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Der Schweizer, der am deutschen Grundgesetz mitwirkte

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Verfassungszimmer auf Herrenschiemsee.
Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 im Raum, in dem 1948 der Verfassungskonvent mit dem Schweizer Hans Nawiasky tagte Heute ist das Gebäude das deutsche Verfassungsmuseum. Matthias Balk/DPA/Keystone

Auf einer kleinen Insel im süddeutschen Chiemsee: Dort wurde vor 70 Jahren der Grundstein zur Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gelegt. Mit dabei war auch ein Schweizer: Hans Nawiasky. Doch der Jurist scheiterte mit dem Versuch, im deutschen Grundgesetz Elemente der direkten Demokratie Schweiz unterzubringen.

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33 Männer verschanzten sich in dem heissen Sommer 1948 für 13 Tage auf der kleinen Insel Herrenchiemsee. Sie hatten einen wichtigen Auftrag: Wenige Monate zuvor hatten die westalliierten Siegermächte USA, Grossbritannien und Frankreich beschlossen, in ihren Besatzungszonen einen deutschen Teilstaat, die spätere Bundesrepublik Deutschland, zu gründen. 

Die elf Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer sollten nun eine Verfassung erarbeiten. Zu diesem Zweck entsandten sie Minister, Staatssekretäre und profilierte Staatsrechtler in den Verfassungskonvent in die bayerische Idylle.

Doch wie kam ein Schweizer in diese erlesene Runde? Hans Nawiasky wurde von der bayerischen Landesregierung nach Herrenchiemsee geschickt, denn seine Bande zu Bayern waren eng: Vor dem Krieg hatte der Verfassungsrechtler an der Münchner Universität gelehrt. 

Hans Nawiasky
Hans Nawiasky. Historisches Lexikon Bayerns

Von dort floh er 1933 Hals über Kopf in die Schweiz. Den Nationalsozialisten waren seine kritische Haltung und seine Herkunft – sein Vater war ein österreichischer Jude – ein Dorn im Auge. Zum Zeitpunkt seiner Flucht war Nawiasky bereits 53 Jahre alt.

St. Gallen als neue Heimat

St. Gallen wurde Hans Nawiaskys zweite Heimat. Dort lebte und publizierte er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Er bewunderte die eidgenössische direkte Demokratie und nahm, so ergaben Recherchen der Süddeutschen ZeitungExterner Link, während seiner Zeit in St. Gallen auch die Schweizer Staatsbürgerschaft an. 

Hier gründete er das Schweizerische Institut für Verwaltungskurse, das er bis zu seinem Lebensende leitete, und baute ein kleines Haus. Doch seine Heimat Deutschland liess ihn nicht los.

Bereits kurz nach Kriegsende hatte Nawiasky massgeblich an der Bayerischen Landesverfassung von 1946 mitgewirkt. Sie diente als eine Art Blaupause für den auf Herrenchiemsee geschaffenen Entwurf des deutschen Grundgesetzes. Insofern war seine Expertise dort höchst willkommen.

Weimars Scheitern als Warnung

Die Gruppe auf der Insel entwarf nicht weniger als die künftige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, immer mit dem Scheitern der Weimarer Republik zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vor Augen: Sie definiert den Föderalismus der Bundesländer und deren Beziehung zum Bund sowie die Macht der Parteien. 

Sie schwächte als Lehre aus Hitlers Drittem Reich die Macht des Bundespräsidenten ab und formulierte, und das war gänzlich neu, einklagbare Grundrechte. Über deren Einhaltung wacht seither das Bundesverfassungsgericht.

Das deutsche Grundgesetz

Das Grundgesetz Externer Linkist die Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland. Es setzt sich aus einer Präambel, einem Grundrechtsteil und einem organisatorischen Teil zusammen. 

In den Artikeln, die im Rang über allen anderen deutschen Rechtsnormen stehen, sind die grundlegenden staatlichen System- und Wertentscheidungen festgelegt. Eine Änderung des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. 

Eine Änderung, welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt, ist unzulässig (Art. 79 III GG).

Quelle: Bundezentrale für politische Bildung

Der spätere Verfassungsrat formulierte die Worte des Konvents um, doch die Idee blieb. «Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.» Aus diesem Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes spricht deutlich die bittere Erfahrung mit der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten.

Was die direkte Beteiligung des Volkes betraf, so hatte Hans Nawiasky sich eine stärkere Rolle der Bürgerinnen und Bürger innerhalb der neuen demokratischen Ordnung gewünscht. «Der Staatsrechtler hatte schon zu Weimarer Zeit direktdemokratische Elemente befürwortet und ihren Einbau in die Bayerische Verfassung von 1946 durchsetzen helfen», schreibt Hanns-Jürgen Wiegand in seinem Buch «Direktdemokratische Elemente in der Deutschen Verfassungsgeschichte».

Uneinigkeit über Volksrechte

Seine Jahre in der Schweiz hatten Nawiaskys Einstellung in diesem Punkt weiter gestärkt. Er war überzeugt, dass die direkte Beteiligung des Volkes dessen Demokratieverständnis fördere. Andere Teilnehmer des Konvents hegten nach der Erfahrung einer massenhaften Hitlergefolgschaft in der deutschen Bevölkerung Misstrauen gegen deren Urteilskraft.

Nawiasky hingegen glaubte, dass Volksabstimmungen Hitler hätten Einhalt hätten gebieten können. Ihm missfiel in dem Entwurf des Konvents die starke Stellung der Parteien sowie dass das deutsche Grundgesetz nicht zumindest durch ein Referendum zur Abstimmung gestellt wurde, so Wiegand. 

Doch er konnte sich nicht durchsetzen. Einer der Grundsätze in dem Abschlussdokument des Verfassungskonvents lautete: «Es gibt kein Volksbegehren. Einen Volksentscheid gibt es nur bei Änderungen des Grundgesetzes.»

Zum Sterben in die Schweiz

Nur neun Tage nach dem Konvent auf Herrenchiemsee begann die Tagung der verfassunggebenden Versammlung. Diese übernahm grosse Teile der Vorlage in das deutsche Grundgesetz, das am 23. Mai 1949 unterzeichnet und verkündet wurde.

Hans Nawiasky starb 1961 in der Schweiz. Nachdem ihn ein Schlaganfall in München ereilt hatte, wollte er, sterbenskrank wie er war, unbedingt wieder zurückkehren nach St. Gallen, so erinnert sich sein Schüler Hans F. Zacher. Es war ein Zeichen, wie sehr ihm die Schweiz ans Herz gewachsen und zur Heimat geworden war.

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