erhobenen Betrugs- und Manipulationsvorwürfen bei den Präsidentschaftswahlen 2020; ein Szenario, das sich in diesem Jahr wiederholen könnte.

«In meiner Rolle als technischer Experte beobachte ich die Anwendung des lokalen Rechtsrahmens», sagt er. Ich nehme zur Kenntnis, was ich sehe, ohne mich in den Wahlprozess einzumischen. Ich bin kein Polizist. Ich erstelle jedoch einen Bericht, der meine Beobachtungen, mögliche Unregelmässigkeiten und Empfehlungen enthält.

Jeweils im Januar entscheidet das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) anhand von Kriterien wie der politischen und sicherheitspolitischen Lage in den betreffenden Ländern, an welchen Wahlbeobachtungsmissionen sich die Schweiz beteiligen wird.

Die Beobachter:innen, die aus dem Expert:innenpool ausgewählt werden, durchlaufen eine einwöchige Ausbildung, bevor sie ihren ersten Einsatz antreten.

Die Partnerorganisationen (die Europäische Union, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Organisation Amerikanischer Staaten) informieren den Pool der Schweizer Expert:innen über die geplanten Einsätze und geben dabei das Einsatzland, die benötigte Sprache, die Dauer und die Sicherheitsbedingungen an.

Nach den logistischen Vorbereitungen, zu denen Visa, Flüge und Briefings gehören, reisen zuerst die Langzeitbeobachter:innen und sechs bis acht Wochen später die Kurzzeitbeobachter:innen ab. Am Ende der Mission fassen die Wahlexpert:innen ihre Beobachtungen in einem Bericht für das EDA zusammen.

Quelle: EDAExterner Link

Ein erster ZwischenberichtExterner Link wurde vom Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte am 23. Oktober 2024 veröffentlicht. Darin werden nicht nur die Ziele der Mission und die Regeln des Wahlprozesses zusammengefasst, sondern auch zentrale Themen wie die Medienberichterstattung hervorgehoben. Die Expert:innen äussern sich besorgt über weit verbreitete Desinformationskampagnen, die von in- und ausländischen Akteur:innen gefördert werden.

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«Der Wahlkampf ist polarisierend und durch eine aggressive und konfrontative Rhetorik mit persönlichen Angriffen und hetzerischer Sprache gekennzeichnet», heisst es im Bericht. Der rechtliche Rahmen für die Beilegung von Wahlstreitigkeiten wird ebenfalls dargestellt.

Dabei wird auf die hohe Zahl von Gerichtsverfahren hingewiesen, die von Kandidat:innen, politischen Parteien und ihnen angeschlossenen Organisationen eingeleitet wurden und beispielsweise die Verfahren zur Registrierung von Wähler:innen betreffen.

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180 Parlamentarier:innen auf OSZE-Mission

Die Wahlbeobachtungsmissionen werden vom OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte koordiniert. Bei den aktuellen US-Wahlen gibt es keine Kurzzeitbeobachter:innen. Diese werden in der Regel erst kurz vor dem Wahltag entsandt, um den Wahlvorgang und die Stimmabgabe zu überwachen.

Rund 180 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung der OSZEExterner Link – eine Plattform für Dialog und Zusammenarbeit, die mehr als 320 Parlamentarier:innen umfasst – werden die Wahlen jedoch verfolgen. Für die Schweizer DelegationExterner Link wird Nationalrat Jean-Luc AddorExterner Link die Wahlen beobachten.

«Ich werde am 1. November in die Vereinigten Staaten reisen und am nächsten Tag ein Briefing in Washington abhalten», erklärt der SVP-Politiker, der bei den letzten Wahlen 2020 seine Präferenz für Trump zum Ausdruck brachteExterner Link.

«Zusammen mit 15 weiteren Parlamentarier:innen und einem Kollegen aus dem Bundestag habe ich die Aufgabe, die Wahl in Nevada zu beobachten, einem der Swing States.»

jean-luc addor
Nationalrat Jean-Luc Addor wird die Präsidentschaftswahlen in Nevada beobachten. Keystone / Anthony Anex

Der Walliser Parlamentarier aus Sitten gehört seit Beginn der laufenden Legislaturperiode im Dezember 2023 der Schweizer Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE an. Es handelt sich also um seine erste Mission als Wahlbeobachter. «Unser Fokus wird natürlich auf dem Wahltag am 5. November liegen», sagt er.

«Es wird ein anstrengender Tag, der in der Morgendämmerung beginnt und am späten Abend endet, wenn die Wahllokale schliessen.» Der Jurist Addor wird so viele Wahllokale wie möglich besuchen müssen, um zum Beispiel zu prüfen, ob es dort genügend Personal gibt oder ob die Wähler:innen ohne Einschränkungen wählen können. Anschliessend wird der Nationalrat seine Beobachtungen an das Core Team der OSZE-Mission in Washington weiterleiten.

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OSZE; eine wenig bekannte Institution in den USA

«Es steht viel auf dem Spiel, nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt, betont Addor. «Der Wahlausgang wird die internationale Politik der nächsten Jahre bestimmen und zum Beispiel die Position der USA zum Krieg in der Ukraine, zum Konflikt im Nahen Osten oder zum amerikanischen Engagement in der NATO beeinflussen.»

Der SVP-Nationalrat erinnert an die Abstimmung vor vier Jahren, als Donald Trump das Ergebnis der Wahl nicht akzeptierte und von einer manipulierten und korrupten Wahl sprach.

«Die Anwesenheit von OSZE-Beobachtern kann das Vertrauen der Bevölkerung und die Glaubwürdigkeit der Wahl stärken», sagt Addor. «Wir sind keine internationale Behörde und es steht uns nicht zu, die Gültigkeit der Wahl zu bestimmen, auch weil die OSZE in den USA eine wenig bekannte Institution ist.

Es wird das amerikanische Volk sein, das die Rechtmässigkeit des Ergebnisses beurteilen wird.» Internationale Expert:innen sind nicht die einzigen, die die Wahl beobachten. Vielmehr wird der Prozess auch von nationalen Beobachter:innen aus der Zivilgesellschaft, den Parteien und der Wissenschaft verfolgt.

Die Mission der OSZE-Delegation wird am 6. November 2024 mit der Veröffentlichung eines vorläufigen Berichts und einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) abgeschlossen.

Die Leiter:innen der beiden Missionen; Tamás Meszerics, ein ungarischer Experte, der die ODIHR-Mission leitet, und Pia Kauma, eine finnische Parlamentarierin, werden eine vorläufige Bewertung der Wahlen vorstellen.

«Einige Monate später wird der abschliessende OSZE-Bericht über die Wahlen in den USA veröffentlicht», erklärt Alderisi. Der Text wird eine umfassende Analyse aller Wahlphasen und Empfehlungen zur Verbesserung der Prozesse enthalten. Für den Tessiner endet die Wahlbeobachtermission am 10. November, wenn er nach mehr als einem Monat aus den USA zurückkehrt.

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Editiert von Daniele Mariani und Benjamin von Wyl. Übertragung aus dem Italienischen: Janine Gloor

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