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Die Wahlen, das Geld und die (Medien-) Demokratie

Swissinfo Redaktion

In der Schweiz gibt es keine Vorschriften über die Parteienfinanzierung. Für die Schweizer Regierung ist dies in Ordnung so. Georg Kohler, emeritierter Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich, ist von dieser Position nicht überzeugt.

Wer über «Politik» nachdenkt, muss überlegen, ob von grundsätzlichen Fragen, von spezifischen Strategien oder von den Aktivitäten des politischen Tagesgeschäfts die Rede sein soll. Die angelsächsische Politikwissenschaft markiert diese drei Felder durch  Termini. Sie spricht von Polity, sofern die erste, von Policy, wenn die zweite und von Politics, wenn die dritte Kategorie im Blick steht.

Der Zusammenhang von Geld (=Macht) und demokratischem Abstimmungsverhalten ist unter allen drei Hinsichten interessant. 

  • Sollen die Geldflüsse zwischen Spendern und Parteien transparent gemacht werden? – Das ist ein Problem der Grundordnung, der Polity. 
  • Möchte man die Art betrachten, wie für eine Position geworben wird? – Dann ist es eine Sache der Policy-Analyse. 
  • Oder interessiert die Frage, wie (private) Geldgeber und  Parlamentarier hinsichtlich umstrittener Regulierungsgeschäfte kooperieren? – Dann ist man auf dem Boulevard der Politics.

Für Spielfilme ist vor allem die Beobachtung düsterer Machtintrigen im Labyrinth politisch-persönlicher Ver­strickungen ergiebig. Wobei wir natürlich davon ausgehen, dass derartige Machenschaften immer nur in Englisch, Französisch oder Italienisch geschehen. An einen jüngeren Beitrag in Dialektfassung zum Thema «Gekaufte Politik» kann ich mich jedenfalls nicht erinnern.  

Georg Kohler, emeritierter Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich.
Georg Kohler, emeritierter Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich. uzh

Gewiss munkelt man auch hierzulande über die eine oder andere Entscheidung und Kehrtwende, die sich vielleicht durch – nobel gesagt – «merkurische Konstellationen» erklären liessen. Doch ohne Beweisfakten sind entsprechende Behauptungen selbstmörderisch.

Wechseln wir darum auf die Ebene der Polity und der Gesetzgebung. Es sei, schreibt der Bundesrat in einer Mitteilung vom November letzten Jahres, eben schweizerisch, keine auf Transparenz dringende Rechtsordnung in Sachen Parteienfinanzierung zu haben. So etwas sei mit den «Eigenheiten des Schweizer Systems» nicht zu vereinbaren. Überhaupt seien in unserem Land «das politische Leben sowie die Finanzierung der Parteien in der Wahrnehmung  der Bevölkerung» sehr weitgehend «die Sache privaten Engagements und nicht des Staates».

Die Verlautbarung lieferte die Antwort auf eine Rüge des Europaratsgremiums Groupe d’Etats contre la Corruption (Greco), dem die Laxheit im schweizerischen Verhältnis von Geld und politischer Macht aufgefallen war. 

Man muss nicht unfreundlich eingestellt sein, um die Entgegnung des Bundesrates nicht überzeugend zu finden. Denn erstens ist es selbst in unserem Fall evident, dass überlegene Finanzmittel ­einen Unterschied machen: Je schwächer die Bindungen zu den herkömmlichen Parteimilieus, je fluider die Meinungen der auf gut orchestrierte Stimmungslagen reagierenden Menschen geworden sind, desto wichtiger ist eine flächendeckend betriebene Aufmerksamkeitsökonomie. Und diese kostet, es braucht Geld. Geld, wovon hierzulande – wie überall – die einen sehr viel mehr besitzen als die anderen. 

Zweitens ist auch in der Schweiz der Kampf um die Meinungsgunst des politisch mobilisierbaren Publikums permanent geworden. Wer ihn erfolgreich führen will, braucht einen gut geölten, ständig und professionell betriebenen Kampagnenapparat. So ganz überflüssig scheint die Europaratsfrage nach der Gewährleistung von Transparenz also nicht zu sein.

Meinungsmanagement zielt auf Zustimmung und ­Folgebereitschaft. Eine diesbezügliche Policy, die nicht stärker auf Gefühle setzt als auf Rationalität, wird in der heutigen, «boulevardisierten» Medienöffentlichkeit  keine Mehrheit gewinnen. Stimmungen sind wichtiger als Argumente und Reflexion. Wer seine Argumente nicht in eine ebenso einfache wie emotional geladene Geschichte übersetzen kann, der wird in der gegenwärtigen Gesellschaft niemals deutlich genug wahrgenommen, um siegen zu können.

Das wäre weniger schlimm, wenn die wirkungsmächtigste Erzählform nicht das Dispositiv der Freund-Feind-Unterscheidung wäre. Die Politik aus dieser Perspektive zu begreifen, verlangt, sie in ein Schema unvermittelbarer Gegensätze zu pressen – und sie dadurch in einen Zustand zu verwandeln,  der die alten Schweizer Tugenden der Kompromisssuche und Integrationsbereitschaft zerstört.

Es ist zu hoffen, dass die Verbindung zwischen policyfähigem Geld und neueidgenössischer Mediendemokratie, die der Bundesrat für ein zweitrangiges Problem hält, nicht exakt dies zersetzt, worauf er und wir stolz sind: «die Eigenheiten des Schweizer Systems».  

Der Artikel ist im April 2015 in der Gazzetta Svizzera Externer Linkerschienen.

(Die Meinung des Autors muss sich nicht zwingend mit der Position von swissinfo.ch decken.)

Georg Kohler

Der 1945 in Konolfingen im Kanton Bern geborene Georg Kohler ist emeritierter Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich, wo er von 1994 bis 2010 lehrte.

1977 doktorierte er in Philosophie an der Universität Zürich.

1981-1991 arbeitete er als Publizist und war Mitglied der Geschäftsleitung eines Familienunternehmens in Wien.

1992-1994 war er als Professor für politische Philosophie am Geschwister Scholl Institut für Politische Wissenschaft der Universität München tätig.

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