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Ausländerrecht: Berns Geste einer begrenzten Mitsprache

Der Weg hin zum Stadtberner Parlament ist für ausländische Bewohner schmal. Keystone

Für Bewohner ohne Schweizer Pass in der Stadt Bern könnte es einfacher werden, ihre Anliegen zur Lokalpolitik zu äussern. Ob dieses Sonderinstrument für Ausländer in der Schweiz Schule machen wird, wird sich zeigen.

Knapp 60% des Stadtberner Stimmvolks haben sich an der Abstimmung vom 14. Juni für mehr politische Mitsprache der ausländischen Wohnbevölkerung im Stadtberner Parlament ausgesprochen, ein Resultat, mit dem viele Befürworter aus dem linken Lager zufrieden sind.

Cristina Anliker, welche die Idee lanciert hatte, sagte gegenüber den Medien, sie sei «überglücklich». Und auch Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät zeigte sich erfreut. Er hofft, dass das Ergebnis dieser lokalen Abstimmung über die Grenzen der Hauptstadt mit ihren 140’000 Bewohnerinnen und Bewohnern, darunter 33’000 ohne Schweizer Pass, ausstrahlen wird.

Gleichzeitig relativiert er die Bedeutung dieses Abstimmungsergebnisses: «Im Prinzip ändert sich nicht viel.» Es sei bloss ein schönes Zeichen für jene, die hier arbeiteten. Auch sie sollten mitreden können», liess der Stadtpräsident verkünden.

Ob seine Äusserungen nur Ausdruck eines erfahrenen Politikers sind oder lediglich die Gegnerschaft des rechten Lagers in Bern beschwichtigen soll, ist unklar.

Der Stadt- und Kantonsparlamentarier Erich Hess von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), der die Vorlage bekämpft hat, will gegen die Abstimmung Beschwerde einlegen. «Sie verstösst gegen das Recht von Kanton und Gemeinde», lautet sein Argument.

Abstimmen und wählen

Nur fünf der 26 Schweizer Kantone kennt die politische Partizipation für die ausländische Bevölkerung. Vorausgesetzt wird überall, dass sie seit einer gewissen Anzahl Jahre in der Schweiz und/oder im Kanton wohnen.

Nicht-Schweizer in den Kantonen Freiburg und Waadt haben keine Rechte auf kantonaler Ebene, auf Gemeindeebene können sie abstimmen, wählen und ein Amt einnehmen.

Nicht-Schweizer in Genf haben keine Rechte auf kantonaler Ebene, können aber auf Gemeindeebene abstimmen und wählen, nicht jedoch ein Amt besetzen.

Nicht-Schweizer in Jura und Neuenburg können auf kantonaler Ebene abstimmen und wählen, aber kein Amt ausüben, auf Gemeindeebene schon.

In drei Kantonen der Deutschschweiz (Appenzell Ausserrhoden, Graubünden und Basel-Stadt) haben die Gemeinden die Möglichkeit, ihre ausländischen Bewohner politisch partizipieren zu lassen.

Die so genannte Ausländermotion ermöglicht erwachsenen Ausländern mit unbeschränkter oder vorübergehender Niederlassungsbewilligung sowie vorläufig aufgenommenen Ausländern, formelle Vorstösse im Stadtparlament einzureichen. Nötig sind dafür 200 Unterschriften von anderen in Bern wohnhaften Ausländern.

Beispiel

Die Stadt Bern ist mit ihrer Mitsprache-Motion zwar an vorderster Front, aber nicht die erste Gemeinde, die dieses System einführt. Burgdorf, eine Kleinstadt im bernischen Emmental mit 15’000 Einwohnern, hat 2008 ein ähnliches Instrument eingeführt. Bislang wurde vom so genannten Ausländerantrag kein einziges Mal Gebrauch gemacht.

Trotzdem haben die Jungsozialisten im Kanton Bern – schon bevor das Abstimmungsresultat vom Sonntag bekannt war – angekündigt, sie wollten mit dem Mitspracherecht für Ausländer in anderen Städten im Kanton vorwärts machen. Sie hoffen dabei auf die Unterstützung von urbaneren und fortschrittlicheren Bürgern im Kanton, der für seine eher konservativen und traditionellen politischen Ansichten bekannt ist.

Die kantonalen Sektionen der Sozialdemokraten (SP) und der Grünen haben das Abstimmungsresultat vom Wochenende begrüsst, was keine Überraschung ist. Keine von ihnen hat jedoch vorgesehen, die Ausländermotion auf die nationale politische Agenda zu setzen.

«Ein solches Instrument macht vor allem auf lokaler Ebene Sinn», sagt SP-Sprecher Michael Sorg. Laut seiner Einschätzung hätte ein solcher Schritt auf nationaler Ebene  kaum eine Chance auf Erfolg an der Urne.

Kommt Berner Modell nach Zürich?

Auch in der grössten Schweizer Stadt könnte die Partizipation von Ausländern bald  prominenter auf die politische Agenda kommen. Ermutigt vom Abstimmungsausgang in Bern möchten die Grünliberalen das Berner Modell zur Diskussion stellen. 2013 kam eine Vorlage zur Abstimmung, die es den Zürcher Gemeinden erlaubt hätte, Ausländern, die seit zehn Jahren in der Schweiz wohnhaft sind, das kommunale Stimmrecht zu erteilen. In der Stadt Zürich sprachen sich damals 61% gegen diese Vorlage aus, im ganzen Kanton waren es 75%.

Dialog

Über diese Form von Mitspracherechten gebe es viel zu sagen, meint die Sozialanthropologin Christin Achermann in einem Interview mit dem Berner Bund. «Im Sinne eines breiten Demokratieverständnisses ist es richtig, Ausländerinnen und Ausländern das Recht zu geben, ihre Anliegen in den politischen Prozess einzubringen», sagt die Assistenzprofessorin von der Universität Neuenburg. Die Motion sei auch eine Aufforderung an die Ausländer, sich am politischen Geschehen zu beteiligen.

«Die Ausländermotion ist ein Instrument, das von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden könnte», sagt Achermann. Es sei aber noch zu früh, um beurteilen zu können, ob sie auch ein Instrument zur Förderung der Integration sei. «Diese Frage kann man vielleicht in zehn Jahren beantworten.»

Probleme wie Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von Sozialhilfe, tiefes Ausbildungsniveau und Diskriminierung der ausländischen Bevölkerung würden durch die Einführung dieser Motion nicht beseitigt. «Sie kann aber den Austausch fördern, und dazu beitragen,  dass sich die Ausländer überhaupt erwünscht fühlen und sie für die Schweizer Bevölkerung zu sicht- und hörbaren Mitgliedern der Stadt werden.»

Politische Rechte

Politische Rechte für Nicht-Schweizer haben einen schweren Stand. Nur wenige Kantone, vor allem im französisch-sprachigen Landesteil, gewähren Ausländern die Möglichkeit, an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen. Immerhin können sie in einigen Gemeinden  ein politisches Amt übernehmen.

Eine andere Option für Ausländer ist die Erwerbung der Schweizer Staatsbürgerschaft. Das Verfahren dauert laut Kritikern jedoch lang und ist kompliziert.

Wird ein Baby in den USA geboren, so erhält es automatisch die amerikanische Nationalität. In der Schweiz ist das nicht so.

Im Schweizer Parlament sind Bemühungen im Gang, um die Einbürgerungsverfahren für jene Ausländer zu erleichtern, die bereits in dritter Generation hier leben. Über eine mögliche Verfassungsänderung wird das Stimmvolk das letzte Wort haben. 2004 wurde ein Vorschlag abgelehnt, der ausländischen Bürgern der zweiten und dritten Generation automatisch die Schweizer Staatsbürgerschaft einräumen wollte.

Adaption: Gaby Ochsenbein

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