«Das Problem der Fake News ist überbewertet»
Nick Lüthi gehört zu den profundesten Kennern der Schweizer Medienlandschaft. Im Interview erklärt er, was die fortschreitende Digitalisierung der Medien für ihre politischen Funktionen in der Demokratie Schweiz bedeutet, und wo er Parallelen zum Biermarkt sieht.
Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern auch aussenstehende Autorinnen und Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit derjenigen von SWI swissinfo.ch decken.
swissinfo.ch: Wie geht es den Schweizer Medien?
Nick Lüthi: Man wäre versucht zu sagen: «schlecht». Aber wenn man genauer hinschaut, könnte man dann vielleicht doch sagen: «durchzogen». Zwar werden seit Jahren Ressourcen im redaktionellen Bereich abgebaut, weil die Werbeeinnahmen zur Finanzierung nicht mehr ausreichen.
Gleichzeitig läuft in den grossen Medienhäusern sehr viel, um sich im digitalen Geschäft zu etablieren. Einerseits werden auf redaktioneller Ebene neue Angebote geschaffen, um junge Zielgruppen besser zu erreichen. Andererseits laufen auch Bestrebungen, um die Nutzerinnen und Nutzer dazu zu bringen, für Online-Inhalte zu bezahlen.
swissinfo.ch: Sollen sich Schweizer Medien dabei an erfolgreichen Konzepten aus dem Ausland orientieren?
Die grosse Herausforderung besteht darin, gute Lösungen für einen kleinen Markt Schweiz zu finden.
N.L.: Was die Modelle und Strukturen angeht, kann man sich sicher an der internationalen Best Practice orientieren, zum Beispiel bei Modellen, wie man Kunden bindet oder Abläufe organisiert. Aber man muss immer die Grösse des Marktes berücksichtigen.
Was für die «New York Times» funktioniert, ist nicht automatisch ein Erfolgsmodell für ein Deutschschweizer Medium mit einem Marktpotenzial von maximal fünf Millionen Menschen. Die grosse Herausforderung besteht darin, gute Lösungen für einen kleinen Markt zu finden.
Zur Person
Nick Lüthi (45) ist Leiter der «Medienwoche»Externer Link, dem Fachmagazin für Schweizer Medien und Kommunikation. Er ist 1995 in den Journalismus eingestiegen und arbeitete seither für verschiedene Medien in Print, Radio und Online. Lüthi unterrichtet an der Journalistenschule MAZ (Luzern) und an der Höheren Fachschule für Medienwirtschaft und Medienmanagement (Bern). Er präsidiert die Jury des Swiss Press Award OnlineExterner Link. Die Preisverleihung 2019 findet am 24. April in Bern statt.
swissinfo.ch: Einige Schweizer Verlage sehen die Lösung darin, dass sie die gedruckte Ausgabe der Zeitung einstellen, aber weiterhin eine Onlineversion veröffentlichen. Welchen Einfluss hat diese Tendenz auf die politischen Funktionen der Massenmedien?
N.L.: Die Sichtbarkeit eines Mediums leidet, wenn es keine Printausgabe mehr gibt. Konkret kann man das Beispiel von «Le Matin» nennen. Das war eine populäre Zeitung, die in der Westschweiz eine grosse Verbreitung in Cafés und Restaurants hatte. Nun gibt es «Le Matin» nur noch digital, aber das Digitalangebot liegt halt nicht einfach so herum.
Das ist schon ein Unterschied, der vielleicht eher eine Generation trifft, die über 40 Jahre alt ist und mit der Zeitung sozialisiert worden ist. Man kann die Verlage natürlich immer kritisieren, was die Gewerkschaften auch tun. Aber wenn man von einer betriebswirtschaftlichen Realität ausgeht, dann ist die Verlagerung vom Papier ins Internet nachvollziehbar.
swissinfo.ch: Verloren geht dabei die Gewichtung durch die Journalistinnen und Journalisten: Der Platz in einer Zeitung ist limitiert, im Internet nicht. Ist das ein Problem für die politische Meinungsbildung?
N.L.: Die Abgeschlossenheit der Zeitung fällt zunehmend weg, das stimmt. Es gibt allerdings Ansätze, diese Ordnung im Internet ebenfalls zu schaffen. Nutzerinnen und Nutzer müssen lernen, wie man mit Online-Nachrichten umgeht. Das ist eine Aufgabe der Familie, der Schule, von Fachinstitutionen, der Politik und letztlich von uns allen.
Klar ist: Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, sondern muss mit dem, was da ist, einen verantwortungsvollen Umgang pflegen. Dann ist die politische Meinungsbildung auch über digitale Medien möglich.
swissinfo.ch: Digital Natives argumentieren, dass eine wichtige Nachricht den Empfänger immer findet, auf welchem Weg auch immer. Durch die sozialen Medien vermischen sich jedoch journalistische Inhalte zunehmend mit ungeprüften Inhalten, Gerüchten und bewusst gestreuten Fake News. Gefährdet ausgerechnet die Demokratisierung der Information die Demokratie?
N.L.: Das Problem der so genannten Fake News ist überbewertet. Es wird grösser gemacht, als es eigentlich ist. Unbestrittenerweise gibt es Falschmeldungen, die jemand in einer manipulativen Absicht in die Welt setzt. Das Paradebeispiel sind die Fake-News-Farmen in Mazedonien, die während der US-Präsidentenwahlen versucht haben, die Bürgerinnen und Bürger in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.
Aber im Rollenverständnis der Medien, gerade in der Schweiz, gehören solche manipulativen Absichten nicht zum Alltag. Das Bewusstsein ist da, dass man heutzutage die eigenen Inhalte umso schärfer und strenger prüfen muss.
swissinfo.ch: Das ist die Seite der Redaktionen, aber die Quellen vermischen sich für die Nutzerinnen und Nutzer.
N.L.: Genau. Eine Schwierigkeit der Social-Media-Plattformen ist, dass die Quellenkritik erodiert. Man nimmt Facebook als Absender wahr, und nicht mehr die ursprüngliche Quelle, und dann stehen plötzlich Weltnachrichten von hoher Qualität auf gleicher Höhe wie irgendwelche Behauptungen und Verschwörungstheorien. Deshalb muss an der Medienkompetenz gearbeitet werden. Es gibt in der Schweiz entsprechende Initiativen. Das Problem ist erkannt, wenn auch möglicherweise etwas spät.
swissinfo.ch: Ein Medium ist verantwortlich für sämtliche Inhalte, die es publiziert. Die sozialen Medien sind lediglich die Transporteure ohne Verantwortung für die Inhalte. Müsste man die Plattformen auf regulativer Ebene mehr in die Pflicht nehmen?
N.L.: In den letzten Jahren hat sich mit der Kritik ein gewisses Bewusstsein bei den Social-Media-Plattformen ausgeprägt. Facebook zum Beispiel hat unterdessen rund 40 Partnerorganisationen, die helfen, Fake News zu identifizieren. Kürzlich ist mitgeteilt worden, dass die Deutsche Presse-Agentur dpa mithelfen wird, und das Recherche-Kollektiv CorrectivExterner Link ist auch dabei.
Das eröffnet allerdings eine weitere Debatte: Was wird rausgefiltert? Steckt eine politische Agenda dahinter? Das zeigt symptomatisch, wie die Realität in der digitalen Medienwelt aussieht: Wenn man einen Lösungsansatz hat, der auf den ersten Blick vernünftig, sinnvoll und machbar scheint, landet man schnell im nächsten Problemfeld. Es gibt keine ultimativen Lösungen.
swissinfo.ch: Mittlerweile bringen die sozialen Medien den Massenmedien viel Reichweite. Was bedeutet es für Schweizer Medien, dass die Plattformen ihren Sitz im Ausland haben?
Viele Schweizer Medienhäuser haben sich in eine zu grosse Abhängigkeit der grossen Plattformen begeben.
N.L.: Viele Schweizer Medienhäuser haben sich, wohl unbewusst, in eine zu grosse Abhängigkeit der grossen Plattformen begeben. Es ist aber klar, dass die Social Media nach einer eigenen Logik funktionieren, die nicht auf demokratische Funktionen und Wirkungen des Journalismus Rücksicht nimmt. Facebook passt seine Algorithmen immer wieder an, welche Inhalte im Newsfeed gezeigt werden.
Medienunternehmen, die für die Verbreitung ihrer Inhalte zu stark auf Facebook setzten, gerieten in finanzielle Schwierigkeiten. Auch bei Google bleibt es letztlich intransparent, was die Suchmaschine anzeigt.
swissinfo.ch: Eigentlich müssten die Schweizer Medien die Nutzerinnen und Nutzer vor allem durch eine hohe Qualität im Journalismus überzeugen. Nur ist das angesichts des wirtschaftlichen Drucks nicht immer einfach. Ist es eine Überlegung wert, die Schweizer Medien stärker zu subventionieren, wie die Verleger fordern?
N.L.: Eine aktuelle Millionenforderung der Verleger betrifft die indirekte Presseförderung. Das ist aber eine reine «Palliativgebühr», die dazu dient, die Kosten für die Zustellung der gedruckten Zeitung abzufedern. Das hat mit Journalismusförderung nichts zu tun. Die Verleger wehren sich zudem gegen eine Finanzierungsform, die in irgendeiner Form in die Inhalte eingreifen könnte, also gegen eine direkte Förderung, wie man das von Radio und Fernsehen kennt.
swissinfo.ch: Es gibt aber auch Stimmen, die eine direkte Medienförderung für private Medien fordern.
N.L.: Es gibt viele Länder, die eine direkte Medienförderung kennen und in denen keine Staatszeitungen produziert werden. Ein Beispiel ist Schweden, wo die jeweils zweitstärkste Zeitung in einem geografischen Raum finanziell unterstützt wird. In der Schweiz ist das Beispiel der privaten Radio- und Fernsehstationen zu nennen, die sich für die Unterstützung Kontrollen zu unterziehen haben.
Die meisten dieser Stationen haben sich anfänglich dagegen gesträubt, dass sie etwas leisten müssen für das Geld, das sie erhalten. Mittlerweile sehen sie es aber als positiv, dass sie sich regelmässig an den eigenen Massstäben messen müssen.
swissinfo.ch: Was ist mit der Forderung im Entwurf des neuen Mediengesetzes, dass Gebührengelder auch auf die privaten Onlinemedien ausbezahlt werden können?
N.L.: Diese Forderung steht im Raum und ist verfassungsmässig eigentlich gedeckt. Aber das ist Teil eines politischen Prozesses, das Mediengesetz ist erst in einem ersten Vorentwurf da, der nächste Schritt wird der Entwurf des Bundesrates sein. Wenn man zurückschaut: Der Weg des geltenden Radio- und TV-Gesetzes hat vom Vorentwurf zur Inkraftsetzung sieben Jahre gedauert, dann wäre das neue Mediengesetz also etwa 2025 so weit.
swissinfo.ch: Was kommt als Nächstes? Im Schweizer Biermarkt kam nach der grossen Konsolidierung die Zeit der kreativen Kleinbrauereien mit spezialisierten Produkten und treuen Kunden. Auch im Medienbereich entstehen derzeit viele Klein- und Kleinstmedien. Gibt es Parallelen?
Ein Start-up wie die «Republik» kann nie eine traditionelle Zeitung wie den «Tagesanzeiger» ersetzen.
N.L.: Das kann man sehr gut vergleichen. Es entsteht viel Neues, aber nur in Nischenmärkten, wo eine Fangemeinde angesprochen wird. Ein Start-up wie die «Republik» kann nie eine traditionelle Zeitung wie den «Tagesanzeiger» ersetzen.
Die Grundfunktionen, die ein Mediensystem zu leisten hat – die Menschen durch den Tag zu begleiten, auch im lokalen Bereich Zusammenhänge zu erklären oder die Bürger so aufzuklären, dass sie am politischen Prozess partizipieren können – sind ressourcenintensiv. Die vielen löblichen Initiativen können das kaum leisten.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch