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Der längste Tunnel der Welt steht

Geschafft!!! Keystone

Um genau 14.17 Uhr hat die Tunnelbohrmaschine Sissi am Freitag den Durschlag geschafft. Beobachtet von 200 geladenen Gästen und Medienvertretern, vor Mineuren und Ingenieuren wurde der Gotthard-Basistunnel durchstochen.

Plötzlich ging alles ganz schnell: Die Tunnelbrust brach ein, Sissi brach durch. Die Freude im Tunnel ist gross. Ein überwältigter Bundesrat Moritz Leuenberger sagte am Schweizer Fernsehen, er hätte nicht gedacht, «dass, wenn ein Berg zusammenstürzt, mir das Augenwasser kommt».

In einer Liveschaltung zu den EU-Verkehrsministern, die den Durchbruch via Fernsehen mitverfolgten, dankte Leuenberger für ihre «warmen und herzlichen Worte». Er sagte auch ihnen, dass ihm die Tränen gekommen seien, weil eine «jahrzehntelange Hoffnung und ein Traum der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger umgesetzt» worden sei.

Er hoffe nun, dass der Tunnel viele weitere Brüder erhalten werde und dass sie mit einer Lastwagen-Maut gefüttert werden.

Segnung des längsten Tunnels der Welt

Mit einer visuellen und akustischen Inszenierung hatten zuvor in Sedrun am Freitagnachmittag die Feierlichkeiten zum Gotthard-Durchschlag begonnen. Zwei Geistliche segneten den längsten Tunnel der Welt.

Die Geistlichen schritten den Tunnel ab und segneten auch die Mineure mit Weihwasser. Sie richteten anschliessend mehrere Fürsprachen an die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute.

Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik solle ein Segen für die Menschen sein, baten die Geistlichen. Zudem sollten Völker und Nationen mit dem Durchschlag am Gotthard-Basistunnel näher zueinander finden.

Vor der Segnung liess ein Musiker Jodelklänge durch den Tunnel schallen. Für die Inszenierung verantwortlich war der deutsche Theaterregisseur Volker Hesse. Die Gotthardsinfonie soll den Kampf des Menschen mit dem Gestein kunstvoll darstellen.

Mineure als Helden

Renzo Simoni, Chef der AlpTransit Gotthard AG, hat am Freitagnachmittag im Gotthard-Basistunnel seinen Helm vor den Mineuren gezogen. «Ich verneige mich vor ihnen und ihrer Leistung», sagte Simoni, «denn sie sind die Helden des Basistunnels und die Helden des heutigen Tages».

«Weisheit leite den Bau, Stärke führe ihn aus und Schönheit ziere ihn», zitierte Simoni ein Motto der Freimaurer. Leider sei es nicht allen vergönnt, den Festtag mitzubegehen, sagte Simoni.

Er erinnerte an die acht Menschen, die beim Bau des Gotthard-Basistunnel ihr Leben verloren hatten. Simoni rief die Namen und den Todestag der Verunglückten in Erinnerung, um ihnen zu gedenken.

Wann die Geschichte des Gotthard-Basistunnels begonnen habe, sei schwierig zu sagen. Er sei überzeugt, dass sie erfolgreich verlaufen werde, ergänzte Simoni. Die Abweichungsleistung im Tunnel betrage acht Zentimeter horizontal und einen Zentimeter vertikal.

Leuenbergers Rede vorher…

Unmittelbar vor dem grossen Moment, dem Durchschlag des Gotthard-Basistunnels, sprach ein sichtlich erfreuter Bundesrat Moritz Leuenberger zu Gästen, Arbeitern, zur Schutzheiligen Barbara und zur Tunnelbaumaschine Sissi.

«Liebe Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Liebe Mineure, Bauarbeiter, Vermesser und Ingenieure. Liebe Verkehrsminister aus der EU, zugeschaltet aus Luxemburg. Liebe Sissi. Liebe heilige Barbara», eröffnete er seine Rede an der Tunnelbrust, dem 1,5 Meter breiten Bergrest, der bald darauf durchschlagen werden sollte.

«Gestern wollten wir den Berg versetzen. Heute durchbohren wir ihn und schaffen den längsten Tunnel der Welt, zum Zeitpunkt, wie wir ihn planten, zu den Kosten, wie wir sie rechneten», sagte er.

Kein privates Unternehmen hätte dieses Risiko auf sich nehmen können. Nur eine politische Gemeinschaft sei dazu in der Lage. Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hätten den Mut zu diesem Tunnel an der Urne bezeugt.

«Der heutige Tag beweist, wie nachhaltig, wie konsequent, wie effizient unsere direkte Demokratie ist.» Wenn alle Betroffenen beteiligt, Kompromisse gesucht und gefunden, sich also auch Minderheiten in den Beschlüssen wieder erkennen, dann «kann die Demokratie Berge versetzen».

Bundesrat Leuenberger begrüsste im Tunnel auch die Zweifler, Kritiker und Mahner, ohne die die Kosten nicht minutiös berechnet und beaufsichtigt worden wären.

Hier, inmitten der Schweizer Alpen, entstehe eines der grössten Umweltprojekte des Kontinents. «Zweitausenddreihundert Meter über uns scheidet sich das Wasser, es fliesst entweder über den Po in das Mittelmeer oder über den Rhein in die Nordsee. Doch hier unten, inmitten von Tausenden Tonnen Gestein, öffnet sich in wenigen Minuten ein Tunnel, der die beiden Meere direkt miteinander verbindet.»

…und nachher

Nach dem Durchstich wandte sich Leuenberger mit den Worten «Liebe Mineure, Ingenieure und Planer, liebe Vermesser, Sprengmeister und Geologen, liebe alle, die Sie in Kantinen, Lastwagen, Bussen an diesem grossen Werk mitgearbeitet haben», auch an die Hauptakteure des Tages.

«Vor zwei Stunden, als Sissi 800 Meter unter uns die letzten Meter Gestein zwischen den beiden Tunnelröhren zermalmte, habe ich über Politik geredet. Darüber, wie die direkte Demokratie Berge versetzen kann.»

«Ich habe den Stimmbürgern gedankt. Aber die haben den Tunnel so wenig selber gebaut, wie der Verkehrsminister auch nicht. Ich habe den Zweiflern gedankt. Die haben mich zwar immer wieder mit kritischen Fragen gelöchert und gebohrt, aber die waren es nicht, die hier unten das Gestein durchbohrten», sagte Leuenberger.

«Ich habe unserem Parlament gedankt, das Beschlüsse geplant hat. Aber es waren nicht die Parlamentarier, welche die Vermessung vollbrachten. Da hätten wir, glaube ich, keine Garantie gehabt, dass die Teilabschnitte auf den Zentimeter genau aufeinander treffen.»

In Bern sei manche Mine gelegt worden. «Aber das waren nicht immer aufbauende Sprengarbeiten.» Es sei deshalb an der Zeit, über jene zu reden, die diesen Tunnel geschaffen haben.

«Jene, die fast 2300 Meter unter der Bergspitze bohrten, Steine schleppten, sich in Hitze und Staub Zentimeter um Zentimeter durch den Granit kämpften, aber auch über jene, die gerechnet, gemessen und die Zahlen immer und immer wieder geprüft haben, über jene, welche die Tonnen von Gestein weggefahren haben, und über all die helfenden Hände in den Kantinen und Unterkünften, die den Arbeitern das harte Leben etwas leichter gemacht haben.»

Sie alle hätten in den vergangenen Jahren Grossartiges vollbracht, ein Monument für die Ewigkeit geschaffen.

Lob von der EU

EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat am Freitag in Luxemburg die Realisierung des Gotthardbasistunnels als «extrem wichtig und bewundernswert» bezeichnet. Deutschland verwies darauf, dass bei den deutschen Anschlussstrecken an die Schweiz vorwärts gemacht werde.

«Den südlichsten Abschnitt im Anschluss an die Schweiz haben wir gerade mit einer Finanzierungsvereinbarung auf den Weg gebracht», sagte der deutsche Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle gegenüber Medienschaffenden in Luxemburg.

Bei den anderen teils wegen Bürgerprotesten blockierten Streckenabschnitten wurde ein Projektbeirat mit Einbezug der Bevölkerung geschaffen. So sollte es laut Scheurle möglich sein, «dass wir rasch Fortschritte erzielen können».

Den Gotthard-Durchschlag bezeichnete er als «grandioses Ereignis». «Wer schon über und unter dem Berg durchgefahren ist, wie ich, weiss, dass dies ein besonderer Berg ist.» In Europa «können wir froh sein, dass solche grossen Projekte in Angriff genommen und auch durchgeführt werden», sagte Scheurle weiter.

EU-Verkehrskommissar Kallas betonte die «hohe Anerkennung der EU gegenüber der Schweiz, die einen solchen Tunnel realisiert». Rein schon von den technischen Schwierigkeiten her, sei der Gotthardbasistunnel eine extreme Leistung. «Schade, können wir nur via Satellitenschaltung beim Durchschlag dabei sein», bedauerte Kallas weiter.

1947: Carl Eduard Gruner, ein Ingenieur und Stadtplaner aus Basel, präsentiert seine Idee für einen Basistunnel durch das Gotthard-Massiv.

1962: Erstes Projekt für einen Tunnel zwischen Amsteg und Giornico.

1971: Die Regierung erteilt den SBB den Auftrag, bis 1975 ein Projekt für einen Gotthard-Basistunnel auszuarbeiten.

1990: Die Regierung präsentiert dem Parlament eine «Netz-Variante» mit dem Bau von zwei Basistunnels am Lötschberg und am Gotthard.

1992: In einer Volksabstimmung sprechen sich 63,6% der Stimmenden für den Bau der Neuen Alpentransversale (NEAT) aus.

1994: Die Alpen-Initiative wird mit 52% der Stimmen angenommen. Der neue Verfassungs-Artikel fordert in erster Linie die Verlagerung des Transitgüterverkehrs auf die Schiene. Ebenfalls angenommen wird die Verfassungsgrundlage für eine Einführung einer leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA).

1998: Parlament und Volk stimmen der Finanzierungs-Vorlage für die NEAT (FinöV) und dem LSVA-Gesetz zu. Die SBB gründen darauf die Bauherrin AlpTransit Gotthard AG.

1999: Nach ersten Vorarbeiten beginnt der Bau der Tunnel am Gotthard und am Lötschberg.

2007: Der Lötschberg-Tunnel (34,6 km) wird in Betrieb genommen.

2010: Hauptdurchschlag am Gotthard-Basistunnel (57 km).

2017: Erwartete Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels.

Mit dem Gotthard-Basistunnel (Fertigstellung 2016/2017) und dem Ceneri-Basistunnel (Fertigstellung 2019) entsteht eine hochmoderne Flachbahn, deren Scheitelpunkt auf nur 550 Meter über Meer liegt. Die bisherigen Bahnverbindungen liegen mit ihren Scheitelpunkten in den Bergen heute auf 1150 Metern.

Mit der neuen Bahnverbindung wird die Route durch die Schweiz viel flacher und 40 Kilometer kürzer. Güterzüge, die auf der neuen Strecke verkehren werden, können länger und bis zu zweimal so schwer sein wie heute – 4000 statt 2000 Tonnen. Und werden zweimal so schnell fahren können wie bisher.

Die NEAT ist eines der weltweit grössten Infrastruktur-Bauprojekte. Der Gotthard- und der Ceneri-Basistunnel sowie jener am Lötschberg (seit 2007 im Betrieb) sind die Kernstücke der NEAT.

Mit dem Bau der Basistunnel und den notwendigen Anpassungen werden zwei Nord-Süd-Bahnachsen durch die Schweiz ausgebaut. Mit der NEAT integriert sich die Schweiz in das wachsende europäische Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz.

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