Startjahr geglückt für Schweizer Forschungsportal
"Geschichte der Gegenwart", "Batz.ch", "Avenue.jetzt" oder "DeFacto": Mit eigenen Online-Plattformen wollen sich Schweizer Forscherinnen und Forscher stärker in öffentliche Debatten einmischen. Mit Beiträgen, die auch Nicht-Akademiker verstehen sollen. Der Start ist gelungen, wie der Blick von #DearDemocracy auf "DeFacto" zeigt.
Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.
«DeFacto belegt, was andere meinen»: Mit diesem kecken wie griffigen Claim trat vor gut einem Jahr die Forschungsplattform der Schweizer Politik- und SozialwissenschaftenExterner Link an die politische Öffentlichkeit. Ihr Anspruch: Politikforschung einem breiteren Publikum zugänglich machen.
«Die entzauberte Schweizer DemokratieExterner Link«; «Initiativenflut? – Immer mehr Politiker in InitiativkomiteesExterner Link«; «E-Voting: Breite Unterstützung trotz SicherheitsbedenkenExterner Link«; «Geschenke verteilen nach Teilnahme an Gemeindeversammlung? Keine gute Idee!Externer Link«; «Sind Gemeindeversammlungen noch zeitgemäss?Externer Link«; «Muslime in Europa – eine Minderheit, die die Demokratie zu schätzen weissExterner Link«: Dies eine kleine Auswahl von Artikeln, wie sie seit gut einem Jahr auf DeFacto erscheinen.
Die Titelauswahl signalisiert: Verständliches Deutsch und journalistische Zuspitzung statt Englisch basiertes Fachchinesisch und langatmige Relativierungen, lautet die Devise. Und das Ganze im Format eines überschaubaren Zeitungsartikels.
«Unser Start war erfolgreich, wir sind gut verankert», zieht Sarah Bütikofer, Gründerin und Mitglied der vierköpfigen RedaktionExterner Link, eine positive erste Jahresbilanz.
Als Zielpublikum von DeFacto nennt die Politikwissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin so genannte Gatekeeper. Gemeint sind insbesondere Medienschaffende. «Wir wollen Forschungsresultate für alle zugänglich machen. Das funktioniert natürlich viel besser, wenn etablierte Medien ein Thema aufnehmen und richtig publikumsgerecht aufbereiten», sagt Bütikofer.
«DeFacto – Belegt, was andere meinen»
Start im Oktober 2015.
Ziel: «Resultate der universitären Forschung sowie Expertenwissen aus der Politik- und verwandten Sozialwissenschaften einem interessierten Publikum näherbringen.»
Im ersten Jahr sind 140 Artikel erschienen, grossmehrheitlich auf Deutsch, einige auch auf Französisch und Italienisch.
Ziel für 2017: Stammleserschaft und Reichweite vergrössern.
Redaktion: Sarah Bütikofer, (Gründerin; Politikwissenschaftlerin/Wissenschaftsjournalistin), Georg Lutz und Fabrizio Gilardilehren als Professoren an den Universitäten Lausanne und Zürich, denen DeFacto angegliedert ist.
Die Qualität der Publikationen sichert ein Editorial Board, dem Vertreter der führenden Institute für Politikwissenschaften an Schweizer Universitäten und Hochschulen angehören.
Der Schweizerische Nationalfonds für wissenschaftliche Forschung (SNF) leistet eine zweijährige Anschubfinanzierung von gut 180’000.- Franken.
Als künftige Trägerin käme die Schweizerische Vereinigung für Politikwissenschaften (SVPW) in Frage. Ihr gehören rund 600 Forschende an, die grösstenteils von den rund 12 Fachinstituten in der ganzen Schweiz stammen.
Zielpublikum sind ferner all jene, die sich beruflich mit Politik und deren Analyse auseinandersetzen. Neben Politikern nennt sie Akteure aus Verwaltung, Behörden und Verbänden. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Branche inklusive der Politik-nahen Sozialwissenschaften.
Die Rechnung geht auf. Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger, Die Welt (Deutschland), Newsnet, Weltwoche, Schweizer Radio SRF oder die Schweizerische Depeschenagentur (SDA): Sie alle haben DeFacto-Inhalte übernommen. Entweder ganz oder als Ausgangspunkt einer eigenen Vertiefung.
Auch #DearDemocracy, die Plattform von swissinfo.ch zur direkten Demokratie, übernimmt DeFacto-Beiträge. Insbesondere aus den Bereichen Volksrechte, Versammlungs- und Lokaldemokratie sowie zum Milizsystem.
Zum DeFacto-Konzept gehört, dass die Autoren in einer Infobox die Methode erklären, die sie zu den präsentierten Resultaten geführt hat.
Bütikofer ist aber auch der Aspekt der Nachwuchsförderung wichtig: Junge, die am Anfang ihrer Karriere stehen, erhalten mit DeFacto eine Plattform zur Präsentation ihrer Forschungsresultate.
Überfällig
Für Claude Longchamp, einer der führenden Politikforscher der Schweiz, liegt das Bemerkenswerteste darin, «dass es DeFacto überhaupt gibt». Ökonomen hätten diese Form der Experten-Kommunikation mit der «Ökonomenstimme»Externer Link schon längst entdeckt. Nun hätten Politologen und auch Historiker (letztere mit der eingangs erwähnten Plattform «Geschichte in der Gegewart»,Externer Link die Red.) nachgezogen.
Am meisten schätzt der Gründer und ehemalige Leiter des Forschungsinstitutes gfs.bern die Berichte über aktuelle Forschungsprojekte und –ergebnisse, die das DeFacto-Kerngeschäft ausmachen.
Zusätzlich könnte sich Longchamp vorstellen, dass die Seite auch «gut gemachte Essays zu aufkommenden Themen» anbiete, was aber sehr erfahrene Forscherinnen und Forscher voraussetze.
Mit Verständlichkeit als zentralem Anspruch markiert DeFacto für ihn einen kleinen Kulturwandel. «Relevant wird nur, was rechtzeitig eingespiesen und medial verstanden wird», sagt er.
Der Start von DeFacto war auf die Schweizer Parlamentswahlen von Ende Oktober 2015 abgestimmt. «Dadurch war die Medienpräsenz sofort hoch. Heute nimmt man DeFacto wahr, wenn auch nicht überall gleich stark. Damit ist die Plattform Teil der Meinungsbildung geworden.»
Persönliche Netzwerke wichtiger als Medien
Hingegen bezweifelt Longchamp, dass DeFacto Entscheidungsprozesse zu beeinflussen vermag. «Da müsste man sich stärker in Richtung Think Tank und Lobbying bewegen, wie das etwa forausExterner Link im Bereich der Aussenpolitik vormacht.»
Die Ausrichtung auf die Medien sei bei DeFacto sicher das A, so Longchamp. «Aber bis zum O ist es noch ein weiter Weg.» Denn er hält nicht die Medien für die Haupttreiber für eine grössere Relevanz von Forschung in der Öffentlichkeit. Für wichtiger hält Longchamp die persönlichen Netzwerke in Politik und Wirtschaft sowie Kommunikation. «Die ehemaligen Studienkollegen, die nicht mehr in der Forschung sind, gehören doch immer noch zu den interessiertesten und kompetentesten potenziellen Nutzerinnen und Nutzer», ist er überzeugt.
Konkret müssten die Politikwissenschaftler ihre Drähte in die Wirtschaft und Verwaltung verstärken. «Die Vertreterinnen und Vertreter der Sparte internationale Beziehungen und der Verwaltungswissenschaften sind in diesem Punkt sicher weiter.»
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