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«Italien sollte sich von der direkten Demokratie der Schweiz inspirieren lassen»

Die direkte Demokratie gibt allen Bürgerinnen und Bürgern starke Instrumente in die Hand, ganz unabhängig vom Alter, sagt der 27-jährige Davide Wüthrich, Auslandschweizer in Italien. zvg

Davide Wüthrich, der bis vor kurzem in Italien lebte, gehört zu den Promotoren des Auslandschweizer Jugendparlaments. Der Doktorand in Ingenieurwissenschaften schätzt die direkte Demokratie der Schweiz. Doch er kritisiert die seiner Meinung nach zu tiefen Hürden für Volksinitiativen. 

Davide Wüthrich: Ich bin 27 Jahre alt und in Turin aufgewachsen. Ich war stets am Ausland interessiert. So verbrachte ich ein Gymnasialjahr in den USA. Dort lernte ich eine neue gesellschaftliche Realität kennen und schätzen. Das war ganz anders als zu Hause. Ich habe mich immer für Naturwissenschaften und Architektur interessiert. Nach meiner Rückkehr nach Italien schrieb ich mich in die Fakultät für Ingenieurwissenschaften am Polytechnikum von Turin ein. Dort habe ich 2010 meinen Abschluss gemacht. Meine Schweizer Wurzeln haben dazu geführt, dass ich Italien verlassen und mich in Lausanne niedergelassen habe, um einen Master in Wasserwirtschaft an der Eidgenössischen Technischen Hochschule von Lausanne (ETHL) zu absolvieren. Nach einem Auslandsjahr in Australien kehrte ich nach Lausanne zurück. Die Schönheit dieser Region am Genfer See und die hohe Lebensqualität haben mich zu diesem Schritt bewogen. Nun arbeite ich an einer Doktorarbeit, in der ich mich mit dem Aufprall von Wellen auf Festkörper beschäftige. In meiner Freizeit treibe ich viel Sport, zum Beispiel Tennis, und gehe mit Freunden aus. Ich reise zudem ausgesprochen gerne, um neue Orte zu entdecken. Die Leidenschaft zum Reisen habe ich schon in jungen Jahren von meinen Eltern geerbt. Ich lebe in der Schweiz und habe so dieses wunderschöne Land kennen und schätzen gelernt. Wenn ich könnte, würde ich nur einige Kleinigkeiten ändern: Einige Grad Celsius mehr im Winter, etwas weniger Nebel im Frühjahr und – warum nicht – ein Zugang zum Meer. swissinfo.ch

swissinfo.ch: Welche Ziele wollen Sie als Mitglied des Auslandschweizer Jugendparlaments erreichen, in der Schweiz und in ihrem Heimatland?

Davide Wüthrich: Ich fände es toll, wenn es gelänge, eine neue Plattform zu entwickeln, über die sich junge Auslandschweizer vernetzen könnten. Diese Plattform sollte von jungen Menschen für junge Menschen entwickelt werden, indem man sich auf soziale Netzwerke meiner Generation abstützt, das heisst Facebook, Instagram und Twitter.

Innerhalb dieser Community würde ich gerne an Diskussionen teilnehmen. Thematisch könnte es sich um die Lebensgeschichten von Teilnehmenden handeln, aber auch um tagesaktuelle Themen. Es wäre schön, wenn diese Community eine erste Adresse wird, um Meinungen zu äussern und auszutauschen, und auf Bedürfnisse der jungen Leute von heute einzugehen. Von den Institutionen wird diese Zielgruppe häufig vergessen.

Es wäre auch schön, gemeinsame Events zu organisieren, um sich kennenlernen, austauschen und Zeit miteinander verbringen zu können. Es könnten dauerhafte Freundschaften entstehen. Und man würde sich eventuell nach ein paar Jahren an einem anderen Flecken der Erde wieder sehen, um ein Bier miteinander zu trinken.

Es ist sehr wichtig, dass wir Jungen uns als integralen Bestandteil dieser neuen Community sehen können, dass jeder gemäss seinen Fähigkeiten teilhaben kann. Wir – die jungen Auslandschweizer – sind viele, aber wir sind über die ganze Welt zerstreut. Jeder lebt ein anderes Leben, und doch sind wir alle Schweizer, auch wenn wir häufig diese Wurzeln vergessen. Denn sie gehen in den Sitten und Gewohnheiten der Länder unter, in denen wir leben.

swissinfo.ch: Wie steht es um die direkte Demokratie in ihrem Heimatland? Schätzen Sie manche Dinge am Schweizer System besonders?

D.W.: Ich habe in der Schweiz und in Italien gelebt. Dies erlaubt mir, beide politischen Systeme gut zu kennen. Obwohl die Länder Nachbarn sind, repräsentieren sie zwei vollkommen unterschiedliche Modelle in Bezug auf die direkte Demokratie.

Im Alter von 18 Jahren habe ich begonnen, von meinem Stimm- und Wahlrecht in beiden Ländern Gebrauch zu machen. Da habe ich schnell gemerkt, dass man in der Schweiz häufig abstimmt, vielleicht sogar zu häufig. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Meinung mehr gilt als in Italien.

In Italien wird das Parlament alle fünf Jahre gewählt. Und zwischen diesen Wahlen kommt es äusserst selten vor, dass sich die Stimmbürger an der Urne äussern müssen, von einer Beteiligung an den Gesetzgebungsprozessen ganz zu schweigen. In der Schweiz gibt es in der Regel vier eidgenössische Volksabstimmungen pro Jahr, die Bevölkerung ist in die Arbeit des Parlaments konstant einbezogen, weil immer ein Volksverdikt im Hintergrund steht.

Persönlich bin ich der Meinung, dass die direkte Demokratie der Schweiz ein sehr schöne Sache ist, von der sich Italien inspirieren lassen sollte. Die relativ tiefen Hürden zum Zustandekommen von Referenden und Volksinitiativen können allerdings zu Abstimmungen über eher nebensächliche Themen führen. Das kann die Öffentlichkeit von wesentlich wichtigeren Themen ablenken.

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swissinfo.ch: In den meisten Ländern liegt die Stimm- und Wahlbeteiligung bei jungen Wählern sehr tief. Könnten die Instrumente der direkten Demokratie ein ideales Mittel für junge Menschen sein, eine Politik zu gestalten, die ihren eigenen Bedürfnissen gerecht wird?

D.W.: Ich bin einverstanden, dass wir Jungen die Instrumente der direkten Demokratie wie Volksinitiativen mehr nutzen müssten, um unsere Stimme zu erheben. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass sich junge Menschen wenig für Politik interessieren. Das ist so in vielen Ländern der Welt, nicht nur in der Schweiz. Wenn jemand nicht abstimmen geht, bedeutet das nicht, dass er keine Meinung hat, sondern es bedeutet eher, dass er der Problematik keine besondere Wichtigkeit einräumt. Sehr häufig entfernen sich junge Menschen vom politischen Leben, weil sie sich in den Institutionen nicht wiedererkennen.

Eine Plattform für junge Auslandschweizer

Das Auslandschweizer Jugendparlament (ASJP) steckt noch in den Anfängen. Es wurde erst vor wenigen Monaten ins Leben gerufen. Als Plattform für die Arbeit dieses Parlaments dient das Internet. Die Debatten und der Meinungsaustausch zwischen den 350 Mitgliedern erfolgen über soziale Medien und Skype.

swissinfo.ch hat mit 11 jungen Auslandschweizern gesprochen, die in den Vorstand gewählt wurden. Dabei interessiert insbesondere ihr Verhältnis zur direkten Demokratie in der Schweiz im Vergleich zu den jeweiligen Herkunftsländern.

Die direkte Demokratie gibt allen Bürgerinnen und Bürgern starke Instrumente in die Hand, ganz unabhängig vom Alter. Wir Jungen haben aber ein zusätzliches Problem. Wir müssen dafür sorgen, dass wir von den Erwachsenen und den Institutionen ernst genommen werden.

Sehr häufig verfügen Jugendgruppen über geringe Budgets, die ihre Aktivitäten und Projekte einschränken. Sie fühlen sich dann schnell ohnmächtig. Wenn die Jungen besser in politische Entscheidungsprozess integriert würden, könnte dies sicherlich das Interesse an Politik wecken und eine aktive Teilnahme fördern. Das Jugendparlament hat eine solche Richtung eingeschlagen.

swissinfo.ch: Der Terror durch den so genannten Islamischen Staat bestimmt seit den Attentaten von Paris die öffentliche Debatte. Die Bevölkerung ist verunsichert und besorgt. Stellt Ihrer Meinung nach der Kampf gegen den Islamismus, durch den individuelle Rechte beschnitten werden können, eine Gefahr für die Demokratie dar?

D.W.: Mit Sicherheit hat eine Aufrüstung staatlicher Kontrolle zur Bekämpfung islamistischer Extremisten, wie wir sie nun in Frankreich und in den USA erleben, eine Beschneidung von individuellen Rechten zur Folge. Doch das bedeutet nicht, dass sich die Bevölkerung im Rahmen einer direkten Demokratie nicht mehr zu Wort melden kann.

Meiner Meinung nach muss man aber auch berücksichtigen, dass wir in einer hochkomplexen Welt mit internationalen Verflechtungen leben. In dieser Situation kann es manchmal vielleicht kontraproduktiv sein, die Bevölkerung in Sachfragen einzubeziehen, die sehr schwer zu verstehen sind.

Eine schärfere Kontrolle von Internet und sozialen Netzwerken schadet im Übrigen nur denen, die etwas zu verbergen haben. Wer Legales tut, hat nichts zu befürchten.  

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