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Wenn Bürger beim Fahrzeugkauf die Gemeinde ausbremsen

Fraubrunnen, typisches Dorf im Berner Mittelland, das sich vom Bauerndorf zur Agglomerationsgemeinde für Pendlerinnen und Pendler entwickelt. André Locher

Die direkte Demokratie der Schweiz wird gern als Modell gepriesen. Zu Recht. Aber wenn die Bürger mitreden können, wächst das relativ einfache Geschäft auch schon mal zum langwierigen Politikum heran. Wie etwa der Kauf eines Servicefahrzeugs für Gemeindearbeiten.

FraubrunnenExterner Link: Das Dorf liegt in der Mitte zwischen der Hauptstadt Bern und den Hügeln des Juras. Die weiten Felder um den Ort sind mit Wäldern durchsetzt. Die meisten der rund 4800 Einwohner arbeiten in den nahen Zentren Bern, Biel und Solothurn.

Doch im beschaulichen Ort hat sich in den letzten zwei Jahren einiges getan: Fraubrunnen fusionierte mit sieben kleineren Ortschaften, die sich über 32 Quadratkilometer des Schweizer Mittellandes verteilen.

Als eines der ersten Geschäfte des neuen Gemeinderates stand der Kauf eines Mehrzweckfahrzeugs auf der Traktandenliste. Vorgesehen war dies für den Transport schwererer Frachten sowie für die Räumung der Strassen vom Schnee im Winter. Für den Kauf waren 265’000 Franken budgetiert. Rund 0,2% des jährlichen Gemeindebudgets, wie Gemeindepräsident Urs Schär bemerkt.


Autonomie dank Föderalismus

Die Schweiz verfügt über ein föderales System. Dieses sorgt für eine Teilung von Macht, sprich Rechten und Verbindlichkeiten auf den drei Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden.

Die 26 Kantone verfügen über einen hohen Grad an Autonomie gegenüber der Regierung des Landes.

Die über 2350 Gemeinden stellen die äussersten Verwaltungseinheiten im Schweizer Föderalismus dar. In ihrem Gestaltungsbereich liegen die Erhebung von Steuern, die Zonenplanung, öffentliche Bauten, Bildung und Erziehung, das Sozialwesen sowie die Sicherheit und Notfalldienste.

Dem Schweizer Föderalismus liegt das Subsidiaritätsprinzip zu Grunde.

Dieses besagt, dass Probleme von jener Ebene gelöst werden sollen, auf der sie auch gelöst werden können. Sicherheit in Form von Polizeidiensten ist Sache der Gemeinden. Betrifft sie das ganze Land, ist die Sicherheit Sache des Bundes (Schweizer Armee). 

Ein Vertreter der politischen Opposition machte von seinem demokratischen Recht Gebrauch und verlangte die Einberufung einer Gemeindeversammlung, die über das Geschäft befinden solle. Der Gemeindesouverän segnete die Anschaffung des Fahrzeugs ab, wenn auch nur knapp.

Anonyme Beschwerde

Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Denn kurz nach dem Beschluss berichtete eine Lokalzeitung, dass ein ungenannter Dritter beim Kanton Beschwerde gegen die Gemeindebehörde eingereicht habe. Der Grund: Mangelhafte, sprich unvollständige Information der Bürger durch den Gemeinderat über das anstehende Geschäft.

«Das gab mehr zu reden als bei einer Steuererhöhung», sagt Urs Schär. Der Bauer, der sich seit 18 Jahren als Milizpolitiker der Gemeinde zur Verfügung stellt, wies die Vorwürfe der mangelnden Transparenz zurück und versicherte, dass die Kommunalbehörde alle Angaben offen auf den Tisch gelegt habe, damit die Bürgerinnen und Bürger von Fraubrunnen hätten informiert abstimmen können.


Die Beschwerde wurde im Sommer 2015 schliesslich abgelehnt, was den Weg für die Auswahl des Fahrzeugs frei machte. Aber durch die Verzögerung rechnen die Angestellten des Gemeinde-Werkhofes, der aktuell über Traktoren und Rasenmähern verfügt, erst für 2016 mit der benötigten Verstärkung.


Was als zügige Anschaffung geplant war, wurde durch die Bürgerbeteiligung, also die Macht der Bürger, zur mehrjährigen und nervenaufreibenden Polit-Angelegenheit.
Spielregeln akzeptiert


Das Beispiel Fraubrunnens ist kein Einzelfall. In der Schweiz haben die Bürger auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene explizite Mitspracherechte. Diese sorgen aber auch für eine Verlangsamung der Entscheidungsprozesse.
Gemeindepräsident Schär hat das hin und her über das Mehrzweckfahrzeug akzeptiert. Er räumt aber auch ein, dass sich die Mitglieder der Lokalbehörde erst hätten daran gewöhnen müssen, eine neue Gemeinde zu führen, die aus acht verschiedenen Dörfern besteht, die alle über ein ähnlich bescheidenes Budgets verfügten.


Schär bedauert aber im Nachhinein zwei Dinge: «Es ist schade, dass die Beschwerde anonym war und die Beschwerdeführer nicht das Gespräch mit uns gesucht haben.» Ferner, dass die gewachsene Gemeinde den kommenden Winter ohne eigenes Fahrzeug zum Schneeräumen in Angriff nehmen müsse. Er gewinnt der Sache aber auch eine positive Seite ab. «Es zeigt, dass die Leute Interesse haben am Geschehen in der Gemeinde und dem Gemeinderat auf die Finger schauen.»

Vertrauens-Check

«Beschwerden gegen politische Entscheide auf Lokalebene sind ziemlich selten. Aber sie stellen kein eigentliches Problem dar», sagt Adrian Ritz vom Kompetenzzentrum für Public Management der Universität BernExterner Link.


In der Regel stelle der Gemeinderat sicher, dass das Geschäft sorgfältig vorbereitet vor die Gemeindeversammlung komme. Deren Entscheid würde dann auch meistens respektiert. Dennoch könne es aber Sinn machen, den politischen Behörden und der Verwaltung auch mal genauer auf die Finger zu schauen. «Wenn die Bürger die Möglichkeit haben, eine Entscheidung anzufechten, ist das gut für die Stabilität des politischen Systems», sagt Ritz.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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