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Counterspeech: Was man 2025 gegen Hassrede im Internet tun kann

Hate Speech
Vera Leysinger / SWI swissinfo.ch

Hassrede gilt als Gefahr für Gesellschaft und Demokratie. In einer Zeit, in der Facebook und Instagram mehr Aussagen zulassen, wird das Engagement von Freiwilligen wichtiger, die auf den Hass reagieren – mit sogenanntem Counterspeech.

«Die Leute, die Hassrede verbreiten, sind sehr gut organisiert», sagt Anne-Céline Machet. Sie sprechen sich untereinander ab und bündeln ihre Energien.

Als Direktorin einer feministischen Stiftung in Genf macht das Machet Sorgen. Frauen werde ohnehin bereits als Kind beigebracht, diskret zu sein und nicht zu viel Raum einzunehmen. Im Internet verstärke sich dieser Effekt.

Anne-Céline Machet guckt in die Kamera.
Anne-Céline Machet ist Direktorin der Fondation pour l’égalité de genre in Genf. Rebecca Bowring

Der Online-Hass, dem Politikerinnen oder Journalistinnen direkt – und alle Frauen, die den Hass lesen indirekt – ausgesetzt sind, bedrohe die Demokratie. Unter anderem, weil sich Frauen nicht mehr im Diskurs beteiligen. «Manche, die sich exponierten, haben sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen», bedauert Machet. Das gelte es zu verhindern. Sie glaubt an Sensibilisierung und Aufklärung. «Wir müssen erklären, dass es möglich ist, gegen Hassrede vorzugehen», sagt Machet.

Was ist Hassrede?

Was ist Hassrede? Der Begriff bündelt Beleidigungen und HerabwürdigungenExterner Link einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe.

Eine Studie von Sotomo 2022Externer Link zeigte, dass 86% der Schweizer Bevölkerung digitale Gewalt für sehr oder eher verbreitet halten. Doch das Problem ist global – und das Problembewusstsein ebenso. Die Antirassismuskommission des Europarats sieht in HassredeExterner Link «ernsthafte Gefahren» für «den Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft». Die Kommission weist daraufhin, dass Hassrede – wenn von der Gesellschaft ignoriert – auch physische Gewalt und Konflikte befeuern könne.

In einer UNESCO-StudieExterner Link in 16 Ländern von 2023 gaben 67% an, dass ihnen Hassrede häufig begegne. Dabei gab es Unterschiede zwischen den Ländern: In westlichen Ländern wie Belgien, Österreich, aber auch den USA war dieser Wert tiefer. In Indonesien, Bangladesch und in Indien war er deutlich höher.

Besonders oft von Hassrede betroffen, so die Wahrnehmung der Befragten in allen Ländern, sind queere Menschen, ethnische Minderheiten, Migrant:innen – und Frauen.

Strategie gegen Hassrede im Vorhinein

«Wir wollen das Netz wieder sicher machen für Frauen und Gender-Minoritäten», sagt Machet. Und schiebt nach: «Zumindest im Umfeld unseres Projekts.» Bereits Monate bevor sie am internationalen Frauentag am 8. März mit ihrer Online-Kampagne an die Öffentlichkeit treten, hat die Fondation pour l’égalité de genre eine Strategie gegen die erwartete Hassrede erarbeitet.

Dabei wurden die Direktorin Machet und ihre Mitstreitenden vom Schweizer Projekt «Stop Hate Speech» unterstützt. «Viele stehen bereit, um mit positiven Kommentaren zu reagieren», sagt Machet, «Und wir sichern, melden und dokumentieren die Hassrede.»

Die Problematik der Online-Hassrede bewegt 2025 viele. Mitte Januar hat Mark Zuckerberg, kurz bevor US-Präsident Donald Trump sein Amt antrat, viele fassungslos gemacht mit der überraschenden Ankündigung, dass Facebook und Instagram künftig die Redefreiheit höher gewichten – und deshalb auch einen laxeren Umgang mit Hassrede pflegen wollen. Statt professionelle Moderation sollen Freiwillige potenziell schädliche Inhalte benennen und kommentieren.

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Welche Folgen das für die Nutzung und den Umgang mit Sozialen Medien hat, ist momentan schwer abzusehen. Doch viele stellen sich nun die Frage: Wird es im Internet jetzt noch ungemütlicher als bisher?

1% verantwortlich für fast zwei Drittel der Hassrede

Grosse Plattformen wie Tiktok, Facebook und Instagram dominieren die digitale Welt. Und trotzdem könnte der momentan aussichtsreichste Ansatz gegen Hassrede anzugehen im Kleinen liegen: In Netzwerken und Messenger-Gruppen, in denen sich Unterstützende versammeln, um auf Hassrede zu reagieren – mit Gegenrede, dem sogenanntem Counterspeech.

Gemäss dem Schweizer Projekt «Stop Hate Speech» sind etwa 1% aller Online-Accounts für 65% der Hassrede im Internet verantwortlich. Die Zahl birgt auch eine Hoffnung. Dies ist spürbar an Workshops von «Stop Hate Speech»: Wenn es wenige Menschen sind, die sich zum hasserfüllten Lautsprecher erheben, braucht es nur Wenige, die dagegenhalten. Dagegenhalten heisst aber nicht selbst mit Aggression zu reagieren, sondern vielmehr die Hassrede als solche zu benennen.

Sophie Achermann
Sophie Achermann ist die Gründerin von «Stop Hate Speech». Mit dem Projekt und der Public Discourse Foundation setzt sich Achermann für Forschung zu Hassrede ein, unterstützt Betroffene und vermittelt Strategien. Yoshiko Kusano

Sophie Achermann ist die Gründerin von «Stop Hate Speech». 2015 organisierte sie als Jugenddelegierte für die Schweiz bei der UNO in New York einen Workshop zu Sexismus im Internet. «Das war noch vor der Metoo-Bewegung», erinnert sich Achermann. «Der Raum war voll, das Interesse am Problem gross. Wir hatten damals Gefühl, der Zeit voraus zu sein.» Manche hätten die Problematik kleingeredet, in dem sie Betroffenen von digitaler Gewalt rieten, die Kommentarschreibenden nicht ernst zu nehmen oder das Handy auszuschalten. Das sei in der heutigen digitalen Arbeitswelt undenkbar.

Strafrecht und Content-Moderation

Seither habe sich viel verändert – auch Ansätze für Lösungen seien verunmöglicht worden. Die Anfangsidee war, mit einem Algorithmus die Sozialen Netzwerke nach Hassrede zu durchsuchen. Doch seit sich 2017, nach der ersten Trump-Wahl, die Negativschlagzeilen über die Rolle von Facebook häuften, ist das nicht mehr möglich. Heute sind die grossen Sozialen Medien nicht mehr frei durchsuchbar.

Manche Hassrede ist strafrechtlich relevant. Etwa in Form von persönlicher Verleumdung oder in Ländern der Europäischen Union unter dem Digital Services Act. Aber Achermann ist überzeugt, dass das Strafrecht alleine die Hassrede-Problematik nicht ausmerzt.

Ähnlich steht es bereits in der ersten Studie von «Stop Hate Speech» und der ETH ZürichExterner Link im Jahr 2021: Zwar sei die «Zunahme von Online-Hassrede begleitet von Anstrengungen gewesen, sie zu reduzieren», doch die «Content-Moderation von Regierungen und Social Media-Konzernen» könne auch wertvolle Aussagen unterdrücken – und Hassrede eher «zerstreuen, als sie zu reduzieren». Vermehrt hätten sich «internationale Organisationen und zivilgesellschaftliche Organisationen (…) Counterspeech als Strategie zugewandt, um Hassrede zu begegnen».

Dies galt bereits 2021. Seither haben die Machtkonzentration und die Verbindungen zwischen autoritären Regierungen und Konzernen zugenommen. Der X/Twitter-Besitzer Elon Musk bezeichnet sich als Fan von Indiens Präsident Narendra Modi, dem selbst von politischen Gegnern und Beobachtenden antimuslimische Hassrede vorgeworfenExterner Link wird. Content-Moderation in Modis Indien, wo zusätzlich die PressefreiheitExterner Link darbt, könnte zu einem repressiven Instrument werden.

«Empathie-Behandlung» zeigt Wirkung

«Empathy-based counterspeech can reduce racist hate speech in a social media field experiment» ist der Titel jener Untersuchung der ETH von 2021. Über 30’000 Mal ist die öffentlich verfügbare Studie bereits gelesen worden – für ein wissenschaftliche Veröffentlichung ein Publikumsrenner. Wissenschaftler:innen haben über 1000 englischsprachige Twitter-Profile observiert, die menschlich wirkten und Tweets mit Hassrede verfassten.

Ein Teil diente als Kontrollgruppe. Auf die Tweets der anderen Accounts reagierten dann von Wissenschaftler:innen erstellte Accounts mit einem neutralen, unpolitischen Profil – mit Humor, dem Hinweis auf Konsequenzen oder einem Appell an die Empathie.

Im Feldexperiment zeigte sich: Lustige Memes mit Tieren hatten keinen Effekt. Das Erinnern daran, dass dieser Tweet für alle öffentlich sichtbar ist, etwa für Familie und Arbeitgeber, hatte keinen Effekt. Doch Reaktionen, die mit Empathie arbeiteten, zeigten einen Effekt. Zum Beispiel: «Für Afro-Amerikaner:innen ist es wirklich verletzend zu sehen, dass Leute solche Sprache verwenden.»

Die Effekte seien «konsistent, wenn auch relativ gering». Diejenigen, die die «Empathie-Behandlung» bekamen, verschickten weniger fremdenfeindliche Tweets, haben überhaupt weniger gepostet und es war wahrscheinlicher, dass sie die ursprüngliche Hassrede löschten.

Gegner:innen von Content-Moderation für Counterspeech

Das Institut «The Future of Free Speech» an der Vanderbildt Universität in Tennessee empfiehlt diese Counterspeech-Studie der ETH Zürich in ihrem Counterspeech-ToolkitExterner Link

Interessanterweise befürworten auch grundsätzliche Kritiker:innen von Content-Moderation, die die Redefreiheit sehr hoch gewichten, Counterspeech-Strategien. Jacob Mchangama und Natalie Alkiviadou von diesem Institut schilderten 2023 in einem Sammelband zu CounterspeechExterner Link, dass «zensierende Content-Moderation» oft Dissident:innen in Syrien und Afghanistan geschadet habe, die sich gegen offizielle Propaganda wehrten.

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Gemäss Mchangama und Alkiviadou habe Youtube mit automatisierter Content-Moderation Tausende Videos gelöscht, mit denen syrische Oppositionelle den Bürgerkrieg dokumentierten. Wenn die EU wolle, dass «online illegal ist, was offline illegal ist», gerate das zum Schaden von queeren Menschen in Ungarn – wo es ein anti-LGBT-Gesetz gibt – oder Religionskritischen in Spanien – wo Blasphemie strafbar ist.

Counterspeech ist für Mchangama und Alkiviadou der einzige Ansatz, um Hass im Internet entgegenzutreten.

30’000 Kommentare in einem Monat

Sophie Achermann, «Stop Hate Speech» – und die daraus hervorgegangene Public Discourse Foundation – arbeiten heute mit grossen Schweizer Medien zusammen, deren Online-Kommentare sie wissenschaftlich begleiten und analysieren. Einmal sei ihnen ein Account begegnet, der in einem Monat 30’000 Kommentare gepostet hat. «Wir haben alle geglaubt, das sei kein Mensch», erinnert sich Achermann, «Doch es war ein Mensch.»

Ihre Erfahrungen aus diesen Analysen tragen Achermann und ihr Team dann zu potenziell Betroffenen wie der Genfer Gleichstellungsorganisation. In der Hoffnung auf eine Sogwirkung. «Wir wollen Leute motivieren, die selbst keine Politiker:innen mit 100’000 Followern sind», sagt Achermann.

«Um das 1% zu übertönen, das für 65% des Hate Speech verantwortlich ist, brauchen wir nicht so viele Leute», zeigt sie sich überzeugt.

Betroffene sollten kein Counterspeech machen

Zur Arbeit von «Stop Hate Speech» gehört es auch, Betroffenen zu vermitteln, wie sie die negativen Auswirkungen von Hassrede minimieren. Diejenigen, die mit Counterspeech auf die Hassrede reagieren, sollten davon nicht betroffen sein. Denn für Betroffene ist die psychische Belastung unverhältnismässig, sich der Hassrede und ihren Urhebern auszusetzen.

Caspar Weimann
Caspar Weimann koordiniert Chatgruppen, in denen sich Kulturschaffende versammeln, die auf Hassrede reagieren. Luzia Oppermann

Inspiriert von «Stop Hate Speech» koordiniert Caspar Weimann von Norddeutschland aus Chatgruppen mit Leuten, die auf Hassrede reagieren. «Wenn jemand einen Link postet, wo es Counterspeech braucht, haben wir eine breite Masse von Kunst- und Kulturschaffenden, die die Kommentarspalten mitgestalten», so Weimann. Das Netzwerk wächst mit den Seminaren, die Weimann zusammen mit anderen für Kunst- und Kulturschaffende anbietet.

«Ich reagiere auf frauenfeindliche Hassrede», sagt Weimann, «Aber wenn es transphob wird, poste ich es in die Gruppe – und bitte andere, darauf zu reagieren.» Weimann trägt beim Interview einen Hut mit der Aufschrift «God is trans».

Gigantische Konzerne und Räume des Miteinanders

Unlängst war Weimann beteiligt an einem Performanceprojekt auf Tiktok, wo Videos im Stil von Männlichkeitscoachs jene jungen Männer erreichen sollten, die in Gefahr laufen, sich frauenfeindlich zu radikalisieren. Die Videos, die für Verletzlichkeit und Gefühle eintreten, wurden millionenfach aufgerufen und tausendfachExterner Link geteilt. Weimann ist es ein Anliegen, dass Künstler:innen diese Plattformen nicht verlassen, sondern sie besetzen und nutzen.

Hinter den Sozialen Medien stehen, so Weimann, «gigantische Konzerne, die unglaublich gefährlich sein können», aber zugleich seien es «Räume unseres gesellschaftlichen Miteinanders, wo unsere Demokratie ausgehandelt wird».

Auf die Frage, wie viele Menschen denn in den Counterspeech-Chatgruppen versammelt sind, sagt Weimann: «Mal gucken.» und kramt das Smartphone hervor. «250 bei Whatsapp und 95 sind es bei Signal.» So wenige Menschen braucht es, um mit Counterspeech einen Unterschied zu machen.

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Editiert von Mark Livingston

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