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Demokratie braucht die Vielfalt des Volks

A racially mixed group of young people in the streets
Experten warnen, für eine funktionierende Demokratie sei es wichtig, die Menschen nicht als uniformen Block, sondern als eine Vielfalt von Ansichten und Meinungen zu betrachten. Martin Parr / Magnum Photos

Was Demokratie angeht, ist er auf dem neusten Stand: Daniel Kübler, Leiter des Schweizerischen Forschungsprogramms NCCR Democracy. Nach über zwölf Jahren und 50 realisierten Projekten endet dieses im September 2017. Obwohl die Populisten marschieren, bleibt der Politikwissenschaftler optimistisch.

Es ist vor allem der Zulauf der populistisch-autoritären Führerfiguren, der den Verfechtern der demokratischen Regierungsform Sorgen bereitet. Auch Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaften an der Universität ZürichExterner Link und Direktionsmitglied des Zentrums für Demokratie AarauExterner Link (ZDA), beschäftigt deren Aufschwung.

Im grossangelegten, interdisziplinären Forschungsschwerpunkt «Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert», dessen Leitung er vor fünf Jahren von Hanspeter Kriesi übernommen hat, nahmen Kübler und seine Teams neben dem Populismus auch die Globalisierung und die Rolle der Medien unter die Lupe.

swissinfo.ch: Sind Sie sehr beunruhigt über den Zustand der Demokratien auf der Welt?

Daniel Kübler: Ich sorge mich um die Demokratien in der westlichen Welt. Vor weniger als 30 Jahren, als wir uns nach dem Fall der Berliner Mauer auf der Höhe der dritten Demokratisierungswelle befanden, war die vorherrschende Meinung, dies sei der Triumph der westlichen liberalen Demokratie. Einige Akademiker erklärten es sogar zum «Ende der Geschichte».

Drei Dekaden später stellt der Präsident der USA – der ältesten liberalen Demokratie der Welt – offen einige Regeln der amerikanischen liberalen Demokratie in Frage, etwa die Gewaltenteilung. Die Wahl Donald Trumps ist an sich keine Überraschung, sondern eine Kombination von Trends, die auch in anderen etablierten Demokratien beobachtet werden.

Profile Daniel Kübler
Kübler war in den letzten fünf Jahren Direktor des Forschungsprojekts NCCR Democracy. swissinfo.ch

Nehmen wir Frankreich: Nie in der Geschichte war eine derart autoritäre und populistische Kandidatin [Marine Le Pen] so nah dran, die Präsidentschaft zu gewinnen. Dasselbe gilt für Österreich, wo der rechtspopulistische Kandidat [Norbert Hofer] nur knapp unterlegen ist. Populisten sind in Polen und Ungarn an der Macht, wo sie einige der wichtigsten Prinzipien des Rechtsstaats auseinandernehmen.

swissinfo.ch: Wie sieht die Situation ausserhalb Europas aus?

D.K.: Da gibt es weniger Anlass zur Sorge, wenn man sich die schiere Anzahl an Demokratien weltweit vor Augen führt. Diese Idee hat sich weit verbreitet. Zumindest, wenn wir Demokratie als politisches System definieren, in dem die wichtigsten Regierungsbehörden in Kampfwahlen auf Grundlage des allgemeinen Wahlrechts besetzt werden.

Das politische Ideal der Demokratie geniesst sogar Unterstützung unter Menschen in China, trotz der zunehmend harten Repression durch das Regime in Peking.

swissinfo.ch: Wie gross ist die Bedrohung der Demokratie durch Populismus, der wie erwähnt in Frankreich und anderen westlichen Ländern zu einem Schlüsselfaktor geworden ist?

D.K.: Populismus besteht aus drei Elementen, wie die Forschung herausgefunden hat. Erstens das Kritisieren der Elite; zweitens eine romantische Vorstellung der Menschen als grundsätzlich gut.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

Diese beiden Faktoren allein sind keine Gefahr für die Demokratie, denn Kritik an der Führung muss in einem demokratischen System möglich sein. Es ist nichts falsch daran, den Leuten ein Mitspracherecht dabei zu geben, wie ihr Land regiert werden soll.

Was für die Demokratie aber gefährlich ist, ist das dritte Element, das «Blockdenken»: die Einteilung der Gesellschaft in das Volk und die Elite. Mit einer solchen Haltung würde man die unterschiedlichen Meinungen innerhalb dieser Gruppen völlig ignorieren.

Populisten wollen Minderheitspositionen ausschliessen, indem sie sagen, diese seien nicht ein Teil «des Volks». Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie Populisten Einwanderer als nicht zum «Volk» gehörend betrachten.

Doch es gibt nie einen homogenen Block von Menschen, die alle das Gleiche wollen. «Die Idee ‹des Volks› ist eine Fiktion», wie Andreas Auer, Gründungsdirektor des Zentrums für Demokratie Aarau, treffend sagte.

Es gibt immer eine Vielzahl an Ideen, und die Menschen äussern sich an der Urne unterschiedlich. Das Resultat sind Mehrheitsbeschlüsse.

Die gleiche falsche Einigkeit wird der Elite zugeschrieben. All ihre Mitglieder sind korrupt, abgehoben und leben in einem Elfenbeinturm, wenn man den Populisten glauben soll.

swissinfo.ch: Wie kann die Ausbreitung des Blockdenkens gestoppt werden?

D.K.: Bis heute gibt es keine wissenschaftliche Antwort darauf. Die Forschung sollte die Art und Weise betrachten, wie Populisten regieren und diese mit typischen nichtpopulistischen Regierungen vergleichen.

Für unser zwölfjähriges Projekt über DemokratieExterner Link gab es schlicht keine empirischen Fallstudien über populistische Regierungen. Solche sind eben erst entstanden und können nun in Echtzeit zum Beispiel in den USA, in Polen und Ungarn beobachtet werden.

Eine mögliche Absicherung gegen Populismus könnte sein, dass man die liberalen demokratischen Institutionen verstärkt und sicherstellt, dass sich eine pluralistische Gesellschaft ausdrücken kann und ihre Ideen in die politische Debatte einfliessen.

NCCR Democracy

Das multidisziplinäre Forschungsprojekt über die Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert wird im September abgeschlossen.

Über 50 Forschungsteams an 16 Institutionen fokussierten sich auf die Globalisierung und auf den zunehmenden Einfluss der Medien auf die Politik.

Das Projekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit einem Budget von 44 Mio. Fr. wurde durch die Politologen Hanspeter Kriesi (European University Institute Florenz, Italien) und Daniel Kübler (Universität Zürich) geleitet.

Die Hauptergebnisse des Projekts wurden Mitte Juni an einer internationalen dreitägigen Konferenz in ZürichExterner Link präsentiert.

swissinfo.ch: Wurden Sie je von einer politischen Partei oder Organisation angefragt, wie gegen Populismus vorgegangen werden könnte?

D.K.: Nie, und ich könnte auch nicht wirklich helfen. Ausserdem liegen Populisten nicht per Definition falsch. Sie wurden von den Wahlberechtigten in ihren Ländern gewählt, wie die letzten Beispiele in der westlichen Welt zeigen. Sie haben sich an die Regeln gehalten und legitime politische Forderungen gestellt, die das Wahlvolk ansprachen.

Das Problem ist, wie Populisten diese Forderungen artikulieren und was sie tun, wenn sie einmal an der Macht sind. Sicherungen sind nötig, um zu verhindern, dass die Demokratie nicht irreparabel geschädigt wird.

Das Beispiel der USA zeigt, dass ein fundamentaler Grundsatz die Aufteilung der Gewalten zwischen der Exekutive, der Legislative und den Gerichten ist. Es braucht ein System der Gewaltenteilung, um politische Angriffe auf die Meinungsvielfalt einzuschränken.

In den USA scheinen die Gerichte Präsident Trumps Anti-Immigrations-Politik vorerst gestoppt zu haben [Das Interview wurde Mitte Juni geführt; unterdessen wurde in den USA ein abgeschwächtes Einreiseverbot in Kraft gesetzt. Die Red.], während die Europäische Union damit kämpft, dass Ungarn und Polen die Gewaltenteilung einhalten.

Hierzulande war ich sehr erfreut, zu sehen, wie die Prinzipien der Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit im Zentrum der breiten öffentlichen Debatte standen, als es letztes Jahr um die nationale Abstimmung über eine strikte Anwendung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungs-Initiative) ging.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen die fundamentalen Werte der Demokratie gegen die Bedrohung der Populisten verteidigen, und jüngste Beispiele in Frankreich oder den Niederlanden sind optimistische Signale.

swissinfo.ch: Sind Sie optimistisch, was die Zukunft der Demokratien angeht?

D.K.: Ich sehe das Glas eher halb voll als halb leer. Es ist klar, dass die Gewaltenteilung nicht einfach automatisch in Kraft tritt. Die Menschen müssen diese Mechanismen in Gang setzen. Im Fall des Einreiseverbots für Muslime in die USA scheint es zu funktionieren. Das ist ermutigend.

Andererseits gibt es Fälle, wo die Situation anders aussieht, wie in Ungarn und Polen, was mir Sorgen macht.


(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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